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Mittwochsfrage #45: Geschlechtertausch

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    Mittwochsfrage #45: Geschlechtertausch


    Da wir wieder von Frauen- und Männerquoten sprachen, habe ich mich an einen Schreibtipp erinnert, der in etwa folgend lautete:

    Tauscht das Geschlecht (d)einer Romanfigur.
    Funktioniert die Figur weiterhin in dem vorgegebenen Rahmen? Wird die Figur dadurch interessanter? Bekommt sie spannendere Konflikte?

    Man kann diesen Tipp als Schreibimpuls sehen, der mit dem geschlechtlichen Umdenken einen Kreativschub bringt: Eine Eigenschaft, die bei einer Frau gewöhnlich ist, kann bei einer männlichen Figur für das gewisse Etwas sorgen – und umgekehrt. Aber vielleicht ist es auch ein Test, der die Überlegung anregt, ob die Figur ein »Mensch« ist oder auf Geschlechterstereotypen basiert.

    Normalerweise plädiere ich dafür, über Menschen zu schreiben, nicht über Frau oder Mann. Doch dann fielen mir zwei Geschichten ein, die mir sehr gut gefielen, aber bei denen man die Geschlechter nicht wechseln könnte. Die Frau des Zeitreisenden und Der seltsame Fall des Benjamin Button. Der Mann nimmt dabei die Rolle eines Außergewöhnlichen, Skurrilen und die Frau die wartende Rolle ein.

    Da frage ich mich: Muss der Mann denn immer der Komische, der Eigenwillige sein? Muss die Frau denn immer die Hingebungsvolle, Passive, Sanftmütige sein? Liegt es an dem Romanzen-Anteil, der den Mann in die starke aktive Rolle drängt und die Frau passiv macht?

    Andererseits, würde die Geschichte funktionieren, wenn der Mann, derjenige ist, der auf seine Liebe wartet? Der zu Hause sitzt, während die Frau durch die Weltgeschichte reist? Liegt es an der Lesererwartung oder an der Erwartung der Gesellschaft, dass – wenn es um Paare geht – die Rollen nicht getauscht werden, oder funktioniert das tatsächlich nicht?
    (Eine Powerfrau mit Schwert oder Hirn ist nicht entgegen der Gesellschaftserwartungen, das sind die burschikosen Frauen, die keinen Mann kriegen/wollen oder in Vergleich zu ihrem Mann wieder die Schwächere spielen)

    Was denkt ihr über dieses Thema?
    Dürfen Männer- und Frauenfiguren hinsichtlich der Dramaturgie gleich viel handeln oder funktionieren Geschichten besser, wenn die Figuren halbwegs in den Geschlechterrollen bleiben, die die Gesellschaft von ihnen erwartet?
    Und wie empfindet ihr das?
    Bei welchen eurer aktuellen Figuren würde eine Geschlechterumwandlung die Geschichte interessanter machen? Bei welchen würde es nicht funktionieren und weshalb?
    Habt ihr im Nachhinein mal das Geschlecht einer Figur gewechselt? Weshalb? Und was hat es euch gebracht?

    Anmerkung: Ich hab das Bild gewählt, weil Mann und Frau zwar gemeinsam kochen, es aber so aussieht, als würde die Frau kontrollieren, ob der Mann auch wirklich Zucchini schneiden kann.

    #2
    Da frage ich mich: Muss der Mann denn immer der Komische, der Eigenwillige sein? Muss die Frau denn immer die Hingebungsvolle, Passive, Sanftmütige sein? Liegt es an dem Romanzen-Anteil, der den Mann in die starke aktive Rolle drängt und die Frau passiv macht?
    Ich habe jetzt eine Weile überlegt, ob es wirklich keine Geschichte gibt, bei der der Mann der Wartende ist. Eingefallen ist mir erst mal nur dieses Lied:



    Ich finde die Vorstellung, dass der sozusagen ein sicherer Hafen ist, bei dem sie sich ausruhen kann, wenn sie sich ausgetobt hat, durchaus anziehend und männlich. Es ist für mein Empfinden aber nicht das Gleiche, als wenn eine Frau auf ihren abenteuerlustigen Mann wartet. Eine Frau würde vielleicht nicht sagen "my arms are still wide open to catch you when you fall". Statt diesem Versprechen von Schutz und physischem Halt würde sie ihm vielleicht Trost und emotionalen Halt anbieten. Auch wenn die aktiven Rollen vertauscht sind, kann ja jeder noch immer seine Geschlechterrolle behalten. Das muss aber nicht bedeuten, dass nur Männer nur aktiv und abenteuerlustig sein können.

    Warum habe ich jetzt nur Kerle als Hauptfiguren? Weil es mir um eben diese Dynamik zwischen den Geschlechtern geht, bzw. darum, dass ich sie weitgehend ausschließen will. Wenn ein Mann eine Frau beschützt oder rettet, wenn eine Frau einen Mann heilt und tröstet, dann wittert man dahinter schnell ein romantisches Interesse. Da es in meiner Geschichte aber um die Bildung von Kameradschaft geht, wäre es hinderlich, wenn ständig romantisches Interesse im Raum steht. Die Dynamik, wie fünf Leute aufeinander zugehen, würde sich verändern, wenn ich verschiedene Geschlechter verwenden würde. Und auch wenn ich alle fünf weiblich machen würde, würde sich die Geschichte verändern, weil ihr Umfeld anders mit ihnen umgehen würde. Wäre auch eine interessante Geschichte, aber nicht die, die ich erzählen will.

    Dürfen Männer- und Frauenfiguren hinsichtlich der Dramaturgie gleich viel handeln oder funktionieren Geschichten besser, wenn die Figuren halbwegs in den Geschlechterrollen bleiben, die die Gesellschaft von ihnen erwartet?
    Siehe oben. Sie funktionieren nicht besser, aber anders. Das hat mMn nichts mit aktiv oder passiv zu tun, sondern wie die Geschlechter agieren und reagieren bzw. wie andere auf sie reagieren.

