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Moralisch fragwürdige Charaktere

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    #16
    Was ich als Autor/Leser spannend finde, sind Charaktere die für mich glaubwürdig sind. Lese ich ein Buch in dem ein Serienkiller (oder Pirat ) so nachvollziehbar in seiner Psyche --> Handlungen beschrieben ist, das ich es abkaufe, vielleicht sogar mitfiebere dann hat der Autor sein Ziel erreicht. Die Frage ist dann für mich als Leser wie moralisch ich selbst bin, was meine Moral (jenseits der gesellschaftlichen) ist. Es sind ja nicht die Figuren der Unmoral/Moral, sondern das, was ich als Leser damit mache. Was interpretiere ich da hinein? Verstehe ich das sogar?

    Generell bin ich kein Fan davon Gewallt darzustellen, nur der Gewalt wegen. Ich bin eher ein Abnehmer von gut durchdachten, psychologisch schlüssigen Figuren/Büchern. Figuren die mir nahe gehen, auch wenn es schmerzt, weil ich mir eingestehen muss, dass ich die Handlung von einem Mörder schlüssig finde. Das bringt einen an seine Grenzen und lässt einen dorthin schauen, wo man vielleicht nicht zu tief hingucken möchte. Es stellt Fragen, was Moral und Schuld ist, was Gut und Böse für einen persönlich ist und wie deckungsgelich das mit unserer Gesellschaft ist.
    Nein das war ich nicht.
    Ach so, das!
    Ja, das war ich.

    Kontakt: administrator@wortkompass.de

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      #17
      Mir fällt jetzt noch was ein zum Thema "Vergewaltigung nach langer Zeit auf See"

      Es liefe ja in dem Fall so ab, dass ein Mann monatelang auf einem Schiff nur unter anderen Männern lebt. Dann kommt er zurück an Land und will nur noch eins: Sex. Wenn er aber deshalb eine Frau vergewaltigen würde, obwohl es genügend Freiwillige gäbe (durch Prostitution oder weil die ein oder andere von den harten Piraten-Kerlen fasziniert ist und sich einen krallen will, also ich denke, an Angeboten müsste es am Tag der Schiffsankunft nicht mangeln), müsste er ja mit der puren Absicht der Vergewaltigung von Bord gehen. Und da ist dann die Frage: Wieso eigentlich?

      Andererseits, wenn man überlegt, dass es in isolierten Situationen - also Gefängnis, Jungs-/Mädcheninternat, etc - häufig zu gleichgeschlechtlichem Sex bzw Vergewaltigung unter Heterosexuellen kommt, könnte der Pirat ja bereits auf See tätig geworden sein, wenn er es gerade furchtbar nötig gehabt hat. Muss ja nicht immer aufgezwungen sein, ganz nach dem Motto: was in Vegas passiert, bleibt in Vegas.

      So! Psychositzung beendet (hatte nur 5 Stunden Schlaf und war gerade mal schwer am Denken^^)

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      • Kelpie
        Kelpie kommentierte
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        Wie meinst du das mit dem "aus Umständen heraus"? Also quasi nicht von langer Hand geplant, sondern so "passiert"?

        Ich bin am Überlegen, ob ich den Täter nochmal zu Wort kommen lassen soll. Kläger und Täter laufen sich nämlich bald darauf über den Weg und dann könnte der Täter es ein bisschen richtig stellen. Ich hab nur Sorge, dass das zu viel Aufmerksamkeit auf eine Nebenhandlung lenkt bzw. den Täter nur noch schlechter darstehen lässt.
        Zuletzt geändert von Kelpie; 07.09.2017, 08:11.

      • Amilyn
        Amilyn kommentierte
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        Genau, wenn eine Vergewaltigung passiert, und dann ist es eben nicht der Psycho, der einen inneren Zwang hat oder seine Macht demonstrieren will, sondern jemand, mit dem man sich möglicherweise schon identifiziert hat, ihn sympathisch findet und plötzlich kommt er in eine Situation, in der ihm die Sicherung durchbrennt. Das könnte eben die Stimmung des Lesers kippen lassen.

