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[Handwerk] Fragen und Antworten oder "Die Macht der Neugierde"

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    [Handwerk] Fragen und Antworten oder "Die Macht der Neugierde"

    Spannung. Ein Faktor, der maßgeblich zum Erfolg einer Geschichte beiträgt. Logisch. Niemand gibt Geld aus und investiert viele Stunde seiner knappen Freizeit, um sich zu langweilen.
    Aber wie erzeugt man Spannung. Ich möchte in diesem Thread ein Werkzeug vorstellen und zur Diskussion freigeben.
    Dieses Werkzeug ist vom Prinzip her völlig simple, in der Umsetzung allerdings anspruchsvoll:
    Die offene Frage.

    Menschen sind von Natur aus neugierig, Manche mehr, manche weniger, aber wenn wir ein Überraschungsei schütteln und es klappern hören... gibt es irgendjemanden, der dann nicht nachschauen will, was drin ist?

    Wie packt man nun den Leser bei seiner Neugierde? In dem man Fragen aufwirft. "Was ist in dem Überraschungsei?" Ich sag's ja... eigentlich simple. Kommen wir also zügig zur Umsetzung, denn jetzt wird es tricky. (Zur Illustration verwende ich Rowlings Harry Potter Bücher.)

    Fragen kann man ganz grundsätzlich in zwei Kategorien unterteilen:
    Vergangenheit und Zukunft.

    Vergangenheitsfragen erzeugen Neugierde. Wer hat den Schuldirektor ermordet? Wie wurde er ermordet? Warum wurde er ermordet? Warum benimmt sich seine Ehefrau so merkwürdig? Was stand in dem Brief, den der Direktor am Morgen vor seinem Tod erhalten hat? Warum spricht sein Sohn seit Jahren nicht mit ihm? Was ist passiert?

    Zukunftsfragen erzeugen Spannung. Wird der Held die Bombe rechtzeitig entschärfen? Wird es ihm gelingen seine Tochter zu finden? Wird er den Bösewichten entkommen? Kann er den Präsidenten vor dem Attentat retten? Wird er mit der rothaarigen CIA-Agentin im Bett landen?

    Gut, klingt eigentlich gar nicht so schwer. Jetzt kommt das aber: Damit unsere Fragen ihren gewünschten Effekt erzielen, nämlich den Leser ans Buch fesseln, müssen wir zwei Dinge Sicherstellen:
    1. Die Frage muss interessant sein
    2. Die Antwort muss interessant sein

    Rowling zeigt uns jetzt, wie es geht:

    1. Die Frage

    Zu Beginn des ersten Harry Potter Bandes erhält Harry einen Brief. Aha! Ü-Ei Effekt. Wir wollen wissen, was drin ist. Ganz einfach? Gar nicht so einfach. Nicht jeder Brief macht den Leser neugierig.
    Stellt euch vor, eine Buchfigur holt ihre Post aus dem Briefkasten und findet einen Brief. Ah, das Logo kenne ich. Das ist doch dieses Autohaus. Naja, wird wohl Werbung sein. Ab in den Müll.
    Wollt ihr wissen, was in dem Brief drin steht? Ich auch nicht. So einfach ist es also doch nicht. Schauen wir uns also an, wie Rowling unsere Neugierde weckt? Warum wollen wir unbedingt wissen, was in dem Brief drin steht, den Harry bekommt?

    1. Emotionen. Wir wissen zu dem Zeitpunkt schon, dass Harry ein liebes Kind ist, dass ziemlich schlimm vernachlässigt wird. Niemand kümmert sich um ihn, niemand hat ihn gern. Und dann bekommt er diesen Brief. Seinen allerersten Brief überhaupt! Irgendjemand weiß, dass es ihn gibt und er hat sich Zeit genommen, ihm einen Brief zu schreiben. Für Harry ist dieser Brief mehr als nur Informationen, er bedeutet ihm etwas. Und weil wir Harry mögen, bedeutet auch uns dieser Brief etwas.
    2. Ungewöhnlich. Der Brief hat einen Umschlag aus dickem Pergament, er ist mit grüner Tinte geschrieben und mit einem violetten Wachssiegel verschlossen. Sogar die Adresse ist seltsam. Der Absender scheint zu wissen, dass Harry im Schrank unter der Treppe lebt. Alls das sind Signale dafür, dass dieser Brief etwas Besonderes ist. Das ist bestimmt keine Werbung von einem Autohaus, aber was ist es? Jetzt wollen wir es wirklich wissen.
    3. Reaktion. Als Harrys Onkel den Brief entdeckt wechselt seine Gesichtsfarbe von rot, zu grün zu grauweiß. Sowohl Onkel als auch Tante wirken tief erschüttert, gerade zu panisch. Und da hört es nicht auf. Onkel Vernon ist entschlossen, Harry von dem Brief fern zu halten. Eine ganze darauf folgende Szenenkette beschäftigt sich mit den zunehmend extremeren Maßnahmen, auf die Vernon zurückgreift. Der Mann ist völlig von der Rolle, Ausnahmezustand bei den Dursleys... wegen dieses Briefes. Was auch immer dadrin steht, ist richtig, richtig wichtig, also wollen wir es natürlich erfahren.

    Mit diesen drei Tricks gelingt es Rowling den Leser über mehre Szenen mit dieser einen Frage zu fesseln. Je extremer Onkel Vernons Maßnahmen werden, desto dringender wollen wir endlich wissen, was die ganze Aufregung soll.