    Bei welchen eurer aktuellen Figuren würde eine Geschlechterumwandlung die Geschichte interessanter machen? Bei welchen würde es nicht funktionieren und weshalb?
    Interessanter weiß ich nicht, dazu müsste ich die komplette Geschichte neu plotten, und dazu fehlt mir die Zeit. Was z.B. weniger gut funktionieren würde, ist die Szene, in der Scratch von einer Vorgesetzten zum Sex genötigt und erpresst wird. Bei einer weiblichen Figur in seiner Situation würde man erwarten, dass sie anschließend auf die Barrikaden geht und entsprechende Unterstützung bekommt. Bei ihm ist es sogar glaubhaft, dass man ihn dafür noch anmotzt.

    Habt ihr im Nachhinein mal das Geschlecht einer Figur gewechselt? Weshalb? Und was hat es euch gebracht?
    Kann ich mich jetzt nicht erinnern. Vielleicht weil es tatsächlich die Geschichte in eine ganz andere Richtung lenken würde, als ich geplant habe, und ich lieber dabei bleibe, was funktioniert
    Poems are never finished.
    Just abandoned.

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    • Kunstmelodie
      Kunstmelodie kommentierte
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      witzig, meine Protas sind ausschließlich immer Frauen

    #3
    Nein, der Mann muss nicht der Komische und Eigenwillige sein und die Frau die passive, die geduldige und die wartende. Sind die Geschlechterrollen heute noch so präsent? Und als Schreiber sollte man sie aufbrechen.

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    • Milch
      Milch kommentierte
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      Maus

    • Milch
      Milch kommentierte
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      Wenn wir selbst uns beim Schätzen uns von Ankerzahlen beeinflussen lassen, dann spricht auch vieles dafür, dass wir es durch Medienkonsum tun. Es muss ja nicht unbedingt so sein, dass wir alle Amokläufern werden, dieses wäre übertrieben.
      Gesteigerte Aggressivität: in den gemessenen Experimenten erhöhen die Probanden etwas mehr den Schärfegrad.

    • Chandramukhi
      Chandramukhi kommentierte
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      Achso, danke übrigens an weltatlas
      Ich wusste, ich hab irgendetwas vergessen.^^'

      Für alles andere, gibt es ja jetzt einen anderen Thread.

    #4
    Ich habe bei mir mal darüber nachgedacht warum ich die Geschlechter meiner Charaktere oft so wähle wie sie sind. Als ich meine Protagonistinnen durchgegangen bin, ist mir aufgefallen, dass sie alle eher typisch männliche Handlungsstränge haben. Weshalb ich diese Geschichten mit einem Mann besetzt eher langweilig fände, da sie meistens eher typisch wären.
    Genauso umgekehrt. Deshalb habe ich auch immer so ein Problem mit dem Gedankenspiel, würde der Charakter immer noch funktionieren. Klar würde er das, ich ändere ja seine eigenschaften nicht. Aber er wäre dann halt langweilig

    Bei mir hat sich auch noch nie jemand beschwert, dass die Charaktere unrealistisch wären, auch wenn ich andauernd Eigenschaften "falsch herum" verteile. Typisch männliche Frauen und typisch weibliche Männer. Es gibt eben kein typisch, es funktioniert solange der Charakter seinem Umfeld entsprechend agiert.


    Elean (der Name klingt absichtlich männlich, was auch oft thematisiert wird) zum Beispiel wäre der typische junge Held, der über sich hin auswechsen muss und seine Stärken entdecken muss. Als Mann würde sie genauso funktionieren, aber ich glaube der Fakt dass sie weiblich ist, gibt ihrer Schwäche am anfang eine nachvollziehbare Komponente für den Leser. Auch liest man selten von stillen Heldinnen eher von stillen Helden.

    Ebenso mit Seelen. Ein Typ der ein Mädchen aufreist und der eigentlich Karriere machen will, die dann zwischen ihm und dem Mädchen steht. Habe ich das Gefühl dass hat man schon viel zu oft gehört.

    Anders herum. Schwache Männer. Emil ist absichtlich der schwache Mann. Ja, ich bediene bei ihm das gesellschaftliche Klischee dass er ein Nerd ist, um es für den Leser nachvollziehbarer zu machen, dass er eben nicht der tolle Typ ist. Hier war es eben auch die Prämisse die Rollen aus der Romantasy zu tauchen. Tolle, unnahbare Frau und normalo Typ.
    Auch wenn es eindeutig zu wenig Nerdmädchen gibt. Meine Nerdmädchen haben dann meistens eher die typisch weiblichen Hobbies, Serie und Fanfiction
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      #5
      Ich habe lange darüber nachgedacht und glaube, dass es wirklich auf das Setting und das soziale Umfeld ankommt.

      Bei meinem Fantasy-Projekt würde sich definitiv etwas ändern, wenn ich meine Protagonistin zum Mann mache, da würde der gesamte Entwicklungsprozess anders laufen. Das liegt aber weniger an der Figur, sondern vielmehr an den gesellschaftlichen Normen. Mittelalter halt. Ein Kerl hat da viel mehr Möglichkeiten, seine Macht zu festigen. gerade wenn er ein Recht auf die Krone hat. Er müsste lernen, sich zu beweisen, was vermutlich primär über Kriegsgeschick und gerechtes Handeln geht.
      Eine junge Prinzessin in der gleichen Situation wird nicht für voll genommen. Sie ist auf die Unterstützung von anderen angewiesen, weil sie kaum Einfluss auf Soldaten etc. hat, die für sie kämpfen würden. Und auch die Mächtigen wollen lieber ein schwaches Mädchen, dass sie beeinflussen können. Dementsprechend ist ihr "sich beweisen" darauf ausgelegt, dass sie lernt, ihre Stärken einzusetzen, Intrigen zu entlarven und Handel einzugehen.