      • Kelpie
        Kelpie kommentierte
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        Oder aber der Leser erwischt sich dabei, dass die eigenen Grenzen verschwimmen Sowas wäre immer optimal.

        ... oder aber der Leser verzeiht es einfach, weil die Gründe einigermaßen triftig sind (wenn auch nicht entschuldbar).

      #18
      Es ist bereits Jahre her, dass ich es gelesen hab, aber was ist denn mit "Das Parfum" und dessen Protagonisten Grenouille? Das touchiert das, was du meinst, vielleicht nur am Rande, aber ich finde, es ist ein gutes Beispiel, für einen ekelerregenden, unmoralischen (? --> Motivation des Protagonisten aus seinen Augen teilweise gerechtfertigt; andere Weltsicht) Protagonisten, der von den Lesern akzeptiert wird.
      "Dann glauben Sie mir also?", fragte Bastian.
      "Selbstverständlich", antwortete Herr Korander, "jeder vernünftige Mensch würde das tun." - Michael Ende

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      • Curiosus
        Curiosus kommentierte
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        So wie Vickie hätte ich es auch formuliert. Aus der anderen Perspektive heraus wäre nunmal zum Beispiel die Person Protagonist, die Grenoiulle zu fassen versucht.

        Dass er starke persönliche Macken hat, schließt es ja nicht aus, dass er Prota ist
        Das war nicht die Aussage, sondern ein Gedankenspiel, was wäre, wenn Grenouille der Antagonist wäre. Selbstverständlich müssen Protagonisten keine Heiligen sein. Man muss sich nur mal Shakespears MacBeth ansehen, der sich durch das Stück mordet und dennoch Protagonist ist, jedoch (ebenso wie G. von den anderen als Antagonist angesehen wird). Alles eine Frage der Perspektive.
        "Der Antagonist ist der Protagonist der anderen Seite."

        "Piraten, die nicht nur morden, rauben und vergewaltigen, sondern spezifische (wenn auch teils triebgesteuerte) Gründe für alles haben.
        Was lehrt uns das über die Konzeption des Antagonisten? Wie genau muss er geplant werden?"
        -
        Genau im Negativ Meine Antagonisten sind auf den ersten Blick brave Leute, bei denen erst auf den genauen Blick auffällt, dass ihre Haltung und Taten mindestens ebenso schamlos und unmoralisch sind.
        Da meinen wir doch beinahe das Gleiche, nur mit verschobenem Fokus. Das erste Zitat sagt aus, dass ein Antagonist niemals flach sein sollte, sondern Motive für sein Handeln haben muss. Dein Zitat (wenn ich es richtig verstanden habe), sagt aus, dass deine Antagonisten nicht flach sind, und, dass jeder Antagonist sein kann. Das wiederum deckt sich mit dem Gedankenspiel und dem Ergebnis dessen oben.

      • Kelpie
        Kelpie kommentierte
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        Hm, ich muss zugeben, dass ich bei dem Gedanken Grenouille = Antagonist vorausgesetzt habe, dass er keine eigene Perspektive besitzt. In dem Fall bin ich nach wie vor davon überzeugt, dass die Figur nicht funktionieren würde, weil dem Leser viel zu viele Einblicke fehlen, um ihn zu verstehen. Er ist schließlich alles andere als gewöhnlich und "bekannt", sodass man dazu neigen würde, ihn in Muster zu stecken, die aber nicht wirklich zutreffen.

