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Stigmatisierung von Menschen oder Einschränkung der künstlerischen Freiheit?

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    Stigmatisierung von Menschen oder Einschränkung der künstlerischen Freiheit?

    Anfang letztes Woche gab es eine Diskussion um ein das Marketing von Fitzeks Roman Der Insasse. Damit sich die Vorableser gruseln, werden diese zum Lesen in eine Irrenanstalt gesperrt. Ich glaub, handelte sich um eine forensische Psychiatrie (dieselbe, in der der Roman auch spielt). Ich kenne mich nicht mit Psychiatrien aus, aber das Bild, das durch den Titel (handelt es sich – weil es Straftäter sind – um Insassen oder eher um Patienten?), Klappentext und Marketing-Gag reproduziert wird, erinnert mich an Psychiatrien aus dem letzten Jahrhundert … oder aus Horrorfilmen oder Videospielen.

    Für mich hat es einen schlechten Nachgeschmack, auch wenn es ein Thriller ist. Ich sehe es aber auch sehr kritisch, wenn über man über Minderheiten schreibt (sei es ethnisch, sozial, religiös oder sexuell …), da man bei Unachtsamkeit in die -ismus-Schiene rutschen kann. Ich hab das Gefühl, dass in den letzten Jahren offener über people of colors geschrieben wird, aber Ableismus steckt unbemerkt in Romanen drin. (Vielleicht lese ich auch nur die "falschen" Romane.)

    Was denkt ihr dazu? Inwiefern sollte man die Lesererwartungen bedienen, inwiefern entgegenarbeiten? Inwiefern schränkt es eure Freiheit als Autor ein? Was das Gefühl von Einschränkung angeht, hat eine Autorin darüber berichtet. Ist es ein Verlust, wenn man auf Themen/Worte/Ideen "verzichten muss"? (Letztens hatte ich auch eine Diskussion über "Jedem das Seine" verfolgt.)

    Ich kann ihre Position verstehen, und dennoch denke ich, dass in unserem fortschrittlichen 2018 immer noch viel zu viele Menschen übergangen werden. Die Insassen von Klapsmühlen zum Beispiel. Wo ist für euch die Grenze zwischen Achtsamkeit und Einschränkung?


    #2
    Ich finde es albern, wenn man einen Weißen dafür kritisiert, dass er Dreadlocks trägt, weil es eine kulturelle Enteignung sei. Da zielt man über das Ziel hinaus. Kunst lebt davon, dass man auch mit Dingen spielt, aber man sollte es mit Respekt tun.
    Ich fand den Streit um das Gomringer-Gedicht, was Berlin bewegte, nur albern, weil man den Text sexistisch interpretieren kann, aber die Interpretation liegt beim Leser. Ich finde andere Gomringer-Gedichte besser, aber das ist Geschmacksache.

    Achtsamkeit erwarte ich auch bei dem, der sich lautstark über etwas aufregt. Er sollte den Text gelesen haben, bevor er seine Meinung lautstark hinausposaunt.

    In der politischen Debatte würde ich mir über mehr Achtsamkeit wünschen. In der Asyldebatte vergessen wir manchmal, dass wir Menschen sprechen, die Begriffe sind sehr technokratisch, manchmal ziemlich abfällig.
    Ansonsten wünschte ich mir mehr Neugier.

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    • Milch
      Milch kommentierte
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      Es ist natürlich nicht richtig, dass Schwarze wegen ihrer Dreadlocks diskriminiert werden, aber weiße nicht, gleiches Recht für alle.
      Aber das Aneignung von fremden Kulturen ist menschlich und eine der Grundlagen für Kunst.

    • Ena
      Ena kommentierte
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      Ja und nein. Ich denke, kultureller Austausch ist definitiv menschlich und wichtig. Die Frage ist aber in heutiger Zeit, wer davon profitiert. Wenn beide Seiten gleichermaßen profitieren: toll! Weiter so. Wenn aber nur der Weiße mit den Dreadlocks profitiert, oder das Modelabel von dem traditionellen Stil eines verarmten Bergvolks, dann ist das eben nicht wirklich unterstützenswert, meiner Meinung nach.

    • Milch
      Milch kommentierte
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      Der Weiße mit den Dreadlocks bereichert sich dabei nicht finanziell, er übernimmt nur etwas, was er gut findet, Dreadlocks, weil er Reggae hört. Soll er es doch tun.

      Wahrscheinlich übernimmt der Modekonzern es nicht ganz, sondern lässt sich davon inspirieren, sprich eine Modelinie mit Poncho, oder Hemden mit afrikanischen Mustern zur Standardhose. Wahrscheinlicher ist es, dass das Bergvolk selbst Jeans und T-Shirt trägt.

    #3
    Ich versuche in meinen Texten - wie auch im Leben - jeden erst einmal als Mensch wahrzunehmen. Ob die Hautfarbe, die Sexualität oder der Intelligenzgrad anders als meiner sind, hat ja über die persönliche Qualität der Person keine Aussage. Anders ist keine Wertung in sich selbst, sondern einfach nur "nicht ich". Das ist auch gut so.

    Wenn ich in meinen Texten bewusst jemanden in die -ismus-Schiene gebe oder über etwas Hartes schreibe (Mobbing, Vergewaltigung, etc), dann will ich immer deutlich machen, dass das die Figur so sieht/tut und nicht ich, und dass ich als Autor solches Verhalten kritisch sehe.
    Sollte mir das unbewusst passieren, will ich das gesagt bekommen, damit ich entsprechende Änderungen machen kann.