      Im Young-Adult-Projekt dagegen spielt das Geschlecht nicht unbedingt eine Rolle. Im Zweifel würde ich halt den Love Interest auch switchen, dann bleibt die Kernaussage - Verantwortung übernehmen, ein Ziel finden und seine Kräfte weise einzusetzen - gleich. Vielleicht kommt die Komponente der Selbstüberschätzung noch deutlicher zum Tragen, obwohl meine Heldin das auch ganz gut als Frau auf die Reihe bekommt.
      "Alles, was wir brauchen, ist Glaube, Vertrauen und Feenstaub."
      (Peter Pan)

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        #6
        Ich beantworte die Frage mal pauschal mit „Ja, ich KÖNNTE die Geschlechter tauschen. Und die Geschichte im Großen und Ganzen vom Ablauf her so erzählen, wie ich’s vorhabe.“ Vom Setting und vom sozialen Umfeld her wär's kein Problem.


        Auf der Figuren- und Konfliktebene sieht das natürlich anders aus. En Detail:

        Erstens geht’s mir, wie im Quoten-Thread beschrieben, grundsätzlich so, dass ich lieber Jungs als Mädels schreibe. Weibliche POVs gefallen mir echt nur sehr selten. Die Gründe dafür kann ich nicht genau benennen. Klassische Frauenrollen nerven mich. Frauen in klassischen Männerrollen aber auch. Wenn ich Anteile von beiden Rollenbildern in einem Charakter mische, denke ich sofort „oh, die Figur fänd ich jetzt aber als Mann spannender“. Wtf?? Ich hab keine Ahnung, woran das liegt.

        Zweitens gibt’s bei meinem Projekt ne Parallele zu dem von Ankh: Es geht auf der Figurenebene um zwei Typen (Überraschung!), die sich gegen haufenweise Widerstände zusammenraufen müssen. Wenn ich jetzt aus einem der Jungs eine Frau machen würde, würde das die Dynamik zwischen ihnen beeinflussen ... vor allem auch, wenn ich die Erwartungshaltung der Leser mit einbeziehe. Man fragt sich doch dann automatisch, (ob) wann „sie sich kriegen“. Und dat is nu genau die Figuren-Konstellation, die mich selber zu Tode langweilt.

        Jetzt könnte ich natürlich einen von beiden (Mann + Frau) homosexuell machen, oder ich mach aus BEIDEN Männern Frauen. Für den Plot (soweit er steht) würde das keinen Unterschied machen, und in der Theorie fühlt sich das durchaus spannend an. In der Praxis greift dann aber sofort wieder „Erstens“


        Ich mag einfach das Beziehungsmuster zwischen heterosexuellen Cis-Männern, die sich zuerst aus guten Gründen nicht abkönnen (sich dabei auch mal ordentlich auf die Fresse hauen) und irgendwann feststellen, dass sie durch die Ereignisse zu Buddies geworden sind. Auch wenn das nie der Plan war.


        and it's not what we think
        rather the opposite
        it's staring at the end of you.

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        • Victoria
          Victoria kommentierte
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          Ankh
          Mir gehts eher andersherum.
          Ich vertraue den Lesern, dass sie meine Figuren nicht derart auf meine Persönlichkeit beziehen. Und ich vertraue auf mein Handwerk, dass ich die Figuren so darstelle, dass der Leser versteht, dass es eine blöde Figur ist und nicht dass der blöde Autor die FIguren nicht besser darstellen kann. (Wow. Vier Dasse in einem Satz)
          Ich hab eher bei männlichen Figuren diesen Gedanken. Da ich vor allem Romanze schreibe, sind Männerfiguren immer etwas Wunschdenken, um die Leserinnen zu befriedigen. Aber ich will die Männer auch nicht SO schrecklich falsch darstellen.

        • Milch
          Milch kommentierte
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          Es gibt nicht den Mann, wie es auch nicht die Frau gibt.

        • Zwielicht
          Zwielicht kommentierte
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          VickieLinn Ankh keine Ahnung ... wahrscheinlich ist es ein bisschen was von allem. Das "interessante Unbekannte" spielt sicher ne Rolle, wobei es mir in meinem Alter auch nicht mehr SO unbekannt sein sollte, dass ich's komplett falsch darstelle Falls da zu viel Wunschdenken drin ist, muss ich halt dran arbeiten, dass es keiner merkt ... genau so wie bei den Quoten-Frauen in meinen Geschichten *hust*

        #7
        Bei meinen Projekten sähe ich prinzipiell kein Problem darin, die Geschlechter zu tauschen, weil ich glaube, dass ich die Figuren nicht unbedingt geschlechtsspezifisch (wenn es das überhaupt gäbe) ausgestattet habe, abgesehen von körperlichen Merkmalen. Allerdings schreibe ich es eben so, wie ich es schreibe, damit ich Spaß daran habe; daher würde ich es nicht ändern wollen.
        Ich habe bisher zwar nur moderne RL-Settings ausgearbeitet, aber auch in meinem geplanten retrofuturistischen Projekt werde ich bei meinen Akteuren keine stupid-verknöcherte Rollenverteilung haben wollen, weil es mich langweilen würde. Wie es mich im wahren Leben auch langweilt.

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        • Zwielicht
          Zwielicht kommentierte
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          Futuristisch aus einer Retro-Perspektive, würde ich raten. Also z.B. durch die 70er-Jahre-Brille.

        • Dodo
          Dodo kommentierte
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          Steampunk zum Beispiel. Science Fiction, verlegt in die Vergangenheit.

        • Peter
          Peter kommentierte
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          Ach so. Steampunk ist nicht so mein Ding.

