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Die Ohnmacht der Sprache

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    Die Ohnmacht der Sprache

    Hallo zusammen,

    mich beschäftigt das Thema sehr: wie kann ich adäquat mittels Sprache extreme Gefühle ausdrücken?

    Sprache ist unser Mittel, anderen von Begebenheiten zu berichten, zu beschreiben, für die Zukunft festhalten. Die deutsche Sprache hat zudem noch den Konjunktiv als Mittel, mögliche Zukunft vorwegzunehmen, über Alternativen zu spekulieren.

    Unser Denken geschieht in stummen Selbstgesprächen.

    Aber was ist mit dem Fühlen? Wer jemals wirklich Angst hatte, wer sich verliebt, wer einen geliebten Menschen verlor, wird wissen, dass Fühlen über die Sprache weit hinausgeht. Sprache ist etwas wunderbares, sie kann eine Waffe sein gegen Mißstände, aber sie ist ein Korsett beim Beschreiben von Gefühlen.

    Meist nutzt man Metaphern, Hyperbeln und ähnliches, wovon die meisten schon ausgelutscht sind; neue, treffende zu suchen ist nur den wenigsten gegeben.

    Wie beschreibt man Angst, Verzweiflung, aber auch Liebe so, dass der Leser tatsächlich teilnimmt, nicht nur beobachtet?

    #2
    Zunächst einmal kannst du natürlich beschreiben, was körperlich in der Person vorgeht. Beschreibungen wie "vor Angst wie gelähmt sein" können durchaus wörtlich gemeint sein. Diese Empfindungen kann ein Leser gut nachvollziehen. Außerdem kannst du auch die Gedanken der Figur vermitteln, die normalerweise ebenfalls zeigen, wie sie eine Situation wahrnimmt, und tiefe Gefühle mit sich tragen können.

    Darüber hinaus solltest davon ausgehen, dass deine Leser Empathie besitzen. Wenn du in deiner Geschichte erzählst, was vor sich geht, musst du nicht jedes Mal dazuschreiben, was die Figur dabei gerade genau fühlt. Wenn sie um ihr Leben rennt, weil ein Bär sie verfolgt, musst du nicht extra dazuschreiben "sie hatte Angst". Das ist in dem Moment jedem klar. Auch, dass die Angst eine sehr starke existenzielle ist und anders geartet als wenn sie zum Beispiel abends durch einen dunklen Park geht. Wenn du Gefühle vermitteln willst, dann lass den Leser am besten mitfühlen: Versetze ihn möglichst anschaulich in die Situation deiner Figur und vertraue darauf, dass er durchaus nachvollziehen kann, wie es ihr dabei geht.
    Poems are never finished.
    Just abandoned.

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      #3
      Eisbart

      Ich lese aus deinem Beitrag, dem du ja sogar die Überschrift "Ohnmacht der Sprache" gibst, eine gewisse Skepsis heraus - eine Skepsis gegenüber dem Vermögen der Sprache, die Wirklichkeit darzustellen. Und da fällt mir ein Zitat von Rainer Maria Rilke ein, der das wohl so ähnlich empfunden hat wie du, ein Zitat, das ich hier im Forum schon einmal wiedergegeben habe:

      „Aber man wird einmal aufhören müssen, ,das Wort‘ zu überschätzen. Man wird einsehen lernen, daß es nur eine von den vielen Brücken ist, die das Eiland unserer Seele mit dem großen Kontinent des gemeinsamen Lebens verbinden, die breiteste vielleicht, aber keineswegs die feinste. Man wird fühlen, daß wir in Worten nie ganz aufrichtig sein können, weil sie viel zu grobe Zangen sind, welche an die zartesten Räder in dem großen Werke gar nicht rühren können, ohne sie nicht gleich zu zerdrücken.“

      (Quelle: http://www.zeno.org/Literatur/M/Rilk...+des+Monologes)

      Und Rilkes Ausweg aus diesem Dilemma war die Sprache des Symbolismus. Diesen zu erläutern würde hier zu weit führen, aber es läuft ganz grob und vereinfacht gesagt darauf hinaus, dass Literatur eine Möglichkeit schafft, durch Projektion auf die Außenwelt die Innenwelt darzustellen und umgekehrt die Außenwelt sich im Inneren spiegelt. Das Ideal für Rilke ist die vollkommene Verbindung von Außen und Innen, was natürlich zu einer starken Abstraktion führt. Deshalb ist vor allem der späte Rilke so schwer zu verstehen. Aber gerade der verschlüsselte Ausdruck ist eben auch frei davon, klischeehaft und abgegriffen, ja, nichts-sagend, zu sein. Er kann die höchstvollendete Freiheit der Sprache und des individuellen Ausdrucks durch Sprache sein.