    Ich bin zwar dafür, das Kunst alles darf, aber der Künstler dahinter sollte mehr davon wollen als Aufmerksamkeit für sein Werk und sich auch seiner möglichen/tatsächlichen Botschaft bewusst sein.

    Ich denke nicht, dass es einschränkend ist, sich über den möglichen Einfluss seines Werkes auf andere Gedanken zu machen. Das gehört zum Kunstmachen dazu. Das gilt für positiven wie für negativen Einfluss.
    Es ist vermutlich dann einschränkend, wenn man es selbst nicht anders ausdrücken kann und dann sollte man vielleicht noch einmal in sich gehen und sein Weltbild anpassen.
    Ayo, my pen and paper cause a chain reaction
    to get your brain relaxin', the zany actin' maniac in action.
    A brainiac in fact, son, you mainly lack attraction.
    You look insanely whack when just a fraction of my tracks run.

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    • In-Genius
      In-Genius kommentierte
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      Deswegen ja "wenn's unbewusst passiert, bitte sagen." Natürlich kann man nicht alles vorrausahnen, das entbindet aber der Verantwortung nicht.

      Ich denke auch, es gibt da einen Unterschied zwischen Trubel bei der Erstveröffentlichung und Trubel Jahrzehnte später. Für Jahrzehnte später kann man schwer die Verantwortung tragen (sollte man überhaupt noch leben), man kann ja schlecht die Fortentwicklung einer Kultur berücksichtigen. Zeiten ändern sich eben, was soll man da als Künstler schon tun?
      Aber Trubel bei der Erstveröffentlichung muss man tragen und sich stellen, ob man's nun geahnt hat oder nicht. Das ist immerhin die eigene Gesellschaft und Kultur, da gehört man rein und dann muss man sich damit auch auseinandersetzen.

    • Dodo
      Dodo kommentierte
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      Ich denke auch nicht, dass man verhersagen kann, was in fünfzig Jahren ethisch en vogue sein wird. Den aktuellen, dreisten Verfall historisch gewachsener ethischer Erfahrungen und wissenschaftlicher Fakten hätte man auch vor fünfzehn Jahren nicht geahnt. Außer Ray Bradbury, Philip K. Dick, Wie-heißt-der-Typ-von-"Die Welle" etc ... Aber schuld sind sie trotzdem nicht, und man kann ihr Werk auch nicht am Heute (oder lieber Morgen) messen. Höchstens umgekehrt.
      Manchmal muss man auch den Interpreten an seiner Interpretation messen.

    • Milch
      Milch kommentierte
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      Trubel an sich ist nichts schlechtes. kommt darauf an, was der Auslöser für den Trubel ist. Kritik wegen Klischees ist kein guter Auslöser für einen Trubel.
      Zuletzt geändert von Milch; 14.07.2018, 12:45.

    #4
    Bei sensiblen Themen wie psychischer Gesundheit ist es mE wichtig, dass man als Autor die Menschenwürde auch seiner Figuren wahrt und dass die Kulisse für die Geschichte mehr als ein flacher Affekt-Gewinn beim Leser ist. Meinetwegen kann der Autor dann auch Bilder aus dem finsteren Psychiatrie-Mittelalter heraufbeschwören, sofern klar ist, dass es ein Bild ist, aber nicht unbedingt das Abbild der konkreten Wirklichkeit sein soll und ggf. sogar den respektlosen Umgang mit Kranken "anprangert" (btw ist eine forensische Psychiatrie nicht gerade ein Urlaubsziel für Jedermann). Manche Autoren spielen aber gerne unreflektiert mit überholten Klischees, weil es einfach ist und auch beim dröhnigsten Leser billigen Grusel bewirkt.
    Letztlich ist es Fingerspitzengefühl des Autoren, wie weit er sich in ethische (?) Untiefen vorwagt. Je weiter, desto besser recherchiert sollte es zumindest wirken und desto wichtiger wird das "wie" der Darstellung. Schreibt man auf Niveau eines trivialen Boulevardblatts, das die meisten Geschichten mit Fettdruck und Fotos erzählt, oder spitzfindige, gewitzte, mehrseitige, enggedruckte Reportagen, die mit wenigen, gelungenen Bildern illustriert ist? Ist das klar, weiß auch der Leser, worauf er sich einlässt. Oder nicht.

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      #5
      Pseudosatiren wie Schantall, tu ma die Oma winken sind für mich fast unerträglich, Kai Twilfer behauptet ja noch, das wäre alles authentisch. Das ist zum Fremdschämen. Leider nehmen es viele für bare Münze. Was manchmal unter der Rubrik Comedy angeboten wird, ist zum Kopfschütteln.

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        #6


        Ich finde es falsch, im vorauseilenden Gehorsam sich selbst zu zensieren, um unbequeme Diskussionen zu vermeiden. Der Unterschied, ob ich persönlich in meinem Werk etwas streiche oder nicht, liegt darin, ob ich in dieser zu erwartenden Diskussion gute Argumente habe, warum ich geschrieben habe, was ich geschrieben habe. Das heißt nicht, dass ich mit meiner Position Recht haben will. Aber als Autor ist es doch auch unser Job, unbequeme Themen anzusprechen und Diskussionen anzustoßen, und dazu muss man eben auch mal provozieren.