        #8
        Alles kann, nichts muss. Es gibt auch Männer, die auf Ihre Frauen warten und anders rum. Für mich geht es dann wohl darum, wie sind solche Menschen gestrickt? Welche Eigenschaften bringen sie mit? Jedes Geschlecht kann jede Eigenschaft haben.
        Leser, die selbst die Rollenklischees für sich privat überwunden haben werden wohl wenig dabei finden, wenn der Mann strickend zuhause sitzt und auf die Majorgattin wartet, die aus dem Krieg nach Hause humpelt. Ist halt so. Für konservative Leser wird das wohl an der Grenze des futuristischen stehen und in einen durch einstürzende Rollenklischees ausgelösten Herzinfarkt enden.

        Ich Persönlich schreibe im Fantasybereich über Frauen, die nicht nur die Kräutersammlerinnen vom Dienst sind und irgendeine Unabhängigkeit in sich entdecken, weil sie plötzlich Feuerbälle ums sich schleudern können. Nö, es sind Menschen/Wesen mit einer Bandbreite an Fähigkeiten und Charaktereigenschaften, die klassisch betrachtet manchmal mehr ins männliche Spektrum rutschen, manchmal mehr ins weibliche.
        Meine Kriegerin könnte ein Mann sein, aber wozu?
        Nein das war ich nicht.
        Ach so, das!
        Ja, das war ich.

        Kontakt: administrator@wortkompass.de

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          #9
          Klassische Frauenrollen nerven mich. Frauen in klassischen Männerrollen aber auch. Wenn ich Anteile von beiden Rollenbildern in einem Charakter mische, denke ich sofort „oh, die Figur fänd ich jetzt aber als Mann spannender“.
          Ich glaube, das Gegenteil von klassischer Frauenrolle ist nicht Frau in Männerrolle oder ein Gewürzmix aus beidem.
          Für mich wäre es eher eine Frauenfigur, die das aus sich macht, was sie will und kann, die auch an Grenzen scheitern kann, klar, wie ein Mann auch. In einem Setting eines repressiven Patriarchats wird sie wohl eher an die Grenze kommen, aber solange sie ihre Möglichkeiten ausreizt, ist sie lange noch keine schwache, langweilige Figur, sondern eine, die eine Geschichte erleben kann. Und die Grenzen vielleicht sprengt - was ihre Geschichte erst recht erzählenswert machen kann. Wenn man dann die Vorzeichen des Settings umkehrt - ein repressives Matriarchat, dann hat man ein Setting, wo ein Mann ausbrechen könnte. (Auch nicht mehr so originell, aber wer es kann, kann daraus vielleicht etwas machen).

          Und was die immanente Romanze bei zwei Hauptfiguren angeht - man kann es nicht jedem recht machen. Ich finde das potentielle Gebritzel spannend und witzig (sofern es halt britzelt und nicht schmalzt), beim Schreiben und beim Lesen, aber wenn ein anderer Autor sich da eher zurückhält und die Story mich trotzdem fesselt, dann fehlt die Romanze auch nicht.

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            #10
            Ich benutze bewusst bestimmte Rollen. Zum einen, weil ich Geschlechterrollen sympathischer finde als diese Figuren, die ständig ihre Gesellschaft aufbrechen wollen. Zum anderen, weil ich den Eindruck habe, dass heutzutage dieser Rollentausch derart in den Mainstream gerückt ist, dass ich das viel klischeebehafteter finde als die alten Rollenbilder.
            Ich habe letzten Sommer einen Roman über einen Wikinger gelesen, der vor 100-200 Jahren geschrieben wurde. Während in den meisten modernen Wikingerromanen diese rauen Kerle spätestens wenn sie bei einem Überfall ihre große blonde oder serkländische Liebe finden, zu maunzenden Kätzchen werden, ist in dem Roman das klassische Männerbild erhalten geblieben. Das war dermaßen unerwartet und erfrischend, dass ich es mir bewusst zum Vorbild nehme.

            Diese Kriegerinnen langweilen mich extrem. Im Fantasygenre ist eine weibliche Protagonistin für mich mittlerweile ein Grund, das Buch nicht zu kaufen. Da hoffe ich ganz stark auf einen Wandel der derzeitigen Mode.
            Deswegen sind meine Protagonistinnen fremdbestimmte Frauen, die sich fleißig darin üben, was Frauen jahrhundertelang im Patriarchat getan haben: intrigieren, Ehemänner manipulieren, Fäden spinnen, zum Krieg anstiften und seelenruhig überleben, während die Männer sterben. So spare ich mir auch die lästigen Kriegsverletzungen, die wochenlang heilen müssen

            Wenn ich mir jetzt vorstelle, meine Protagonisten einer Geschlechterwandlung zu unterziehen, würde es nur funktionieren, wenn ich dafür das Setting tiefgreifend anpasse (und in meinen Augen nicht zum positiven, sondern erneut zum Klischee). Selbst wenn ich das täte, dann würden mir meine Figuren zerbrechen. Der eine würde zum Mannsweib, die andere zu einem zu typischen Helden, dessen Probleme zu ausgelutscht wären. Und mein Asket würde wohl wirken wie eine verkappte Emanze, die nur deswegen Männer ablehnt, weil sie sie in ihrer Selbstbestimmtheit einschränken.

            Für mich sind die Geschlechter kein austauschbares Gut bei der Figurenentwicklung, sondern ein Maßstab, der sehr viel diktiert. An das Geschlecht passen sich die charakterlichen Probleme und Lösungen an, die Reaktion der Außenwelt, der Weg des Helden. Das Geschlecht steht bei mir ganz am Anfang und diktiert die ganze folgende Handlung. Es ist, als würde ich entscheiden, ob ich ein Landschaftsbild oder Gemälde malen will.
            Derweilen ist auf dem Feld schon alles gewachsen, bevor die wussten, warum und wie genau es gedeiht. - Franziska Alber

            So nah, so fern.