        Aber ganz generell, in meinen Augen würde er als Antagonist nie wirklich gut funktionieren. Indem er Protagonist ist, ist Süskind die Leistung gelungen, den Leser bzw. die Gesellschaft zum Antagonisten zu machen: Jeder sieht, dass Grenouille Dinge tut, die moralisch völlig verkommen sind und hoffentlich wird das jeder verurteilen. Die kurz auftauchenden Gegner von Grenouille sind dabei nur kleine Teile aus "der Gesellschaft", zu der auch der Leser gehört.
        Indem Grenouille zum Antagonisten würde und die Rolle des Protagonisten jemand einnehmen muss, der fest im Roman verankert ist, geht diese gesellschaftliche Rolle aber weg: Sie wird bereits vom Protagonisten erfüllt, dieser vertritt die Ansicht des Lesers und erlaubt es diesem, aus dem Roman herauszutreten. Während sich der Leser in der aktuellen Fassung selbst mit Gut und Böse, mit Moral und Unmoral beschäftigen muss, während er in den Kopf dieses Psychopaths schaut, ist ein gefühlskalter, unmoralischer Antagonist überhaupt nichts Neues, und der Leser ist einmal mehr nur Beobachter, wie dem Bösen ein Ende gesetzt wird. Vollkommen gleichgültig, aus welchem Grund der Antagonist so geworden ist, wie er nun ist - immerhin gibt es in der Literatur Unmengen an Bösewichten, die eine schlechte Kindheit und besondere, unmenschliche Fähigkeiten hatten. Was unterscheidet dann Grenouille noch von Voldemort z.B.?

      • Victoria
        Victoria kommentierte
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        Kelpie

        Grenouille würde als reiner* Antagonist funktionieren. Sowohl mit eigener als auch ohne eigene Perspektive. Mit entsprechenden Erzähltechniken und etwas Geschick bekommt man auch Grenouilles Charakter und Gedanken übermittelt.

        * Die Gesellschaft ist nicht der Antagonist, Grenouille selbst ist Protagonist und Antagonist. Die Gesellschaft ist der Rahmen für ihn.

        In Süskinds Roman habe ich mich nie auf der Seite der Gesellschaft gezogen gefühlt. Um deiner Hoffnung entgegenzuwirken: Ich verurteile Grenouille auch nicht. Im Gegensatz zu ihm sind die Nebenfiguren wirklich "böse" (= moralisch schlecht), da sie es willentlich machen. Es fängt schon damit an, dass die Mutter ein Kind gebiert und keinen Bock hat, die Verantwortung für dieses Wesen zu tragen. Willkommen auf der Welt, Grenouille. Zwischen Fischresten und dazu verdammt, im Fluss versenkt zu werden. Seine Kindheit und Jugend wird von Demütigung geprägt; sein starker Wille hat ihn überleben lassen. Seine Neugier und die Wissbegier treibt ihn weiter. (Zu Anfang hat er ja auch eine Prostituierte bezahlt, damit er seine Experimente machen kann, aber sie war ja nicht wirklich kooperativ.)

        Ich bin da viel näher an Grenouille als an den Personen aus der Gesellschaft, die die Todsünden verkörpern. Ich gehöre als Leser nicht zu den kleinen Teilen der Gesellschaft. Mit Habgier, Geiz, Jähzorn, Faulheit, Völlerei usw. kann ich mich null identifizieren. Ob sich der Leser auf Grenouilles oder auf der Seite der Gesellschaft steht, kann auch niemand festlegen. Es gibt immer jemanden, der sich mehr mit gesellschaftlichen Außenseitern identifizieren kann. Es gibt immer jemanden, der sich lieber mit dem Antagonist als dem Protagonist identifizeirt. Und diese "jemande" sind nicht selten.

        (OT: Ich hab mich mal mit PoC-Leser unterhalten, die sich nie mit den Protagonisten identifizieren konnten, weil diese so weiß und schön waren, und sich in die Rolle des Antagonisten gedrängt gefühlt haben.)


        Zurück zu Grenouille als Antagonist. Mit einem neuen Protagonisten wird die Geschichte funktionieren. Auch mit einer anderen Figur aus Süskinds Roman als Protagonist würde es funktionieren. Seine Figuren sind alle durchdacht und tiefgründig. Nur Ziel und Motivation müssen vielleicht konkretisiert werden.

        Aber es ging ja nicht darum, bloß die Perspektive von Süskinds Figuren zu tauschen, sondern darum, ob Grenouille ein flacher Antagonist wäre. Flach ist er auf keinen Fall, und funktionieren tut er als Antagonist in jeder Hinsicht auch.
        Zuletzt geändert von Victoria; 07.09.2017, 09:45.
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