        Was ich doof finde, ist Provokation um der Provokation Willen. Ich weiß nicht, inwiefern das auf Fizeks Roman zutrifft, denn ich habe weder den gelesen noch weiß ich, was bei dieser Werbeveranstaltung in der Psychiatrie ablaufen soll. Vielleicht findet dort ja eine interessante Diskussion über Klischee und Wirklichkeit statt oder über die ethischen Probleme, Menschen gegen ihren Willen einzusperren und zu medikamentieren um sie selbst und ihr Umfeld vor ihnen zu schützen? Vielleicht will er zeigen, dass eine Psychiatrie ganz anders aussehen kann als die Gummizelle, die man gemeinhin vor Augen (und er auf dem Cover) hat.

        Achtsamkeit bedeutet für mich nicht, einen anderen wegen seiner Hautfarbe, Krankheit etc. auf einen Podest zu stellen, ein Absperrband drumzuziehen und eine Wache davorzustellen, damit ihn bloß nichts zu nahe kommt. Achtsamkeit bedeutet für mich, dass ich ihm auf Augenhöhe begegne und ihn nicht anders behandle als alle anderen auch, auch wenn das bedeutet, dass er in meinem Buch ein Antagonist ist, etwas Negatives tut oder auch mal stereotype Klischees erfüllt.
        In diesem Sinne ist es natürlich auch legitim, dass eine Psychiatrie mal (wieder) klischeehaft böse dargestellt wird. Die Frage ist eben, was der Autor damit erreichen will. Will er anprangern, dass es tatsächlich Institutionen gibt, in denen nicht immer korrekt mit den Insassen umgegangen wird? Will er das Bild verändern, dass die Öffentlichkeit von solchen Einrichtungen hat? Oder will er sich mit einer provokanten Aktion ins Gespräch bringen, ohne dass ihm das Thema, das er anstößt, überhaupt am Herzen liegt? Hofft er, dass die Vorstellung einer Horrorfilm-Version einer Psychiatrie die Sensationsgier der Leute weckt, denen dann egal ist, ob die Darstellung stimmt oder nicht? Ist er einfach zu faul, sich mal was Neues auszudenken?

        Man kann an einem Werk kritisieren, dass die Auseinandersetzung des Autors mit seinem Thema nicht tief genug geht, oder tatsächlich nur eine Seite beleuchtet. Ich halte es aber nicht für den richtige Weg, das Werk in Vorhinein zu zensieren. Kunst kann immer nur der Stein des Anstoßes sein, der etwas ins Rollen bringt. In welche Richtung er rollt, ob sich daraus eine Welle des Ableismus ergibt der Umgang mit Psychiatriepatienten sensibilisiert wird, ob es zu einem Bashing des Gesundheitswesens oder zu notwendiger Kritik daran führt, das liegt an der Gesellschaft selbst. Wenn man Themen von Vorneherein zu No-Go Zonen erklärt, dann hat man vielleicht auch einfach Angst davor zu erfahren, in welche Richtung der Stein natürlicherweise rollt. Nur, wenn man es nie ausprobiert, dann drückt man sich gleichzeitig davor, darüber nachdenken zu müssen, wie man seinen Weg eventuell in Zukunft ändern könnte.

        Poems are never finished.
        Just abandoned.

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        • Milch
          Milch kommentierte
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          Gegen Provokation ist nichts einzuwenden, aber sie sollte möglichst klug, kreativ und klischeefrei sein. Wenn die Provokation wieder auf Kosten von XY geht, finde ich es nicht gut. Da geht es nicht darum, etwas auf ein Podest zu heben. Es geht darum, dass wir nicht auf altbekannte Muster zurückgreifen, Juden als geldgeile Wucherer, Schwarze als gute Tänzer, Muslime ständig als Terroristen.

          Irgendwie sind die sogenannten unbequemen Themen meist sehr bequem. Ist es nicht eine viel unbequemere Wahrheit, dass wir uns nicht von aller Zuwanderung komplett abschotten können, als zu behaupten: Das Boot ist voll? Ist es nicht eine viel unbequemere Wahrheit, dass unsere Mobilitätskonzepte mit dem Auto für jeden und der Zersiedlungspolitik nicht länger tragbar ist, als gegen den steigenden Benzinpreis zu wettern? Ist das Warnen vor der unbeherrschbaren Klimakrise nicht viel unbequemer, als davor zu warnen, dass die Windräder die Landschaft verspargeln und den Wert der Häuser mildern?

        • Victoria
          Victoria kommentierte
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          Ich habe Fitzeks Roman nicht gelesen, habe aber das Marketing verfolgt, und es ging bloß darum, eine spannend-gruslige Leseatmosphäre in einer Irrenanstalt zu schaffen. (Übrigens wurde es vom Verlag wegen der Gegenstimmen wieder zurückgenommen; Verlag und Autor haben sich entschuldigt.) Im Vorhinein gar nicht über das Thema "psychische Krankheiten" zu reden, finde ich auch falsch. Aber dennoch wünsche ich mir im Vorhinein, dass man sich mit dem Thema nicht nur für die Recherche befasst, sondern auch, was es für andere Menschen bedeuten könnte, um mit mehr Achtsamkeit zu schreiben.

          Im Nachhinein gesehen hat es ja etwas gebracht – und zwar, dass sich Verlag, Autor und unkritischere Leser über dieses Thema Gedanken machen. Dennoch sehe ich es nicht als Berechtigung, erstmal zu schreiben, was einem so in den Sinn kommt, mit der Möglichkeit, dass da irgendeine Diskussion angestoßen werden könnte. "Kollateralschaden gibt es ja immer …" oder so.