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            • Milch
              Milch kommentierte
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              Ich denke, es gab nie nur den Krieger, auch die anderen Stereotypen sind uralt. Man muss sich nur die Märchen anschauen, da waren die Helden nie die Krieger, sondern meistens die Pfiffikusse, die mit einer List ihr Ziel erreichten.

            • Dodo
              Dodo kommentierte
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              Ja, die Pfiffikusse waren die, die die anderen für sich kämpfen ließen.

            • Kelpie
              Kelpie kommentierte
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              Dodo, ehrlich gesagt sind meine Frauen in der Rohfassung kaum selbstbestimmt, sondern reagieren v.a. Hab da aber generell ein Problem mit (und deswegen auch beim Finden von Motivation und Ziel), weil meine Figuren eigentlich nur ständig von außen gepiesakt werden. Anstatt dagegen anzukämpfen, versuche ich zurzeit den Grund dafür zu finden und dann bewusst in die Richtung weiter zu gehen.

            #11
            Ich spiele gerne mit dem Geschlecht meiner Charaktere, und allen anderen angeborenen Faktoren, aber hauptsächlich bei den Haupt- und wichtigen Nebencharakteren.
            Es macht Spaß. Und es endet selten in Klischees weil ich eben nicht in Geschlechterrollen denke, sondern diese höchsten einsetzte um es dem Charakter einfacher/schwerer zu machen (Bsp: Ein männlicher, asexueller Charakter in einem mittelalterlichen Setting bekommt Probleme mit seiner Verlobten, weil er kein Bock auf Sex hat: bei einer Frau wäre es eher akzeptiert worden, bei einem Mann denkt die Verlobte, er habe irgendein mentales Problem => mehr Konflikt für meinen Charakter wenn er männlich ist, also ist er männlich).

            Die meisten meiner Charaktere würden also auch als anderes Geschlecht funktionieren, und manchmal ändere ich das tatsächlich.
            Wo es erst nicht mehr wirklich änderbar wird, ist wenn der Charakter eine sexuelle Orientierung bekommt, bzw einen Love Interest mit definierter Orientierung. Oder ich ihr eine Kultur gebe, in der die Geschlechterrollen mehr Einfluss haben (ein Rabbi ist eben männlich). Oder sie irgendwie ein Kind zeugen muss.

            Das heißt nicht, dass ich das bei wirklich jedem Charakter bis zum Ende erstmal unentschlossen bin. Meistens beginnen die Charaktere mit einem definierten Geschlecht, aber ich denke gerne über die Möglichkeiten nach und ändere auch Geschlechter hin und wieder.

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              #12
              Das Geschlecht ist bei mir nachrangig. Das was den Charakter ausmacht kommt zuerst. Natürlich kann die Vergangenheit unterschiedlich verlaufen je nach Geschlecht. Aber wenn ich ein paar Charakter in Frauenkörper stecke, wäre ich mir sicher, dass es dann wieder zu dem selben Ergebnis käme.
              Genauso, dass ich nicht gerade die typischen Charakterzüge von Frauen oder Männer anwende. In der Regel, natürlich ist es oft auch anders, sind meine Frauen chaotisch veranlagt und pfeifen auf Regeln, was wiederum zu wunderbaren Konflikten mit einem ordnungsliebenden Mann führt. Umgekehrt käme das selbe raus.
              Ich arbeite oft auch mit einem Handicap, zb ein Student der Arzt werden will, wird durch eine Krankheit taub. In dem Punkt wäre es egal ob Frau oder Mann, beide hätten darum zu kämpfen ihren Beruf ausüben zu dürfen.

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                #13
                Es kommt ja auch einfach drauf an, was für eine Geschichte man schreiben will. Wenn die Geschichte anno dazumal spielen soll und von einer Frau handelt, die gerne auch mal eine kurze Hose anziehen will, dann kann ich die Geschlechter eben nicht tauschen und dann ist es wichtig, wer hier Mann ist und wer Frau. Genauso, wenn ich von einem Mann im amerikanischen Bürgerkrieg schreiben will, der desertiert, weil er heim zu seiner wartenden () Frau möchte (die in der Zeit natürlich das Haus bzw die Plantage zu führen hat, erinnert mich doch glatt an Cold Mountain ... *hust*, war tatsächlich unabsichtlich).

                Ich muss bei solchen Geschlechterfragen automatisch an meine Kinder denken. Ich habe eine Tochter und einen Sohn, der in sehr viel Glitzer und rosa und Puppen hineingeboren wurde und seine Babypuppe liebt und gerne in der Spielzeugküche kocht. Und plötzlich steht er tierisch auf Autos, LKWs und Züge. Das kam von ganz allein

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                • Badabumm
                  Badabumm kommentierte
                  Kommentar bearbeiten
                  Leider muss man sich als Elter für hellblau / Dinos / Star Wars Lego oder pink / Barbie / Einhorn-Ponyhof entscheiden. Es gibt nichts Neutrales, und besonders nicht bei Dingen der Identifikation, z.B. Schuhe, Tornister, Fahrräder, Bettwäsche, Klamotten. Die Industrie drängt die Kinder in eine Richtung, und da liegt es nahe, dass Kinder "ihre" Geschlechtszugehörigkeit wählen, weil das weniger anstrengend und kompliziert ist, so dass es zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung wird. Natürlich gibt es neutrales Spiel-Terrain, das aber z.B. bei Lego und Playmobil durch die vorgefertigten Bausätze eindeutig in zwei Hälften gespalten wird.

