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Die erste Zeile

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    #16
    Ich schließe mich hier der großen Mehrheit an: Mir ist der erste Satz oder die erste Zeile auch ziemlich gleichgültig. Ich entscheide meist nach ein paar Absätzen, ob mir das Thema zusagt. Dennoch: Sehr gut erste Sätze fallen mir durchaus auf und solche Bücher haben dann bei mir auch sofort einen Bonus. Gerade bei meinen Lieblingsbüchern sind die ersten Sätze aber häufig total daneben. Bei Game of Thrones finde ich sogar den gesamten Prolog nervig.

    Wenn wir die erste Szene beurteilen, dann haben die in meinen Augen gelungensten eins gemeinsam: Sie konzentrieren sich nicht auf die Handlung, sondern auf Atmosphäre und ein Bild. Das trifft etwa auf "Der Name des Windes" zu, für mich immer noch unerreicht, und auf "Die Pferdefrau", die ich trotz mäßig interessanter Thematik wegen des Stils verschlungen habe:

    Der auffrischende Wind ließ die langen Gräser zittern.
    Noch vor kurzer Zeit war der Himmel blau gewesen, und eine milde Frühlingssonne tauchte die Wiesen in klare, freundliche Farben. Doch nun wurden die kleinen weißen Wölkchen von immer größeren, dunklen Haufen verdrängt, die die Sonne verdeckten und das Blau verbargen.
    Der Himmel über dem Lough Corrib hatte eine dunkelgraue Tönung angenommen; die Bäume und die hohen Schilfpflanzen am Ufer des Sees hoben sich scharf davon ab. In den Bergen des Connemara-Nationalparks regnete es bereits, die Gipfel lagen hinter Dunstschleiern verborgen.
    Ein unwirkliches Licht lag über der Landschaft, das die Farben veränderte und eine beinahe gespenstische Stimmung hervorrief.
    Hier und in den nächsten Absätzen - die handwerklich sicher nicht perfekt sind - habe ich einfach ein ganz deutliches Bild vor Augen und merke, dass die Autorin ein ganz klares Bild vor Augen hat und mit sehr großer Wahrscheinlichkeit eine Landschaft beschreibt, das sie selbst gesehen hat.


    Sämtliche Romane, die mit einer Actionszene beginnen, fallen bei mir stilistisch durch. Es gibt bisher nur einen, der mich durch seine Handlung in Kapitel 1 fesseln konnte, und da ging es um eine detailliert beschriebene Hinrichtung, die mit dem Satz endete, dass der Protagonist die Henker für ihre Präzision hätte bewundern müssen, wäre er nicht der nächste, mit dem so verfahren würde.
    Mit diesem Satz endete das Kapitel.
    Zuletzt geändert von Kelpie; 11.05.2017, 19:50.
    Derweilen ist auf dem Feld schon alles gewachsen, bevor die wussten, warum und wie genau es gedeiht. - Franziska Alber

    So nah, so fern.

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    • Kelpie
      Kelpie kommentierte
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      Die Wörter sind mir auch aufgefallen, v.a. weil ich witzigerweise irgendwo mal eine Szene hatte, die sich genau derselben Wörter bedient hat: gespenstisch, unwirklich, Farben. Ich habe damals versucht, das zu präzisieren, finde allerdings heute, dass diese unbestimmten Beschreibungen irgendwie deutlicher sind als Begriffe, die es auf den Punkt treffen. Gerade das Wetter hat ganz viel mit eigenen Empfindungen zu tun und dieses "unwirkliche Licht" wird von jedem anders wahrgenommen. Bei diesem Wortpaar - "unwirkliches Licht" - in Zusammenhang mit Regen habe ich zumindest ein sehr klares Bild vor Augen, weil ich das aus der eigenen Erinnerung krame. Stünde da nun etwas anderes, dann müsste ich möglicherweise nicht mehr meine eigene Erinnerung anzapfen, wodurch das Bild entpersonalisiert und damit von mir entfremdet würde.

      Wie würdest du es denn anders umschreiben?

    • Peter
      Peter kommentierte
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      Kelpie Muss ich mir mal Zeit für nehmen.

      Bei der gespenstischen Stimmung habe ich die meisten Probleme. Ich hätte hier gerne einen äußeren Reiz (Rascheln im Unterholz, Knacken eines Astes, Wind der Blätter vor sich hertreibt, irgendsowas Greifbares) in Kombination mit einer körperlichen Reaktion (zusammenzucken, erschrecken, innere Unruhe, Anspannung, etc.)

    • Kelpie
      Kelpie kommentierte
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      Das hätte schwer geklappt, weil es auktorial erzählt wird und die "Protagonisten" der Szene eine Pferdeherde ist. Eine Reaktion von ihnen hätte die ganze Stimmung zerstört.

      Für mich hat das Gespenstische an der Stelle einfach etwas vom Wetter. Da die Geschichte in Irland spielt, wo der Elfenglaube ja auch noch beheimatet ist ... ich weiß nicht, für mich passt das einfach - auch ohne knackende Äste und heulenden Wind.
      Aber klar, Ansichtssache. Ich verstehe deine Kritikpunkte durchaus.

    #17
    Hier und in den nächsten Absätzen - die handwerklich sicher nicht perfekt sind - habe ich einfach ein ganz deutliches Bild vor Augen und merke, dass die Autorin ein ganz klares Bild vor Augen hat und mit sehr großer Wahrscheinlichkeit eine Landschaft beschreibt, das sie selbst gesehen hat.
    Ich hätte dein Beispiel vermutlich komplett überlesen und wenn die gehäuft aufgetreten wären, dass Buch abgebrochen. Ich finde nichts langweiliger als ausschweifende Landschaftsbeschreibungen. Meiner Meinung nach braucht ein guter Autor nur wenige Worte, manchmal sogar nur eins, um Atmosphäre zu erzeugen. Absätze voller Wölcken und Wiesen sind für mich ein Zeichen mangelhaften Handwerks oder mangelhafter Disziplin (der Autor ist zur sehr in sein eigenes Geschreibsel verliebt. "Schaut her, wie poetisch ich schreiben kann!").
    Da gehen die Geschmäcker halt auseinander. Purple Prose ist mir ein Graus.