          Provokation, unbequeme Themen ansprechen und Diskussionen anstoßen, finde ich gut. Aber ich sehe es wie Milch es gesagt hat.

          Vielleicht hat der Autor ein bestimmtes Ziel, wen er eine klischeehaft böse Psychiatrie in seinem Roman benutzt. Wird dieses Ziel verdeutlicht oder bleibt es im Kopf des Autors? Ist es dem Leser klar, dass es ihm um die Diskussion über realistische Darstellung und Ethik geht? Betrachtet man dieses Problem aus Verlagssicht (bzw. Sicht der Buchbranche), ist es einfach: Auch wenn der Autor Gesellschaftskritik intendiert hat, konnte er es nicht rüberbringen. Was beim Leser ankommt sind im schlimmsten Fall unreflektierte Klischees.

          Darüber hinaus frage ich mich, wozu man die Stereotypen von – um die Beispiele aufzugreifen – Juden als geldgeile Wucherer, Schwarze als gute Tänzer, Muslime ständig als Terroristen benutzen muss. Man kann immer argumentieren, dass man es für den Plot, die Dramaturgie usw. braucht. Das kann ja auch sein, dennoch erscheint es mir manchmal so, als hätte der Autor die einfachste Möglichkeit genommen. "Es gibt halt schwarze Tänzer oder muslimische Terroristen. Das ist realistisch, wieso sollte man das nicht benutzen dürfen?" Man darf alles, aber es macht einen Unterschied, ob in einem Roman südamerikanische Salsa-Tänzer vorkommen oder ob das, was den südamerikanischen Protagonisten auszeichnet, Salsa ist. Vielleicht hat er ja auch andere Stärken.

          Klischees sind einfach. Und funktionieren. Und irgendwo schreibt Milch auch: "Kritik wegen Klischees ist kein guter Auslöser für ein Trubel."

        • Milch
          Milch kommentierte
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          Manchmal stören Klischees wie altertümliche Psychiatrie nicht, wenn sie erkennbar cartoonhaft überzeichnet sind, aber es muss passen. Und der Text muss etwas erkennbar artifizielles haben. Manchmal kann man sich auch eine neue cartoonhafte Überzeichnung ausdenken.

        #7
        Mir hat vor langen Jahren mal jemand (ich weiß leider nicht mehr, wo ich das her habe) den schönen Satz gesagt: "Jede Minderheit hat das Recht, verarscht zu werden."

        Und da steckt viel Wahrheit drin. Manchmal muss man political correctness über Bord werfen, um jemandem zu zeigen, dass man ihn als Person ernst nimmt.
        Z.B. herrschte in der Notaufnahme, in der ich mal gearbeitet habe, typisch unfallchirurgisch ein ziemlich rauer (aber herzlicher) Ton unter den Kollegen. Niemand wäre je auf die Idee gekommen, einen Kollegen hoflich mit den Worten "Kannst Du mal zu mir in die Fünf kommen, ich hätte gerne Deine Zweitmeinung zu dem Patienten" zu holen. Stattdessen brüllte man "Beweg mal Deinen faulen Arsch hierher!" in den Gang hinein. Und selbstverständlich haben wir das auch zu dem Kollegen gesagt, der selbst im Rollstuhl saß. Er hätte es nicht anders gewollt, hätte sich dann nicht als Teil der Gruppe gefühlt.
        Genauso hatten wir eine Stationshilfe, die dunkelhäutig war, und den Rufnamen "Schoki" hatte. Das hätte ich jetzt nicht von mir aus verwendet, aber nachdem sie selbst den Namen eingeführt hatte, habe ich sie natürlich so genannt. Auch, wenn andere (hell- und dunkelhäutige) Leute sich über unseren offensichtlichen Rassismus beschwert haben.

        Auf Bücher oder Filme etc. übertragen heißt das für mich, dass man durchaus Minderheiten vorkommen lassen kann/darf/sollte, und diese dann auch nicht immer nur super-positiv darstellen muss. Die Schwierigkeit liegt darin, dass man dann gerne in Klischees abrutscht, und damit mehr Schaden anrichtet als man denkt.

        Und auch im Vorfeld, wenn ein Werk beworben wird, pickt sich halt der Verlag/Agent/Filmverleih/whatever gerne einen provokativen Moment exemplarsich heraus, weil damit viele potentielle Kunden erreicht werden.Das ist dann so wie bei dem von Vickie eingangs genannten Beispiel mit der Psychiatrie. Ob diese Art des Bewerbens dem Buch gut tut kann ich nicht sagen - vielleicht ja, was die Verkaufszahlen betrifft. Aber ob es dem Werk gerecht wird, es so zu bewerben - und ob das Buch selbst der Darstellung psychisch kranker Menschen gerecht wird?
        Will man erst gar nicht in das Dilemma kommen, mit solchen Provokationen umgehen zu müssen, dann muss man eben ein Buch ohne "schwierige Themen" und Minderheiten schreiben. Und vielleicht ist das ein Grund, warum viele Autoren sich eben gerne auf das sichere Parkett begeben und schön politisch korrekt nur über die durchschnittliche, weiße Lieschen Müller und den genauso langweiligen Peter Huber schreiben.
        Always avoid alliteration.

        Kommentar


        • Victoria
          Victoria kommentierte
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          "Manchmal muss man political correctness über Bord werfen, um jemandem zu zeigen, dass man ihn als Person ernst nimmt."
          Das stimmt schon. Das ist wohl auch das, was Ankh vielleicht mit dem Podest meinte. Dennoch braucht es extrem viel Fingerspitzengefühl. Ich kenne Menschen, die – ich nehme dein Beispiel – dunkelhäutige Menschen "Schoki" nennen, weil bei in ihrem Umwelt auch einen Schwarzen gibt, der sich selbst Schoki nennt, und der findet's voll lustig.