                  Dennoch behaupte ich, dass Rollen existieren - und zwar nicht allein in der Erziehung begründet - und dass Geschlechter nicht symmetrisch, also frei austauschbar, sind. Sie sind nicht gleich, sondern gleichberechtigt, was in meinen Augen zu Interpretationsmissverständnissen führt. Das heißt nun nicht, dass Männer nicht zuhören und Frauen nicht einparken können, sondern dass es - wenn es denn so wäre - nicht als gleichberechtigt gewürdigt wird. Die Leistungen der Männer werden immer als höherwertig eingestuft, und das liegt ganz einfach daran, dass Männer (in der Regel) die dominante Position in Staat und Gesellschaft einnehmen, und sie wären ja dumm, nicht "ihre" Geschlechtsgenossen zu bevorzugen. Genauso, wie Reiche bevorzugt werden, weil Reiche die Gesetze machen. Niemand gibt gerne und freiwillig Privilegien ab.

                  So wie wir uns unseren Körper und Geburtsort nicht aussuchen können, so kommen wir mit einem Geschlecht auf die Welt, mit dem wir klarkommen müssen. Das Nicht-Einparken und Nicht-Zuhören kommt schließlich nicht von ungefähr, sondern ist ein statistisches Phänomen, das zwar zu einem Klischee verkommen kann, aber immer noch einen wahren Kern hat. Deswegen sind Art und Weise, wie Frauen und Männer Probleme lösen und ihre Welt wahrnehmen, durchaus signifikant unterschiedlich. Geschlechter lassen sich in Romanen sicher austauschen, was sie jedoch "gleich" macht - und das stimmt so nicht ...

                • Dodo
                  Dodo kommentierte
                  Kommentar bearbeiten
                  Ich kann mich Badabumm im wesentlichen anschließen. Wichtig ist doch, dass Problemlösungen und Leistungen de facto von allen Geschlechtern gleichwertig und gar nicht mal so selten gleichartig angeboten werden. Frauen können rechnen, Männer Psychologie auch außerhalb des Managementtrainings begreifen. Fehlt "nur noch" die gleiche Wertschätzung. Auch für Einhornpsychologinnen und Parkplatzdesigner.

                • Badabumm
                  Badabumm kommentierte
                  Kommentar bearbeiten
                  Zitat von Amilyn
                  Eine war ganz außer sich, weil ihr Sohn sein Minnie Mouse-Plüschtier lieber mochte als die eilig rangeschaffte Mickey Mouse)
                  Also, eigentlich finde ich es ganz normal, dass der Junge lieber mit Mädchen spielt. Er ist dann ein stinknormaler Hetero... Die Mutter sollte sich freuen.
                  An Ken finde ich auch nichts faszinierendes, aber Barbie...

                  Gestern hat Dieter Nuhr festgestellt, dass sich Männer und Frauen fast immer nur Bilder von Frauen ansehen. Oder, wenn sie Künstler/innen sind, fast immer nur Frauen abbilden.
                  Im Wartezimmer lese ich auch die Brigitte. Warum? Weil da die hübschesten Mädchen drin sind! *lol*

                #14
                Mich persönlich stören Klischees in Büchern genauso wie nicht-Klischees, es sei denn, der Autor hat es gut gemacht. Ich denke, es ist wichtig, dass wir Geschlechtervorstellungen aufbrechen, sehe es aber weniger als Pflicht des Einzelnen. Wichtiger finde ich die Diskussion über Klischees, denn diese führt automatisch dazu, sich mit den gängigen Bildern auseinanderzusetzen. Und Autoren, die sich mit Geschlechterstereotypen auseinandersetzen, schreiben schon von sich aus oft weniger klischeehaft oder so reflektiert, dass es nicht verherrlichend wirkt.
                Ein (Anti)-Klischee, das ich mag, ist die intelligente, naturwissenschaftliche begeisterte Frau. Ich liebe solche Charaktere, überhaupt liebe ich intelligente Charaktere. Blöd ist leider, dass diese oft als das schräge, autistische Genie gezeichnet werden. Das ist auch ein Klischee und ich finde es furchtbar. :/

                Meine Geschichten würden auch mit Geschlechtertausch funktionieren.
                Obwohl ich oft bewusst darauf hinarbeiten, Geschlechterklischees aufzubrechen, bin ich gleichzeitig bemüht, eben keine Rückwärts-Stereotype zu zeichnen.
                Also keine unausstehlichen, super "emanzipierten" Kriegerinnen, aber durchaus Frauen, die sich gegen Vorbehalte und Rollenvorstellungen zur Wehr setzen müssen, wie es im echten Leben und auch für mich selbst oft der Fall ist. Dabei habe ich bspw. einen alleinerziehenden Mann, der seinen Beruf an den Nagel hängt, um sich um das Kind zu kümmern und eine intelligente (nein, nicht Sheldon Cooper intelligent, solche Klischees finde ich (zumindest in ernsthaften Büchern) auch eher nervig), strategisch denkende (mathematikbegabte XD) Frau, die ihr Köpfchen im Kampf für eine fairere Gesellschaft einsetzt. Beide sind für ihre Geschichten im Übrigen gleichermaßen relevant, auch der Hausmann seht nicht im Hintergrund.
                Würde ich die Rollen tauschen, wäre ich zwar näher am gängigen Klischee, aber die beiden haben mehr zu bieten, als ihr Geschlecht. Sie agieren innerhalb der Geschichte, beide auf ihre Art und Weise und das was sie tun, ist sowohl typisch, untypisch als auch neutral für ihr Geschlecht, je nach Situation. Dementsprechend würde die Geschichte als solches weiterhin funktionieren, zumindest in Bezug auf die Figuren.
                Schwieriger wird es vielleicht in Bezug auf das Setting, wenn man das Geschlecht einzelner Figuren verändert. Jeder meiner Charaktere würde zweifellos funktionieren, wenn sie plötzlich das Geschlecht wechseln müssten, aber natürlich muss sich ein Mann nicht gegen Männer mit Vorbehalten gegenüber Frauen durchsetzen. Zumindest nicht ohne Weiteres. Aber auch ohne diesen Teil der Story, würden meine Geschichten würde alles laufen, wie bisher, die Figuren würden ihren Charakter behalten. Mein Geschreibe handeln schließlich nicht vom Kampf der Geschlechter. Es stünden vielleicht andere Traumata, Motivationen oder Vorurteile im Raum, aber funktionieren würde es prinzipiell schon. Der Unterschied, den ich beim Schreiben machen würde, läge dann in der Gesellschaft, in der meine Helden leben begründet, was Sinn macht, wenn man bedenkt, wie die Gesellschaft und Kultur das Frauen- und Männerbild beeinflusst.