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      • Ankh
        Ankh kommentierte
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        Ich mag Rilke und finde den Tipp mit dem Symbolismus gut. Nur wenn sein späteres Werk schwer zu verstehen ist, dann hat er ja das Gegenteil von dem erreicht, was er wollte? Sich bzw. seine Gefühle auszudrücken ist offenbar nicht das Gleiche wie sich verständlich zu machen.

      • Elementargeist
        Elementargeist kommentierte
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        Ja, dem stimme ich zu. Vermutlich wollte sich Rilke ausdrücken, aber es ging ihm nicht primär darum, sich verständlich zu machen. (OT: Rilke sprach ja auch vom "kosmischen Eremiten", als den er sich selbst betrachtete.)

      #4
      Lieber Elementargeist,

      nein, ich zweifle keine Sekunde daran, das Sprache in der Lage ist, die Wirklichkeit darzustellen. Genau dafür ist sie ja gemacht, wobei es natürlich "Wirklichkeit" im Sinne von objektiver Wahrheit nicht gibt. Jede Geschichtsschreibung ist Geschichtsfälschung, wie es so schön heißt; Geschichte ist hier aber weit zu fassen. Auch meine Geschichte ist zwangsläufig subjektiv, da von persönlicher Erfahrung geprägt. Selbst Nachrichten sind nie wirklich objektiv; sei es durch die Wortwahl ("feiger Hinterhalt" - ein Hinterhalt ist nie feige, sondern im Allgemeinen ein kriegerisches Mittel von personell Unterlegenen, also eher ein Ausgleich der Chancen), sei es durch die Häufung (wie oft hört man vom Krieg im Kongo im Vergleich zum Ukraine-Krieg). Ich meine das nicht wertend; es ist einfach eine Tatsache.

      Was ich aber bezweifle ist die Macht der Sprache, über mehr oder weniger objektive Berichterstattung hinauszugehen. Worte können tatsächlich eigentlich nicht adäquat wiedergeben, was für Todesangst meine Freundin gespürt haben muss. Ich kann beschreiben, was sie sieht, was für Reaktionen diese Todesangst an ihrem Körper auslösen (kalter Schweiß); ihre Gedanken kann ich eigentlich nicht schildern. Schlicht aus dem Grund, dass man in solchen Situationen nicht denkt. Es ist ein Irrtum sich den Mensch als unablässig denkendes Wesen vorzustellen; jeder der einmal völlig verliebt eine Frau geküsst hat (oder einen Mann), wird mir zustimmen. In solchen Momenten denkt man nicht - man fühlt.

      Im Moment der Todesangst scheinen Bilder an einem vorbeizuziehen; das ist aber kaum Denken, sonst wäre jeder Serienjunkie automatisch ein Geistesarbeiter.

      Sind Worte hierfür nicht ein reduktionistisches Korsett? Wenn ich "gelähmt vor Angst" schreibe, trifft es das wirklich (mal abgesehen davon, dass es auch schon etwas arg abgenudelt ist)? Wer hatte schon einmal wirkliche Angst? Ich meine nicht dieses wohlige Gruseln beim Schauen eines Krimis oder Horrorfilms (je nach Vorliebe) mit einer Tüte Chips in der Hand. Wirkliche echte Angst.

      Kann das wirklich so vermittelt werden, dass der Leser diese Angst empfindet?

