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Unzuverlässiges Erzählen

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    Unzuverlässiges Erzählen

    Aus meinem Vorstellungs-Thread hat sich ein neues Thema ergeben, es geht dabei um die Technik des Unzuverlässigen Erzählens. Klingt für manche vielleicht erstmal seltsam, ich dachte früher, bevor ich wusste, was das ist: Wozu soll man etwas lesen, was gar nicht glaubwürdig ist? Das Konzept dahinter finde ich aber ziemlich cool.

    Es gibt einige Filme, die mit dieser Technik arbeiten (z.B. "The Others", "The Sixth Sense"), und natürlich auch Romane, z.B. von Hakan Nesser "Eine ganz andere Geschichte" (hier weist schon der Titel darauf hin), "Shutter Island" von Dennis Lehane, Frank Schätzings die Kurzgeschichten "Kricks Bilder" und "Vrooomm" (aus dem Band "Keine Angst").
    Dodo hatte als Film noch "Rashomon" genannt, flashesofnonsense den Film „Memento“.

    Während des Erzählens, meist am Ende, ändert sich die Perspektive, und alles bisher Erzählte erscheint nun in einem anderen Licht. Der Wahrheitsgehalt des bisher Erzählten wird dadurch in Frage gestellt bzw. komplett negiert. Ich will gar nicht weiter auf einzelne Romane oder Filme eingehen, weil das ja Spoilern wäre.

    Was haltet ihr von solchen Plots? Und habt ihr selbst schon mal solche Geschichten geschrieben?

    #2
    Ich finde den Effekt ganz nett, aber er verpufft eben auch nach dem ersten Lesen/ Schauen. Ein zweites Mal kann man dann nur noch darauf achten, ob man Hinweise auf diesen Twist findet und wie es umgesetzt ist. Z.B. bei Sixth Sense ergeben sich dadurch dann leider schon einige Plotlöcher.

    Wichtig wäre mir also, dass die Geschichte tatsächlich noch glaubhaft ist, wenn man die Wahrheit kennt, sich die betreffende Person also aus beiden Perspektiven heraus logisch verhält. Und die Geschichte auch neben dem Twist genug zu bieten hat, dass sich ein Wiederlesen lohnt. Wenn ich es selbst schreiben würde, würde ich daher versuchen, Dinge einzubauen, die man eben erst bei einem solchen zweiten Lesen entdeckt und versteht.

    Ich habe mal grob eine Geschichte geplottet, die wohl auf einen unzuverlässigen Erzähler hinausgelaufen wäre, aber habe sie nie weiterverfolgt.
    Poems are never finished.
    Just abandoned.

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      #3
      Zitat von Ankh Beitrag anzeigen
      Ich finde den Effekt ganz nett, aber er verpufft eben auch nach dem ersten Lesen/ Schauen. Ein zweites Mal kann man dann nur noch darauf achten, ob man Hinweise auf diesen Twist findet und wie es umgesetzt ist.
      Ja, ich finde auch, dass das auf vieles zutrifft, z.B. auf das Beispiel von Hakan Nesser. Da hatte ich keine Motivation, das noch einmal zu lesen, weil sich der Effekt verbraucht hat. Aber z.B. "The Others" ist für mich ein wunderbar poetischer Fim, der auch beim wiederholten Schauen nichts von seiner Atmosphäre und seinem Spannungsbogen einbüßt. Genauso empfinde ich auch die beiden Kurzgeschichten von Schätzing nach wie vor als reizvoll. Wenn die Geschichte gut gemacht ist, funktioniert sie auch ohne den Perspektivwechsel-Überraschungseffekt.

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        #4
        Dieser Überraschungseffekt hat für mich schon seinen Reiz. Das Konzept kann für mich aber sogar funktionieren, wenn ich weiß, dass ich gerade etwas Unzuverlässiges aufgetischt bekomme. Einfach weil es keine objektive Wahrheit gibt und uns in der Realität überall subjektiv gefärbte Geschichten begegnen.
        Hab mal nen spannenden Vortrag dazu gehört, wie Erinnerungen im Gedächtnis abgelegt und teilweise eben auch in eine bestimmte Story eingebaut werden, die man sich selbst erzählt. Oder wie sie durch die öffentliche Deutung der geschichte auch im eigenen Kopf ne andere Wertung bekommen. ((ist schon etwas her, deshalb hört sich das jetzt wie wirres Gefasel an..)
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        Denke da z.B. an den Film "Barney's Version": https://www.youtube.com/watch?v=97aRsnHy76M , bei dem die Unzuverlässigkeit quasi schon im Titel verankert ist. Gibt hier (soweit ich mich erinnere) auch keine Auflösung/Gegenüberstellung mit der "objektiven Realität" bzw. einem anderen Blickwickel, dennoch hat der Film für mich sehr gut funktioniert, in dem Wissen, dass das Erzählte eben eine durch Barneys Bewertung oder sein Storytelling gefärbte Darstellung ist.