                Tatsächlich getauscht, habe ich NOCH nicht. Bei einem Charakter bin ich momentan aber ernsthaft am Überlegen. Das liegt allerdings daran, dass ich vom Design her noch nicht weit bin und er eh bis dato weder ein festes Aussehen, noch tiefgreifende Charakterzüge besitzt. Nur eine Funktion. Und die kann auch eine Frau erfüllen.

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                  #15
                  Ich gehe mal in einen neuen Beitrag, weil ich unter den Kommis den Überblick verliere mit Aufklappen und zuklappen und so ^^'

                  @Dodo

                  Du kannst nicht sagen: Das war ich nicht. Du kannst sagen: das ist nicht meine persönliche Meinung. Aber es ist eine Meinung, Aussage, Aufforderung, was auch immer.
                  Ich glaube, es gibt auf dieser Welt keine einzige Meinung, die so ansteckend wie ein Virus ist, dass jeglicher Kontakt mit ihr gleich dazu führt, dass man dieser Meinung anhängt bzw. anderen Schaden davonträgt. (Ich spreche von Meinungen, nicht von Darstellung von Gewalt o.Ä. In diesem Fall ist eine Triggerwarnung am Buchdeckel angebracht. Eine Warnung á la "Vorsicht! Enthält patriarchale Sichtweisen!" fände ich irgendwie lächerlich.) Und aus diesem Grund finde ich es nicht nötig, den Leser da sicherheitshalber in Schutzanzüge zu kleiden, indem ich durchblicken lasse, dass ich als Autor anders darüber denke. Das erinnert mich gerade an Brechts episches Theater, von dem ich noch nie etwas gehalten habe: Dem Leser auf jeden Fall deutlich machen, dass Assoziationen mit der Realität nicht gewollt, ja nicht vorhanden sind. Indem ich eine Figur darstelle, die irgendeine Meinung vertritt, etwa diese Frauen-Herd-Meinung, und gleichzeitig klarstelle, dass ich, Autor, es nicht gut finde (bzw. es von der Allgemeinheit nicht gutgeheißen wird), entziehe ich der Figur die Grundlage der Glaubhaftigkeit. Ihre Meinung ist nicht länger eine real existierende Meinung, sondern eine Meinung, über die geredet und geurteilt wird, die Figur bleibt immer ein Fremder und ich erschaffe künstlich eine Grenze zwischen uns, die wir die richtige Meinung haben, und ihm, der er die falsche Meinung hat.
                  Ist es das, was ich erreichen will? Will ich eine Meinung präsentieren und meine hinterherwerfen? Will ich damit mir selbst Meinungshoheit verschaffen? Oder will ich dem Leser die Möglichkeit geben, diese Meinung aus allernächster Nähe wahrzunehmen und sich sein eigenes Urteil zu bilden? Wie gesagt, ich unterstelle meinen Lesern jetzt einfach mal genügend Urteilsvermögen, um da meine Bevormundung nicht zu benötigen. Kinder- und Jugendbücher sind davon selbstverständlich ausgeschlossen.

                  Etwas anderes ist Propaganda. Das ist aber auch nicht die Darstellung einer Meinung, sondern das Bewerben einer Meinung. Aber indem ich eine fremde Meinung in meinem Buch bewerte und meine eigene als die richtige darstelle - da haben wir in der Tat etwas, das für mich unter den Begriff Propaganda fällt.
                  Zumal ich es auch überhaupt nicht gut finde, dass ständig Meinungen als gut oder schlecht, richtig oder falsch dargestellt werden. Wir sprechen hier ja nicht von Figuren, die zu Totschlag aufrufen o.Ä., sondern eigentlich nur von Männern, die Frauen hinter den Herd stellen wollen. Heutzutage überholt, viele Frauen werden sich darüber ärgern und andere darüber lachen, aber ganz grundsätzlich ist so eine Einstellung doch nichts, wovor man warnen, was man kommentieren müsste.

                  Warum schreibst du über diesen Mann, der jede Frau hinter den Herd klemmen möchte?
                  Wo ist da die Geschichte? Welchen Sinn hat dieser Mann und das Hinter-den-Herd-Klemmen-Wollen für die Geschichte? Was soll die Aussage sein? Niemand will unbedingt eine Relativierung, es will auch kein erwachsener Leser erzogen werden, aber einen Grund für deine Wahl wird es doch geben. Den erwartet der Leser. Weil er erwachsen ist.
                  Der kann ja überall liegen. Ich kann mir jedwede Begründung dafür einfallen lassen. Vielleicht, um zu erklären, warum der Mann immer noch keine Frau hat. Vielleicht um zu erklären, warum er sich weigert, kochen zu lernen. Vielleicht will ich darstellen, wie es in seiner Herkunftsfamilie aussah und damit einen anderen Komplex der Figur unterstreichen, beispielsweise lehnt er Gewalt gegen Frauen ab, nachdem sein Vater seine Mutter immer zusammenschlug. Und die Herd-Meinung verdeutlicht, dass er seinem Vater immer näher rückt. Oder dass man trotz Bemühungen die Erlebnisse seiner Kindheit ganz tief in sich drin hat - unbewusst.