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        #5
        Ich glaube, tatsächlich empfundene reale Todesangst kann man nicht fiktiv erzeugen. Egal, wie real das Vorbild dafür ist. Selbst wenn man über eigene Todesangst schreibt. Selbst wenn es Worte gäbe, die genau das vermittelten, weißt Du nie, ob es das ist, was der oder die andere tatsächlich empfunden hat, und ob Du genau das im Leser hervorrufst.
        Ob Du in einem Leser also genau die Gefühle hervorrufst, die Du oder jemand anders spezifisch in echt empfunden haben, ist also nicht überprüfbar. Meine Wahrnehmung von Rot ist nicht Deine Wahrnehmung von Rot. Trotzdem erkennen wir beide, welches Auto rot ist.
        Gefühle sind da sicherlich eine Nummer härter zu vermitteln, aber auch da hat man einen gemeinsamen Nenner (wortwörtlich).
        Was jemand in Todesangst tatsächlich empfindet, wird von dem Wort Todesangst wahrscheinlich nicht gespiegelt. Dennoch wissen wir alle, was mit dem Wort gemeint ist. Alle haben davon eine Vorstellung, und vielleicht erreicht das Wort allein die meisten Leser. Ich habe für wenige Sekunden etwas erlebt, was ich mit "tiefster Hoffnungslosigkeit" nur schwer beschrieben finde und was ich sehr treffend beschreiben könnte, aber nicht werde, denn es war mein Gefühl, das ich nicht zur Diskussion stellen würde. Niemand kann teilen, was die Frau individuell empfunden hat. Ihre Gedanken gehören ihr, und vielleicht war das in dem Moment auch das einzige, was ihr gehörte. Vielleicht konnte sie sich dort ein Stück weit retten.
        Kann jemand, der etwas selbst nicht in derselben Art empfunden hat, die beschreibenden Worte eines anderen treffend verwenden/verstehen oder muss er auf eigene Bilder, Metaphern, Ideen, Empfindungen zurückgreifen, um ein solches Gefühl authentisch zu schildern? Ich könnte wahrscheinlich eher dem Autor, der seinen eigenen Empfindungen und Bildern vertraut, in die Dunkelheit folgen (oder Helligkeit). Ich würde mit dem zu arbeiten versuchen, das ich erfassen kann.
        Es ist nicht die Sprache, die da versagt, es ist die Individualität, die individuelle Empfindungen in ihrer individuellen Ausprägung unvermittelbar macht. Muss nicht die Todesangst sein, es kann auch ein positives Gefühl sein. Sehnsucht, Begehren, Glück.
        Zuletzt geändert von Dodo; 26.03.2024, 16:58.

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          #6
          Ich würde sagen, Sprache ist "nur" das Transportmittel zum Menschen, in dem die Worte zu Gefühlen umgewandelt werden. Ein Beispiel:

          Stell dir Mandeln vor, die in der heißen Kupfertrommel eines Mandelbrenners rasselnd umherfliegen, während er sich stetig dreht. Jetzt kommt mit leisem Rauschen der Zucker dazu und etwas Wasser. Jetzt noch etwas Gewürze. Nach und nach wird der Duft der warmen Mandeln vom süßen und leicht herben Aroma heißen Karamells überlagert, in dem gut wahrnehmbar die Gewürznoten mitschwingen.

          Allen, die gebrannte Mandeln mögen und ihren Duft jemals selbst wahrgenommen haben, dürfte jetzt ein wenig das Wasser im Mund zusammenlaufen. Warum? Weil die Worte in diese Situation zurückversetzen. Sie wecken Erinnerungen. Und diese sind es auch, die aus einfachen Worten Gefühle machen. Wenn du nachts jemals selbst das Gefühl hattest, durch eine einsame Straße von jemandem verfolgt zu werden, wird sich ziemlich sicher auch dein eigener Puls, deine eigene Atmung beschleunigen, wenn es der Figur in einer Geschichte so ergeht. Um ihre Angst nachempfinden zu können, muss man nicht einmal exakt die gleiche Situation erlebt haben, eine ähnliche genügt.

          Es gibt gewisse Empfindungen, die universell sind, auch wenn sie je nach Situation und Mensch variieren: Angst, Freude, Trauer, Wut usw. Sie können wir wie Primärfarben mit unseren Worten, unserer Fähigkeit Bilder zu erzeugen und den Erinnerungen der Lesenden (etwas Empathie schadet auch nicht) zu immer neuen Gefühlen mischen.

          Wenn man diese Theorie zusammenfasst, bedeutet das auf Geschichten bezogen also: Worte werden durch Erinnerungen und Erfahrungen zu Gefühlen. Im Umkehrschluss können Gefühle erst dann entstehen, wenn wir ihnen als AutorInnen eine Nährgrundlage geben.
          "A writer is a world trapped in a person." Victor Hugo
          "Writing is hard work; it's also the best job I've ever had." Raymond E. Feist
          "Be inspired by others, but when you sit down to write, knock down any walls of doubt, and write like only you can." Lucy Knott

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          • Nachtmahr
            Nachtmahr kommentierte
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            Ich hab ja nicht gesagt, dass es nur die beschriebene Reaktion auslösen kann.

            Nahrungsmittelallergien kenn ich zum Glück nur aus dem Umfeld, aber die Schwierigkeiten die Allergene zu umgehen sind teilweise ... na ja.

          • magico
            magico kommentierte
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            Ich wollte auch nicht sagen, dass du das gesagt hättest, um nicht zu sagen, du hättest gesagt, dass du das nicht gesagt hättest ... oder so. Ich wollte nur aufzeigen, wie verschieden die Reaktionen ausfallen können und dass es kein Patentrezept gibt.