          Ich packe mal eine Anekdote aus. Letzten Monat habe ich eine junge Frau kennengelernt, wir haben uns auf Anhieb gut verstanden und viel gescherzt. Sie: Kind von abgeschobenen Menschen (Roma), halb jüdisch. Ich: Kind von mit den Boot geflüchtete Mutter der mongoliden Rasse. Der Ton was mitunter auch rau, aber sehr herzlich. Und dann ist mir ein grenzwertiger Scherz rausgerutscht; weil ich es von von meiner Familie, meinem Bekanntenkreis so kenne und es für uns okay ist. Aber auch wenn es für mich als Mensch mit Nicht-Norm-Herkunft okay ist, heißt noch lange nicht, dass ich mit anderen ebenfalls so umgehen kann.
          Da fällt mir noch was ein. Ich werde sehr dunkel, wenn ich in die Sonne gehe. Ich hasse es, wenn ich Schoki genannt werde. Ein paar Jahre lang, bin ich selbst im Hochsommer nur mit Jeans und langärmeligen Shirt rausgegangen, weil ich nicht braun werden wollte.

        • Alys II.
          Alys II. kommentierte
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          Selbstverständlich muss man damit sehr vorsichtig sein. Das ist genau so, wie Du es sagst: nur weil ein Schwarzer es lustig findet, so genannt zu werden, trifft das noch lange nicht auf alle zu.
          Aber das ist eine Vorsicht, die man ALLEN Menschen gegenüber walten lassen muss, nicht nur Minderheiten gegenüber. Einen Menschen, den ich nicht kenne, sollte ich IMMER höflich behandeln. Und nicht extra-übertrieben-höflich, nur weil er zufällig braune Haut hat oder offensichtlich schwul ist oder kleinwüchsig ist.
          Nur wenn ich jemanden kenne und weiß, welche Witze er mag und verträgt, darf ich sie machen - wenn ich aber dann weiß, dass der chronisch schwerkranke Patient einen tiefrabenschwarzen Humor schätzt, dann kann ich ihn auch mit "Was wollen Sie denn schon wieder in der Praxis, Sie Quälgeist?" begrüßen, anstatt ihn nur höflich zu behandeln. Da fühlt er sich dann wohler damit, weil ich auf ihn eingehe. Auch wenn zufällige Zuhörer das schrecklich finden.

        • Mona
          Mona kommentierte
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          Das sehe ich ähnlich, und diese Erfahrung, die Du über den Kollegen im Rollstuhl schreibst, habe ich auch schon oft gemacht (was vielleicht daran liegt, dass ich ebenfalls schon in Branchen gearbeitet habe, wo es rau und stressig zuging und Sprüche an der Tagesordnung standen ).
          Es gibt auch Minderheiten-Vereine, die sich sogar absichtlich selbst auf die Schippe nehmen, weil sie nicht in Watte gepackt werden wollen.
          Und ich kann es nachvollziehen. Auch wenn ich einem fremden Rollstuhlfahrer wohl auch nicht sagen würde, dass er den Arsch herbewegen soll - aber wenn ich ihn kenne, er diesen Humor hat, tja, warum nicht?

        #8
        Ich finde das eigentlich ganz einfach: Erstmal die Thematik so gut wie möglich verstehen, dann entsprechend entscheiden.

        Wenn ich über irgendwas schreiben will, vor allem wenn es dabei um Minderheiten geht, denen ich nicht angehöre, muss ich mich erst belesen, und dazu gehört auch, dass ich mich mit den Stolperfallen und falschen oder sogar schädlichen Stereotypen befasse. Wenn ich verstehe, was wieso problematisch ist, kann ich damit arbeiten, mir Sensitivitätsleser suchen, und dann kann ich auch einen Thriller mit Minderheiten darin schreiben, ohne mir zu große Sorgen über backlash zu machen.

        Wenn ich mich aber nicht damit auseinandersetzte, die Arme verschränke wie ein kleines Kind und mit der "Das ist aber Kunst"-Fahne wedle - und dann Scheiße schreibe, dann hab ich auch verdient, dass sich Leute über mich ärgern.

        Schreiben ist eben auch ein Handwerk. Und Kunst ist immer in irgendeiner Form politisch.

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        • Ena
          Ena kommentierte
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          Mona ja, genau. Quasi Beta-Leser, die sich aber vor allem um die Darstellung ihrer Minderheit kümmern. Ist im Englisch-Sprachigen Raum mittlerweile fast Standard. Wenn sie dabei echte Fehler nicht anmerken, dann machen sie ihren Job nicht richtig

          Milch ich verstehe ehrlich gesagt nicht, worauf genau du jetzt hinaus willst. Sorry.

        • Mona
          Mona kommentierte
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          Ena Okay, dann hab ich Dich richtig verstanden (und finde dieses Vorgehen gut).