                  Weg von der Herd-Sache zu einem anderen Beispiel: Gewaltverherrlichung. Findet man in x-verschiedenen Filmen und Büchern. Angefangen bei Herr der Ringe bis hin zu Asterix und Obelix. Hätte da irgendwann Frodo sagen sollen, dass Orks umbringen moralisch auch nicht einwandfrei ist? Oder sollte Obelix seine manchmal wirklich grundlose Gewalt hinterfragen?
                  In meinem Genre komme ich um Tote und Verletzte auch nicht drumherum und ich lasse meine Figuren auch viel Gewalt ausüben, die nicht notwendig wäre. Und wenn sie jemand darauf anspricht, ob sie das "moralisch in Ordnung finden", dann lasse ich sie im Gespräch die Oberhand gewinnen und finde das ziemlich witzig. Reiner Perspektivwechsel. Deswegen gehe ich nicht mit einem Messer auf die Straße und ich wage zu vermuten, dass das 99% der Fantasyleser ebenfalls nicht machen - trotz zweifelhafter Meinungen der Protagonisten.

                  Die Geschichte muss die Auswahl begründen, sonst ist die Figur beliebig bzw sinnlos. Die Figur muss für den Leser nachvollziehbar handeln. Es geht nicht darum, den Leser erziehen zu wollen, ihm nach dem Mund zu reden - sondern eine glaubwürdige Geschichte zu erzählen. Als Autor kann ich nicht sagen, nimm meine Figur mit ihrer Eigenschaft xy gefälligst an. Er muss die Figur handeln lassen, damit man sie - als gut oder böse oder bla - annehmen kann.
                  Aber es hat ja keiner gesagt, dass man der Figur eine Meinung oder Eigenschaft nur um des Schocks willen andichtet. Es wird sicherlich immer Gründe dafür geben - und wenn es sie gibt, könnte man dann deines Erachtens auf eine "autorische" Moral verzichten?

                  "Gut und böse" sind in meinen Augen völlig veraltete Kategorien für Romanfiguren und jegliche andere Bewertung.

                  Aber man darf den Leser dort nicht aussetzen mit einer Figur, für deren Eigenschaft xy (z B Figur liebt Gewaltexzesse) man keine Verantwortung tragen will.
                  Ich erinnere mich an einen Roman, wo der Antagonist tatsächlich Gewaltexzesse gebraucht hat; irgendwelche Frauen abschlachten musste, um irgendwelche sexuellen Gelüste zu befriedigen. Das wurde allerdings tatsächlich einfach nur angedichtet, stand in keinerlei brauchbarem Zusammenhang und machte auch entwicklungstechnisch für die Figur keinen Sinn. Die einzige Auseinandersetzung war die, dass der Antagonist eh böse war und deswegen natürlich ein Haufen widerwärtiges Zeug machen musste. Zumindest die Wertung des Autors kam überdeutlich durch.
                  Das war z.B. ein Punkt, der mich gestört hat. Da hätte ich eine verherrlichende Beschreibung der Leichen und eine Verherrlichung der Gewalt allgemein aus Sicht der Figur bevorzugt, wenn das zumindest irgendeinen Sinn ergeben hätte. Aber so einen Charakterzug andichten, weil er eben böse ist und deswegen zu einer bösen Figur passt - das ist flach und wirkt v.a. so, als sei die Szene nur aus Effektheischerei drin. Gewalt als Effekt finde ich verharmlosender als Gewalt in ihrer nackten und schrecklichsten, aber unkommentierten Darstellung.

                  @Milch

                  Wenn man nur Serienmörder-Krimis liest und guckt, dann wirkt sich das. Man wird nicht gleich zum Serienmörder, aber das Weltbild kann sich verdunkeln. Man vermutet übertrieben mehr Kriminalität als statistisch bewiesen. Und man vermutet es an den falschen Stellen. Es wird ja selten von Mord in Krankenhäusern und Pflegestationen auszählt.
                  Sorry, aber das ist ja eine vollkommen haltlose Behauptung. Ich kenne sehr viele Leute, die ausschließlich Krimis und blutige Thriller lesen, wo irgendwelche Frauen in Kellern zerstückelt und im Wald vergraben werden - und ich hätte bei niemandem eine Veränderung der Wahrnehmung festgestellt, ganz besonders nicht so, dass man in Zukunft vor solchen Büchern warnen müsste.
                  Derweilen ist auf dem Feld schon alles gewachsen, bevor die wussten, warum und wie genau es gedeiht. - Franziska Alber

                  So nah, so fern.

                  Kommentar


                  • Peter
                    Peter kommentierte
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                    Na ja, je nachdem wo man sucht, scheint das Bild doch sehr unterschiedlich auszusehen.

                    https://community.beck.de/2014/10/10...in-deutschland

                  • Badabumm
                    Badabumm kommentierte
                    Kommentar bearbeiten
                    Genau darum geht es ja: emotionsbeladene Schlüsselwörter und -Themen suggerieren etwas. Obwohl die Realität ganz anders aussehen kann. Die Statistik sagt etwas anderes als unser Gefühl.

                    Der größte deutsche Massenmörder in jüngster Zeit z.B..ist dieser Pfleger, der in Krankenhäusern ~100 Menschen umgebracht hat. Nicht etwa ein Messerschlächter, und schon gar kein Flüchtling ...

                  • Milch
                    Milch kommentierte
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                    at Kelpie
                    In Deutschland sind die Einbruchszahlen wieder gesunken, da finde ich, den Hamburger Weg, die Ermittlung neu zu organisieren, schon vorbildlich. Übrigens waren sie in den Neunzigern weitaus höher als in den Zehnerjahren.
                    Prozentuale Zahlen können schon sehr verwirren. Stellen wir uns vor, im Jahr gab in Gebiet A es 10 Einbrüche und im Jahr darauf 15 Einbrüche. Das wäre eine Steigerung von 50 %.
                    Betäubungsmittelmissbrauch verstärkt die Angst vor Kriminalität nicht so sehr.
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