          • Nachtmahr
            Nachtmahr kommentierte
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            Alles gut. Sicher gibt es kein Patentrezept.

          #7
          Kann das wirklich so vermittelt werden, dass der Leser diese Angst empfindet?
          Ist das den überhaupt das Ziel? Wenn ich das richtig verstanden habe, willst du keinen Horrorroman schreiben, bei dem der Leser sich so sehr in die Figur hineinversetzt, dass er hinterher nicht einschlafen kann, solche Geschichten aber trotzdem liest, weil er den Adrenalinrush mag, den er dabei bekommt. Sondern du willst vermitteln, was deine Protagonistin durchgemacht hat, weil du darauf aufmerksam machen willst, dass es da ein gesellschaftliches Problem gibt. Für letzteren Zweck ist ein bisschen emotionaler Abstand zum Geschehen vielleicht gar nicht so falsch?
          Poems are never finished.
          Just abandoned.

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          • Eisbart
            Eisbart kommentierte
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            Ja, das ist soweit richtig. Aber um die Geschichte sowie ihre und meine Reaktionen zu verstehen, sollte man unsere Gefühle nachempfinden können. Aus einer distanzierten Warte aus kann man vermutlich die Handlungen nicht nachvollziehen. "Schuld und Sühne" ist im Grunde auch kein Krimi, stellt aber sehr deutlich die inneren Monologe, die Gründe für den Antrieb Raskolnikows in den Vordergrund.

          • magico
            magico kommentierte
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            Aber so geht es am Ende allen die schreiben. Sie können nur versuchen, möglichst genau die Gefühlswelt bei den Lesenden auszulösen, die sie sich beim Schreiben gedacht (oder irgendwann mal miterlebt) haben. Und auch dann wird man nie wirklich alle gleichermaßen erreichen.
            Worte können eine immense Kraft haben, aber sie können auch genau das Gegenteil bewirken, wenn der gewünschte/angedachte Effekt ausbleibt.

          #8
          Ich werfe mal meinen Hut in die Runde:

          Die Gedanken sind blitzschnell und flitzen voraus, denn ihr Träger sind elektrische Impulse. Für sie ist die Sprache das ideale Medium. Die Gefühle sind langsam, bauen sich auf und geraten allmählich ins Fließen, ihre Träger sind vor allem die Hormone. Aber das heißt nicht, dass die Gefühle machen, was sie wollen. Sie folgen vielmehr unseren Gedanken, wenn diese lange genug in eine bestimmte Richtung gegangen sind. Deswegen nimmt uns dieselbe Geschichte weitaus mehr mit, wenn sie langsam und detailliert erzählt wird, und in uns wächst eine Beziehung zu einer Figur, wenn wir mehr über sie lernen und uns wirklich in sie hinein versetzen können, wenn das, was erzählt wird, eine Tiefe, ein Gewicht, eine Bedeutung etc. bekommt. Anders ausgedrückt, unsere Gedanken sind schlussendlich das Fundament unserer Gefühle. Stell dir die Bestürzung eines Mannes vor, der nach einem schweren Sturm eine Hütte einstürzen sieht, und der daran denken muss, das war seine geliebte Hütte, er hat sie selbst im Schweiße seines Angesichts gebaut etc. Es ist nicht das Bild, das diese Szene emotional machen wird, sondern es sind tatsächlich diese Gedanken des Mannes.

          Bestimmte andere Gefühle brauchen nicht so viel Zeit, um zu wachsen, wie eben die Panik, wenn der Bär angerannt kommt (verfolgt werden kann man das nicht nennen, Bären sind ganz schön schnell 🤐) Angst wächst so schnell, weil sie sich ebenfalls unseres Nervensystems bedient. Sie wird umso stärker geschürt, je unmittelbarer und intensiver die Gedanken sich anfühlen, d.h. indem du das, was du beschrieben hast, möglichst echt beschrieben hast, über mehrere Sinneskanäle ("sie fühlte den kalten Schweiß auf der Stirn" etc), und gerne geballt, in wenigen Sätzen, was uns das Gefühl eines schnellen Geschehens gibt. Auch das sind - für sich betrachtet - alles nur Gedanken.


          In beiden Fällen bedienst du dich letztendlich natürlich der Empathie deiner Lesenden, das ist die unabdingliche Grundlage. Aber du kannst diese Empathie anstacheln und schüren, und das tust du durch Gedanken. Probier damit herum, was bestimmte Gedankenkomkpositionen in dir auslösen, und du wirst sehen, dass du es gar nicht nötig hast, die Gefühle, auf die du abzielst, groß zu beschreiben.

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