        Bei ner Story mit Überraschungseffekt sollte die Konsistenz insofern vorhanden sein, dass die Ereignisse und das Verhalten der Charaktere auch unter dem zusätzlichen Wissen noch Sinn machen. Sonst komme ich mir als Leser/Zuschauer im Nachhinein schon ein bisschen veralbert vor, was die Story dann irgendwie auch entwertet.

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          #5
          Ich denke, diese Technik nur auf ihren Überraschungseffekt/Twist zu reduzieren, nimmt von den Möglichkeiten, die sie bietet.

          Ich selbst benutze unzuverlässige Erzähler öfter, aber auf einer anderen Ebene: Ich schreibe sehr nah an der Figur, zwar vermeide ich Ich-Perspektive, aber dafür ist diese Erzähltechnik wie geschaffen und macht die Figur als Erzähler authentischer. Denn die Figur=Erzähler weiß nicht alles, sieht nicht alles und - wichtiger noch - will nicht immer alles wahrhaben. In dieser Weise ist für ein Deep PoV/Ich-PoV ein unzuverlässiger Erzähler der offensichtliche Modus Operandi, besonders wenn sich die Geschichte um das Innenleben bzw psychologische Entwicklung der Figur dreht und dort ein starker Konflikt vorherrscht. Ein innerer, psychologischer Konflikt kann einer sein, der es der Figur in gewissem Rahmen unmöglich macht, die Welt objektiv zu betrachtet. Abgesehen davon, dass kein Mensch die Welt wahrlich objektiv betrachtet, man hat immer seine eigene Sichtweise auf die Dinge und manchmal ist diese nicht sehr nah an der Realität, sondern näher einem Wunsch. Ein unzuverlässiger Erzähler schreibt das ins Leben.
          In dieser Weise benutze ich unzuverlässige Erzähler häufig, da ich oft aus der Sicht von Figuren schreibe, die eine starke eigene Sicht auf die Dinge haben. Dabei gibt es am Ende meiner Geschichten in der Regel keinen Twist oder Aha!-Moment, der aufklärt, dass alles nur Illusion oder Täuschung war. Es ist eben die Sicht eines Einzelnen, mehr eine Interpretation der Geschichtsrealität als eine getreue Widergabe derselben.

          In diesem Sinne ist unzuverlässiges Erzählen ein starkes Werkzeug um Figuren und eine Art ihrer Konflikte zu bauen, zu erkunden und darzustellen.
          Ayo, my pen and paper cause a chain reaction
          to get your brain relaxin', the zany actin' maniac in action.
          A brainiac in fact, son, you mainly lack attraction.
          You look insanely whack when just a fraction of my tracks run.

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            #6
            In-Genius
            Also in etwa so wie Hoffmanns Subjektivismus? Bei ihm ist ja auch letztlich nicht klar, ob man der Wahrnehmung der Figuren glauben darf oder ob sich da in die Wahrnehmung Fantasie oder Wahn mischen.

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            • In-Genius
              In-Genius kommentierte
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              Ja, so kann man das sehen.

            #7
            In einem meiner Projekte spiele ich genau mit diesem Effekt. Der Ich-Erzähler steht oft unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen, sodass der Leser (hoffentlich) irgendwann nicht mehr zwischen Wahnvorstellung und Realität unterscheiden kann.
            http://www.wandern-mit-kindern-in-thueringen.de

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              #8
              Als Beispiel fällt mir noch der Film "Das geheime Fenster" mit Johnny Depp ein, da wird der Effekt m.E. hervorragend umgesetzt.

              Ich war nie ein großer Freund des unzuverlässigen Erzählers, aber so wie er hier dargestellt wird und insbesondere von In-Genius verstanden wird, so hat er durchaus seinen Reiz. Ich würde sogar soweit gehen zu sagen, dass sehr enge Figurenperspektiven automatisch zu einem unzuverlässigen Erzähler werden müssten, da, wie oben schon gesagt, ja niemand eine objektive Wahrnehmung besitzt. Sehr interessant kann dieser Effekt beispielsweise bei mehreren Perspektiven werden, wenn durch die divergierende Wahrnehmung der POVs eine Spannung aufgebaut wird. Unter diesem Aspekt habe ich den unzuverlässigen Erzähler wohl auch schon verwendet.

              Übertreibt man es allerdings mit dieser Perspektive, dann wird das Ganze schnell zu etwas Lästigem. Ist der Erzähler etwa in der Hinsicht unzuverlässig, dass absurde Dinge passieren oder sehr befremdliche Haltungen eingenommen werden, die Geschichte kafkaesk wird, dann hat das in meinen Augen nur wenig Chancen auf Erfolg, da sich der Effekt seit Kafka stark abgenutzt hat und der allgemeine Trend der Leserwünsche mittlerweile in eine andere Richtung tendiert.
              Derweilen ist auf dem Feld schon alles gewachsen, bevor die wussten, warum und wie genau es gedeiht. - Franziska Alber

              So nah, so fern.

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                #9
                Zitat von Kelpie Beitrag anzeigen
                Als Beispiel fällt mir noch der Film "Das geheime Fenster" mit Johnny Depp ein, da wird der Effekt m.E. hervorragend umgesetzt.
                Das sehe ich auch so.