        • Milch
          Milch kommentierte
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          Weil die Fürsorge für Minderheiten manchmal auch unschöne Züge annimmt.
          Beispielsweise der Vorwurf der Aneignung nichtwestlicher Kultur.
          Oder die Kritik an Kunstwerken, weil eine weiße Künstlerin schwarze Menschen portraitiert hat. Mir fällt der Name nicht mehr ein.
          Oder die Kritik an Joanne K. Rowling (Kritikpunkt Aneignung), weil sie indianische Fabelwesen in ihr Werk aufgenommen hat und etwas variiert hat, es bezieht sich auf Phantastische Tierwesen, wo sie zu finden sind.
          Oder die Triggerwarnungen bei bestimmten klassischen Werken in der Uni, das finde ich wehleidig.
          Oder wenn man heute selbst schwarzer Jude sein muss, wenn man eine Geschichte über einen schwarzen Juden erzählen will, weil das nur authentisch ist.

          Und was einen aus der Minderheit nicht stört, stört vielleicht jemand anderes aus der Minderheit.
          Zuletzt geändert von Milch; 16.07.2018, 15:35.

        #9
        Manche Psychiatrien taten vor einigen Jahren ohnehin noch das ihre dazu, zeitweise ein "Insassen"-Feeling zu vermitteln. Bei Bettfesselungen zum Beispiel. Super Sache.
        Ansonsten sind Strafgefangene in Psychiatrien für mich eindeutig "Patienten" oder halt "Klienten" (je nach Behandlungsform, meist wohl beides).

        Ich habe leider den Originalaufruf von Fitzek nie gelesen, deshalb kann ich dazu nicht viel sagen. Irgendwo stand, es sei eine echte Psychiatrie (wo auch aktuell Leute therapiert werden), woanders las ich, es handle sich um eine stillgelegte Geisterbahn, die für das Gewinnspiel zu einer Psychiatrie umfunktioniert würde.
        Wenn es Ersteres ist, dann finde ich das Gewinnspiel tatsächlich fragwürdig, denn dann ist es so wie früher, wo man beeinträchtigte Menschen im Zirkus vorgeführt hat und das ach-so-unterhaltsam und lustig war. Ha, ha.
        Wenn es Zweiteres ist, finde ich es okay. Ist dann halt ein bisschen Gruselgrusel in einem fiktionalen Setting. Wers braucht ... Ich war auch schon in nem Jack-the-Ripper-Haus um mich zu gruseln und bin weder Jack the Ripper-Anhänger noch finde ich seine Taten gut. Und ich überlege gerade, ob man überhaupt ein politisch absolut korrektes Gruselsetting schaffen kann - sobald wo Blut fließt, ist das doch im Prinzip schon eine Verhöhnung aller Opfer, die irgendwo mal brutal umgekommen sind.


        Ich persönlich mache mir beim Schreiben natürlich darüber Gedanken, wie meine Charaktere bezüglich Ideologien so ticken, da dürfen aber selbstverständlich auch politisch inkorrekte Charaktere drunter sein. Und selbst diese müssen nicht gleich hundertprozentige Pfosten sein (bzw. politisch korrekte Charaktere nicht automatisch die Mega-Guten). Warum? Weil ich bislang keine Utopien schreibe und die Welt nun mal nicht immer politisch korrekt ist (und sie es meiner Meinung nach bis zu einem gewissen Grad, siehe Alys II. Beispiel, auch nicht sein muss). Und die Wortwahl ist dann, wenn die Erzählstimme personal geprägt ist, mitunter ebenfalls politisch inkorrekt, passend zum Charakter (der wiederum selbst dann, wenn er in seinen Taten und Ansichten nicht diskriminiert, aufgrund seiner Sozialisation vielleicht trotzdem politisch inkorrekte Wörter benutzen könnte.)
        Oder anders gesagt: Geschriebene politische Korrektheit sagt für mich noch nicht unbedingt etwas über den Charakter oder die Absicht dahinter aus, auch wenn sich mir selbst bei manchen Begriffen ebenfalls ein wenig die Haare sträuben (auch bei manchen Begriffen meiner Charaktere, aber sie sind eben, wie sie sind). Wenn jetzt ein Neunzigjähriger im Altersheim hungernde Schwarzafrikaner sieht und dann ein besorgtes "Ach, die armen kleinen Ne***, ich wünschte, denen könnte man helfen!", dann ist der N-Begriff natürlich nicht mehr gängig oder korrekt, aber in diesem Kontext würde ich dem Neunzigjährigen jetzt keinen Fremdenhass oder Diskriminierung vorwerfen. Es kommt halt immer darauf an, wie Wörter gebraucht/missbraucht werden, und welche Bedeutung man ihnen verleiht.

        Und was generell Zensur angeht ... ich habe ja selbst so meine "Hass-Bücher". Stumpfe Gewaltpornos zum Beispiel. Oder "Anleitungen".
        Ich habe mal ein satanisches Buch gelesen, um einen Einblick ins Denken von einem Teil der satanischen Szene zu bekommen.
        Ob ich das Buch beschissen finde? - Ja - stilistisch, inhaltlich, esoterisch betrachtet. Ob es mich wütend macht? Ja. Vor allem, weil es Opfer solcher Lehren gibt.
        Aber wären die Täter ohne des Buchs ebenfalls Täter gewesen? - Mit ziemlicher Sicherheit früher oder später: ja. Sind alle, die das Buch cool finden, Täter? - Nein.
        Ob ich das Buch verbieten würde, wenn ich könnte?
        Nein. Aber ich bin für Aufklärung und dafür, dass Opfer dieser Lehren sich erheben und aufklären können, ohne Angst und wann immer sie möchten.
        -> Und wenn ein Gewinnspiel dahin führt, dass Klienten oder Patienten als vermeintlich realistischer Gruselfaktor herhalten müssen, dann haben wir zum Glück ebenfalls die Möglichkeit, aufzuklären, weil wir die Freiheit dazu besitzen und weil wir eben nicht als Insassen in der Klapse sitzen (oder bei falschen Worten in eine solche gesperrt werden).
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        Zuletzt geändert von Mona; 16.07.2018, 00:52. Grund: Grammatik ist ne tolle Sache. *hust*