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    • Kelpie
      Kelpie kommentierte
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      Wie du sagst: Geschmäcker. Deswegen gibt es vermutlich auch keinen Anfang, mit dem man jeden fesseln könnte. Vielleicht könnte man daher festhalten, dass man versuchen sollte, bereits mit dem ersten Satz seine Zielgruppe zu fesseln und die anderen besser gleich zu verjagen als erst nach 3 Kapiteln.

      Grundsätzlich glaube ich zwar auch, dass die wahre Kunst die ist, eine Atmosphäre in einem Satz einzufangen, gleichzeitig denke ich aber auch, dass das nicht immer funktioniert. In meinen Augen können Beschreibungen auch dazu dienen, dem Leser eine Verschnaufpause zu geben bzw. gezielt eine Pause und einen Stimmungswechsel im Roman herbeizuführen. Die meisten Beschreibungen finden sich ja am Anfang einer Szene bzw. wenn ein neuer Raum o.Ä. betreten wurde - also wenn ein kleiner Bruch stattfindet. Das Lesetempo gezielt zu reduzieren, kann insofern auch ein Kunstgriff sein.

    • Zwielicht
      Zwielicht kommentierte
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      Lustig ... ich dachte beim Lesen deines Beispiels, dass mir dieser Satz:

      Der Himmel über dem Lough Corrib hatte eine dunkelgraue Tönung angenommen; die Bäume und die hohen Schilfpflanzen am Ufer des Sees hoben sich scharf davon ab.
      eigentlich völlig reichen würde, um die Atmo zu erfassen. Mein Gehirn ergänzt die veränderten Farben und die gespenstische Stimmung automatisch, weil ich dieses Wetter kenne.
      Ich hab grundsätzlich nichts gegen Wetter- oder Landschaftsbeschreibung, aber möchte das auch auf möglichst ein prägnantes Merkmal, höchstens zwei, beschränkt haben. Sonst überspring ich den Absatz automatisch.

    • DreamBell
      DreamBell kommentierte
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      Ich stolper ja schon über den Satz selber, den du erwähnst @Zwiellicht xD Ich habe da nix im Kopf, außer das ich den Satz mehrfach lesen musste. Kommen solche Sätze öfter vor landet das Buch in der Ecke

    #18
    Witzig, als ich den Absatz nochmal gelesen habe, ehe ich ihn gepostet habe, fand ich ihn hervorragend. Als ich ihn abgetippt habe, ist mir aufgefallen, dass die Wortwahl unsauber ist und einige Begriffe sehr unpräzise, Peter . Wenn ich die Sätze jetzt hier lese, finde ich sie auch nicht mehr so berauschend. Insgesamt in dem Buch weiß ich aber, dass dieser Prolog mit mehrmals gepackt hat; später kommt dann auch noch die auktoriale Sicht auf ein Pferd hinzu.

    Von daher würde ich jetzt einfach mal behaupten, dass der obige Absatz ganz klar Geschmackssache ist, vielleicht sogar abhängig von der jeweiligen Laune bzw. mit welcher Haltung man an das Buch herangeht. Unter dem kritischen Blick brechen die Zeilen zugegebenermaßen sofort zusammen.
    Als Beispiel finde ich es dennoch geeignet, eben weil es zeigt, wie unterschiedlich Beschreibungen aufgefasst werden - gerade am Romananfang.

    Zwielicht, bei dem zitierten Satz habe ich zwar ein Bild vor Augen, aber die Zeilen vorher führen bei mir eher zu einem Film. "Der auffrischende Wind" - es wird kälter als es vorher war. Der Teil mit der Frühlingssonne nimmt darauf nochmal Bezug. Ich habe automatisch keine frierenden Leiber vor Augen, sondern aufgewärmte, die Kälte und der Geruch von Regen haben etwas Erfrischendes, nicht etwas Unangenehmes. Klar, das sind irgendwie Details, die bei jedem anders ankommen, aber für mich hat die Szene so eine ganz andere Stimmung als es mit dem Satz alleine oben getan wäre ...
    Derweilen ist auf dem Feld schon alles gewachsen, bevor die wussten, warum und wie genau es gedeiht. - Franziska Alber

    So nah, so fern.

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    • Peter
      Peter kommentierte
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      Kelpie Wenn man veröffentlichen will, hat man meist eine bestimmte Zielgruppe im Sinn, für die man schreibt, und die der erste Satz einfangen soll. Ob es den anderen gefällt, ist nebensächlich.

    #19
    Ich mag gute erste Sätze und gute erste Paragraphen, aber sie sind kein Muss um mich weiterlesen zu lassen. Aber wenn ich mir beispielsweise nicht sicher bin, ob ich ein bestimmtes Buch lesen will oder nicht, dann kann ein großartiger Anfang bei mir schon die Entscheidung für das Buch auslösen. Ein schlechter erster Satz hingegen bringt mich aber nicht gleich dazu, mich gegen das Buch zu entscheiden.

    Einer der besten ersten Sätzen die ich bisher gelesen habe war:
    "Twelve hours before Amber Lamont's parents tried to kill her, she was sitting between them in the principal's office, her hands in her lap, stifling all the things she wanted to say."
    Aus Demon Road von Derek Landy

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