                Zitat von Kelpie Beitrag anzeigen
                und der allgemeine Trend der Leserwünsche mittlerweile in eine andere Richtung tendiert.
                Kannst du noch konkreter sagen, in welche Richtung der Trend geht?

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                  #10
                  Kannst du noch konkreter sagen, in welche Richtung der Trend geht?
                  Da wir hier ausschließlich von Perspektive sprechen: Sehr tiefer personaler Erzähler (1. und 3. Person), mitunter mit mehreren POVs. Man entfernt sich immer weiter vom auktorialen, der im letzten Jahrhundert noch sehr gebräuchlich war. Von dem würde ich mittlerweile aber jedem Autor abraten, der nicht bereits einen Fuß in der Buchwelt hat.
                  Derweilen ist auf dem Feld schon alles gewachsen, bevor die wussten, warum und wie genau es gedeiht. - Franziska Alber

                  So nah, so fern.

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                    #11
                    Also ich weiß nicht, ob das jetzt auch dazu zählt, aber das schlimmste Buch, welches ich jemals in meinem Leben gelesen habe hatte den Plot sinngemäß so:

                    Frau sucht den Mörder ihrer besten Freundin
                    wird selbst zum Detektiv und das ganze Buch dreht sich darum, dass sie unbedingt den Mörder finden will und wie gesagt viel unternimmt usw.
                    am Ende des Buches urplötzlich die Erkenntnis: upps, ich war die Mördern, denn ich bin ja shizophren!
                    Nur registrierte Nutzer können diesen Inhalt sehen.


                    Das regt mich bis heute noch auf. So wie es In-Genius erzählt hat, finde ich es aber auch wieder cool und zumindest lässt sich ja bei verschiedenen POV´s sehr gut mit der eigenen Wahrnehmungsrealität oder subjektiven Schlüssen spielen. Aber eben nur bis zu einem gewissen Grad. (Sixth Sense sollte ich vielleicht auch nochmal gucken, obwohl ich den Plot Twist schon weiß)
                    "Angst schließt das Licht in Dunkelheit ein, Mut ist der Schlüssel." - KH.

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                    • Kunstmelodie
                      Kunstmelodie kommentierte
                      Kommentar bearbeiten
                      Kelpie naja, aber wenn im gesamten Buch über so gar keine Andeutungen etc sind, du dich die ganze Zeit fragst, wer der Mörder ist und dann heißt es auf den letzten paar Seiten, uppsi, das war ich selbst, ich habe ja Schizophrenie? Sorry aber ne, da bin ich raus.
                      Mag sein, dass es auch gut gemacht sein kann, aber das habe ich bisher leider noch nicht gesehen

                    • Kelpie
                      Kelpie kommentierte
                      Kommentar bearbeiten
                      Definitiv wahr, wenn man schon so ein Buch schreibt, dann muss man solche Andeutungen auf jeden Fall mit reinbringen. Der Leser sollte bei einer zweiten Lektüre, wie Ankh auch schon sagt, dann die kleinen Hinweise zumindest erkennen und den Autoren für seine Pfiffigkeit bewundern können

                    • Badabumm
                      Badabumm kommentierte
                      Kommentar bearbeiten
                      Ein Klassiker für dieses Thema wäre der Film "Angel Heart", den man trotz guter Schauspieler (deNiro: exzellent!) nicht zweimal sehen kann.

                    #12
                    Zitat von Kunstmelodie Beitrag anzeigen
                    das schlimmste Buch, welches ich jemals in meinem Leben gelesen habe
                    War das eins von Nicci French?

                    Das klingt auf jeden Fall nach einer sehr billigen Auflösung. Zu simpel finde ich auch das Prinzip: „...war alles nur ein Traum“.

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                    • Kunstmelodie
                      Kunstmelodie kommentierte
                      Kommentar bearbeiten
                      nein, nicht soweit ich weiß.
                      ja genau. Gott jetzt werde ich erstmal recherchieren, weil ich den Titel falsch im Kopf hatte, zumindest findet Amazon nichts, aber ich will Autor und titel nochmal wissen!

                    #13
                    Zitat von Elementargeist Beitrag anzeigen
                    Zu simpel finde ich auch das Prinzip: „...war alles nur ein Traum“.
                    Oh ja! Wird auch in Serien gern genutzt und nervt fast immer!

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                      #14
                      Zum Thema Schizophrenie und/oder "war alles nur ein Traum" fällt mir noch das ausgelutschte "hat unter Hypnose" gehandelt ein.
                      http://www.wandern-mit-kindern-in-thueringen.de

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                        #15
                        Wobei im Zusammenhang mit dem Mesmerismus bzw. Magnetismus bei E.T.A. Hoffmann
                        Zitat von magico Beitrag anzeigen
                        das ausgelutschte "hat unter Hypnose" gehandelt.
                        noch sehr originell verarbeitet wurde, z.B. in seinen Erzählungen „Das öde Haus“ und „Der Magnetiseur“.

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                        • magico
                          magico kommentierte
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                          Zu diesen Zeiten war das auch noch originell.
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