    2. Die Antwort

    Zurück zu unserer Buchfigur. Ihr habt nun alles richtig gemacht. Ihr habt etabliert, wie wichtig es für eure Figur ist, zu erfahren was in dem Brief steht und ihr habt Hinweise darauf gegeben, dass dieser Brief wichtige Informationen enthält. Nun öffnet die Figur also diesen Brief und findet.... Autohaus-Werbung!
    Glaubt mir, eure Leser werden sich tierisch verarscht vorkommen. Passt also gut auf: Die Antwort muss sich lohnen. Die Formel ist einfach: Je mehr Zeit und Wörter ihr für die Frage investiert, desto wichtiger muss die Antwort sein.

    In Harry Potter und der Stein der Weisen finden wir da positive Beispiele. In dem ominösen Brief wird eröffnet, dass Harry ein Zauberer ist und auf eine Zauberschule gehen darf. Das verändert alles! Es schickt die gesamte Geschichte in eine völlig neue Richtung. Diese Szene ist der 1. Plot-Turn nicht nur für das Buch sondern für die ganze siebenteilige Serie. Es war also absolut angemessen (und schlau), dass Rowling so viel Aufsehen um diesen Brief erzeugt- und ihm mehrere Szenen gewidmet hat.

    In Harry Potter un der Orden des Phönix finden wir hingegen ein negatives Beispiel (Auch Queen Joanne haut mal daneben). Ein ganzes, ziemlich dickes Buch hinweg beschäftigt sich Harry damit, was in dieser Prophezeiung in der Abteilung für Mysterien wohl enthalten ist. Mindestens ein Dutzend Figuren erklären immer wieder, wie wichtig diese Prophezeiung ist, auch Voldemort ist ganz versessen darauf, um an das Ding zu kommen, müssen wir sogar einen geliebten Charakter, Sirius, opfern. Und was ist es nun? Entweder Voldemort oder Harry müssen sterben. Ähm... ja? Das Voldemort und Harry sich vermutlich am Ende von Band sieben nicht auf eine friedliche Ko-Existenz einigen werden, war uns allen wohl schon bei Band 1 klar. Und darum wurde jetzt so ein riesen Aufstand gemacht? Darum hat sich ein ganzes 700-Seiten-Buch gedreht. Enttäuschend.

    Bonus: Fragen nutzen, um langweilige Szene aufzupeppen.

    Zurück zu Band 1. Hier finden wir nämlich direkt nach dem Brief-Intermezzo ein super Beispiel, wie man Fragen dazu nutzen kann, auch eher spannungsarme Szenen interessant zu machen.
    In den nächsten zwei Kapiteln nach dem Brief geht Hagrid mit Harry einkaufen und gibt ihm einen ganzen Haufen Infos über die Welt. Mehr passiert nicht. Einkaufen, Informationen. Das verstößt ja nun eigentlich gegen die "Jede Szene braucht Konflikt" Regel, oder? Nein! Konflikt ist nämlich da... in Form von offenen Fragen. Schauen wir uns also die Kapitel man an und prüfen ob es zu den Lektionen, die wir gelernt haben, passt.

    1. Was ist in dem Päckchen, das Hagrid aus Gringotts holt?
    Typ: Neugier-Frage
    Gute Frage? Das Ding liegt in einem Hochsicherheitsverließ und als Harry fragt, was es ist, reagiert Hagird äußerst nervös.
    Gute Antwort? Der Inhalt des Päckchen entpuppt sich als das wichtigste Plot-Element des ersten Bandes

    2. In welches Haus wird Harry in Hogwarts kommen?
    Typ: Spannungs-Frage
    Gute Frage? Malfoy macht ihm klar, dass das eklatant wichtig ist. Es gibt gute und schlechte Häuser. Wo er landet könnte Harrys ganze Schullaufbahn bestimmen
    Gute Antwort? Harry muss ganz schön zittern und landet haarscharf in Gryffindor und dieser Fakt ist tatsächlich entscheidend für den Rest seiner Schullaufbahn

    3. Wird Harry sich in Hogwarts überhaupt wohlfühlen?
    Typ: Spannungs-Frage
    Gute Frage? Muss er jetzt die nächsten sieben Jahre den größten Teil seiner Zeit mit Jungs wie Malfoy verbringen. Schreckliche Vorstellung!
    Gute Antwort? Harry fühlt sich nicht nur wohl, er findet endlich ein Zuhause.

    4. Warum wurde Hagrid aus Hogwarts rausgeworfen?
    Typ: Neugier-Frage
    Gute Frage? Hagrid wirkt unangenehm berührt und will nicht antworten. Offensichtlich ist also was übles vorgefallen.
    Gute Antwort? Die Ereignisse, die zu Hagrids Rauswurf geführt haben spielen in Band zwei eine entscheidende Rolle

    5. Wer ist eigentlich dieser Voldemort?
    Typ: Neugier-Frage
    Gute Frage? Die gesamte Zaubererschaft hat so viel Schiss, dass sie nicht mal Voldemorts Namen benutzen wollen. Muss also ne große Nummer sein.
    Gute Antwort? Ein mordender Rassen-Fanatiker, der seine Seele verstümmelt hat, um unsterblich zu werden. Jep, große Nummer.

    6. Wieso ist Harry nicht gestorben?
    Typ: Neugier-Frage
    Gute Frage? Der einjährige Harry hat es irgendwie geschafft, den mächtigsten dunklen Magier aller Zeiten zu besiegen und den Lauf der Geschichte zu verändern? Wie?
    Gute Antwort? Die Frage wird in den nächsten sieben Büchern nach und nach beantwortet und mündet im Klimax des siebten Bandes.

    Nicht schlecht oder? Wenn man sich Rowlings Erfolg anschaut, dann ist das durchaus eine Technik, die man sich abgucken kann.
    Zuletzt geändert von Maggi; 22.07.2016, 14:30.
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