        Kommentar


        • Mona
          Mona kommentierte
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          Bzgl. Autobeispiel: Das kann man mMn mit dem Beispiel von "verhungernden N" nicht gleichsetzen. Denn ob mir jetzt eine Frau, ein Mann, ein Schwarzer, ein Weißer oder sonst jemand vors Auto läuft, wird ziemlich wurscht sein. (also ich hoffe mal, dass es den Behörden egal ist und es gleich schlimm bliebe - Mensch ist Mensch). Wem schwindelig wird oder wer ne rote Ampel übersieht, kann ja jeder sein.
          Aber in welchen Ländern welche Personengruppen von Hungersnöten betroffen sind, ist weder Zufall noch egal, da gibt es ganz wertfrei nun mal Unterschiede und vor allem gibt es Gründe. Ausbeutung zum Beispiel. Von daher hätte hier die Bezeichnung der ethnischen Herkunft noch eher informativen Charakter, auch wenn die 90-jährige vielleicht gar nicht beabsichtigt informiert:
          Wenn zufällig eine österreichische Minderährige mit Baby unter der Armutsgrenze gezeigt worden wäre, hätte es im "bösen" "Seniorensprech" vielleicht gelautet: "Ach, das arme Kinderl mit dem kleinen Butzi, das verhungert ja!"
          Ist dann zwar nicht auf die Herkunft bezogen, aber in Bezug auf "verkleinern" ja theoretisch ebenfalls diskriminierend.
          Wir Menschen sind halt so gepolt, dass wir gern Merkmale erwähnen, die uns auffallen. Wenn ein Schwarzer (und ich hoffe, diese Bezeichnung ist legitim, ich richte mich da nach einer afrikanischen Feministin) in der Pampa mit sonst nur weißen Einwohnern den Einheimischen vors Auto läuft, wird der Onkel Sepp von der Berghütte vielleicht eher dazu tendieren, die Hautfarbe mitzuerwähnen, als der städtische Sozialarbeiter, der eh ständig mit verschiedensten Menschen konfrontiert wird. Und gleichzeitig könnte der städtische Sozialarbeiter innerlich vielleicht sogar mehr Probleme mit den "Negern" haben als der Bergbauer Sepp.


          Warum immer alte weiße Männer privilegiert sein sollen, erschließt sich mir nicht. In welchem Kontext? Es gibt Weiße, die von Schwarzen gedemütigt werden und Schwarze, die von Weißen gedemütigt werden, und diverse andere Konstellationen ebenso, und zwar in unserem Land genauso wie in anderen Ländern. Doof finde ich diese Konstellationen alle, weil ich beabsichtigte Demütigungen und Exklusion nicht mag.

          Wenn da hingegen verhungernde Kinder in Afrika gezeigt werden und wenn die 90-jährige Oma dann mütterliche Gefühle aufbringt, natürlich stellt sie dann ein mütterliches Verhältnis her, das im Endeffekt ein Machtverhältnis (Mutter -> Kind) bedeutet. Aber bestimmt nicht, um die Kinder im Fernsehen herabzusetzen oder gedanklich zu dominieren. Vielleicht eher mit dem inneren Wunsch, die Kraft zu haben, so stark zu sein, um das Leid von den "kleinen Negerlein" abwenden zu können.

          Bzgl. "Hol mir mal nen Kaffee, Kleines" - Ich finde, dass es auch hier darauf ankommt, wer wem diese Anweisung erteilt, in welcher Beziehung sie stattfindet (beruflich od. privat, Abhängigkeit ja/nein usw.) und wie die Beteiligten dazu stehen. Ich würde als Außenstehender diese Aussage oder zumindest den Aussagenden nicht im Vorfeld verurteilen ohne zu wissen, in welchem Kontext derjenige es zu jemandem sagt. Und wenn alle Beteiligten damit verantwortungsvoll leben können (und die gibt es), dann sehe ich das Problem dabei nicht, auch wenn es sich hier um eine Anweisung inkl. Verniedlichung handelt. Es kommt in diesem Satz weder ein Schimpfwort noch ein politisch negativ besetztes Wort vor.

          Noch mal wegen dem alten weißen Mann: Ich hatte gehofft, dass inhaltlich deutlich gewesen wäre, dass der Opa oder die Oma in meinem Beispiel Mitleid besitzen, was für mich einen Nazigedanken eigentlich ausgeschlossen hatte (Ich weiß, es gab auch kinderliebe Nazis, welche Kinder vergast hatten; ich hatete hier allerdings einfach eine alte Frau im Kopf, die beim Nachmittagskaffee vorm Fernseher sitzt und einfach nur loswerden will, dass ihr diese hungernden Kinder nahegehen). Es ging mir um politisch inkorrekte Wörter und eine dahinterstehende nicht bös gemeinte Motivation, daher auch mein Beispiel mit dem chinesischen Mitschüler und andere Beispiele, die ich im vorigen Posting wiedergab.


          Bzgl. des Kinderbuchs:
          Ich selbst kann mir ebenfalls Netteres vorstellen, als Kindern das Wort "Neger" erklären oder vorlesen zu müssen. Ich finde an einer Erklärung aber auch nichts Schlimmes. Ein simples "Das sagt man heute nicht mehr, weil das Betroffene kränken kann" mag da schon reichen, ohne dem Kind das gesamte geschichtliche Grauen der Betroffenen aufzutischen, und auch Rassismus usw. kann man bis zu einem gewissen Grad kindgerecht verpacken. Vor allem in Büchern oder Hörkassetten, weil Gelesenes oder Gehörtes weniger belastet als Gesehenes.
          Ich finde, dass es in der Erziehung schon darum geht, Werte zu vermitteln. Und sobald man sein Kind nicht isoliert, wird es irgendwann selbst mal etwas von Opfer- und Täterverhalten mitbekommen, womöglich (wahrscheinlich) schon im Kindergarten. Dass man da mal über Werte wie Gewaltlosigkeit, Toleranz und Hilfsbereitschaft (das wären jedenfalls meine persönlichen Werte) redet, finde ich sogar wichtig. Und dass Worte wie "Brillenschlange", "Neger" oder "Trottel" kränkende Worte sind, kann mein Kind dann gerne wissen.
          Ich persönlich sehe da jetzt kein Erklärungsproblem. Aber ich respektiere natürlich, wenn es für andere Erziehenden ein Problem ist. Es gibt zum Glück viele verschiedene Erziehungsmethoden, und meine muss ja nun wirklich nicht die allgemeingültig richtige sein.

          Wie gesagt: Ich hab ebenfalls meine "roten Tücher" und wenn ein Verein, der sich für die Inklusion behinderter Menschen einsetzt, das Wort "handicap" verwendet, verdrehe ich die Augen. Aber ich würde den Verein deshalb nicht verurteilen.
          Ob meine Roman-Charaktere hingegen die Augen verdrehen, die Bezeichnung super finden oder den Verein abfackeln und vor allem, welche Aussage durch die jeweiligen Varianten entsteht und welche Form der Kritik man verübt (eine offen anprangernde oder nicht), das sind dann eben die Fragen, die ich mir während des Schreibens stellen muss. Und je nachdem, welche Zielgruppe ich in welcher Form erreichen will, und inwieweit ich mich als moralische Instanz zwischenschalten will/soll oder nicht, schreibe ich dann eben.
          Im Hinterkopf meine persönlichen Werte (Gewaltlosigkeit, Toleranz) behaltend.
          Muss man nich ebenso machen wollen, ist nur meine persönliche Rangehensweise bei manchen Geschichten.

        • Milch
          Milch kommentierte
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          Toleranz ist mir bei einigen Sachen nicht genug, da will ich gesellschaftliche Akzeptanz.

        • Mona
          Mona kommentierte
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          Milch Das verstehe ich gut, so geht es mir auch.
          Aber es gibt andersrum Dinge, die ich nicht mag, aber dennoch bis zu einem gewissen Grad toleriere.

        #10
        Was meiner Meinung nach auch ein wichtiger Punkt ist: Je mehr Leute man erreicht, desto mehr Verantwortung hat man meiner Meinung nach. Wenn ich für die Schublade schreibe oder meine Geschichte nur die Familie liest, kann man auf politische Korrrektheit eher pfeifen wie wenn ich für die Masse schreibe.

        Gerade bei Bücher, die Jugendliche lesen, kann man durchaus Meinungen beeinflussen, wie man an der Diskussion um "emotionalen Missbrauch" sieht. Das heißt Geschichten, in denen es als völlig normal gesehen wird, dass der männliche Loveinterest die Protagonistin wie ein Stück Scheiße behandeln darf - solange er gut aussieht und irgendeine knisternde Spannung zwischen den beiden ist.

        Genauso kann man mit seinen Texten eben das Bewusstsein der Leser schärfen, wie man z.B. mit Minderheiten umgeht. Und ich denke, Rücksicht hat hier noch keinem geschadet und ich weiß auch ehrlich gesagt nicht, wie einen das groß einschränken könnte, solange man den gesunden Menschenverstand benutzt.
        »Elezeis Blut schien in Aufruhr zu sein und brannte unerwartet kalt durch ihren Körper. Es war ein Gefühl, das nach Zerstörung dürstete.« – Blutgesang

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        • Alys II.
          Alys II. kommentierte
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          Das mit der Verantwortung ist ein guter Punkt. Mir fällt dabei spontan eine Geschichte ein, die ich vor vielen Jahren gelesen habe, bei der es um Pädophilie geht - und zwar wird ein pädophiler Missbrauchsakt als etwas Gutes dargestellt. Mir ging das beim Lesen wahnsinnig unter die Haut, weil es - und ich traue mich kaum, das hinzuschreiben - so wahnsinnig gut geschrieben war. Ehrlich, diese Geschichte ist handwerklich mit das Beste, was ich je gelesen habe. Perfekte Sprache, schöner Stil, spannend und emotional aufgebaut, teils sogar witzig - kurz gesagt: brilllant. ABER: natürlich ist Pädophilie etwas, was ich von Grund auf ablehne. Mich hat's beim Lesen geekelt, gerade weil die Autorin das alles so positiv geschildert hat. Und obwohl ich diese Geschichte handwerklich für ein Paradebeispiel einer perfekt gelungenen Kurzgeschichte halte würde ich sie NIE irgendjemandem weiterempfehlen. Und ich finde es unverantwortlich von der Autorin, dass sie sie je in's Netz gestellt hat.

        • Milch
          Milch kommentierte
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          Irgendwo muss es ein Markt für Bad-Boy-Geschichten geben, sonst wäre das kein Klischee.
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