Wie wichtig ist euch Sprache?

[Milch]

Ist sie für euch nur Mittel zum Zweck?
Was ist eine schöne Sprache? Geht schöne Sprache ohne Inhalt?

Ich finde, man kann bei der Sprache nie ganz das Wie und Was trennen, sprich die Inhaltsebene von der Formebene. Der Inhalt bestimmt eine gewisse Form, die Form hat auch eine inhaltliche Ebene.

[weltatlas]

(schönes Thema. Ich bin auf die Antworten gespannt und halte mich jetzt wieder zurück.)

[Traummuschel]

Ich sehe das in etwa wie du, Milch. Die Sprache ist das was einen Schriftsteller/Autor von einem Filmemacher, Comiczeichner, etc. pp. unterscheidet. Es ist zwar das Mittel, mit dem der Inhalt vermittelt wird, aber auch eine Kunstform. Wenn eins von beidem zu kurz kommt (die Kunst der Sprache oder der Inhalt) leidet das Kunstwerk darunter. Entweder wird es zu belanglos oder zu inhaltslos.

[Dodo]

Sprache ist IMMER Mittel zum Zweck. Man will etwas sagen. Und sie ist verräterisch.

Selbst bei Politikern und Populisten. Leere Phrasen und hohles Gejohle sagen auch eine Menge, nur nicht auf der unmittelbaren Inhaltsebene. Die Sprache könnte man allerdings auch nicht mehr als schön bezeichnen. Wenn solche Personen in meinem Buch auftauchten, ließe ich sie aber sicher so sprechen, und ich denke, das verfolgte einen höheren inhaltlichen Zweck als der im Text wiedergegebene Inhalt bzw. die verwendete Form. (Womit wir auch das Klischee streifen - beiseite damit).

Sprachliche Kunst ist etwas anderes als künstliche oder verkünstelte Sprache.
Extrem-Sprachjongleure wollen eventuell sagen, dass sie nicht verstanden werden wollen. Und ob eine schwer verständliche Sprache schön ist ... Für mich nicht.

Naturwissenschaftliche Texte sollten geradeaus und schnörkellos sein, damit man sie auf jeden Fall versteht. Auf die Weise wird so ein Text auch schön. Je mehr herumgeeiert wird, desto klarer wird, dass dem Verfasser nichts klar war.

Wenn ich "belletristisch" zu schreiben versuche, erlaube ich mir eine andere Palette an Ausdrucksmöglichkeiten. Kompliziertere Satzstrukturen, ausgesuchtere Worte, vielleicht auch Regelbrüche, die dazu führen, dass Inhalt und Form nicht zueinander passen - was möglicherweise Komik oder Verunsicherung erzeugt. Mittel zum Zweck.
Wenn jemand absatzweise verschiedene Variationen der Farbe Grün beschreibt, muss die Sprache schon brillant sein und ein Ziel verfolgen, damit es nicht in die Hose geht. Ich kenne ein entsprechendes konkretes Beispiel, und jedes Komma, jeder Punkt saßen an der richtigen Stelle. Der Autor hat seine Sprachgewalt mit dem ganz dicken Pinsel aufgetragen und ein so filigranes Bild gemalt, das vom Kontext perfekt gerahmt wurde (ich dagegen habe es nicht so mit den originellen Sprach-Bildern), obwohl - oder weil? - die inhaltliche Ebene an der Grenze der Trivialität stand. Was mich persönlich überhaupt nicht juckt.

Schöne Sprache ist für mich etwas, was mich (auch) vor Bewunderung schmunzeln oder heulen lässt. Lieber schmunzeln. Ob damit auch immer bedeutungsschwangerer Inhalt übertragen werden muss, dessen bin ich mir nicht sicher.

[Ankh]

Ist sie für euch nur Mittel zum Zweck?

Wieso "nur"? Ist das irgendetwas negatives? Natürlich ist Sprache Mittel zum Zweck, ob ich damit jetzt eine Information rüberbringen will oder mich am Klang erfreuen. Zweckfreie Sprache ist leeres Gesabbel.

Was ist eine schöne Sprache?

Ich reibe mich ehrlich gesagt ein bisschen an dem Begriff "schön". Gute Sprache ist für mich, wenn die Gefühle, Stimmungen und Aussagen gut transportiert werden. Wenn diese Aussagen aber zum Beispiel gar nicht schön sind, dann sollte auch die Sprache nicht "schön" sein. Fändest du es schön, wenn die Tagesschau in jambischen Hexametern vom Tod von 232 Zivilisten berichtet statt nüchtern und sachlich? Ich fände das unangemessen, selbst wenn die Dichtung stilistisch perfekt wäre. Sprache muss nicht immer schön sein, sie muss zur Botschaft passen, und "schöne" Botschaften sind nur ein Bruchteil der relevanten Dinge, die Sprache uns vermitteln kann.

Geht schöne Sprache ohne Inhalt?

Klar. Wobei die Frage ist, wo Inhalt anfängt. Ist ein "Inhaltsloses" Wort nur eines, das ich selbst kreiere? Dann wären wir z.B. bei den Gedichten von Lewis Carroll, die trotzdem sehr schön sind und auch trotzdem irgendwie einen Inhalt haben, wenn er auch sehr verschwommen rüberkommt. Oder schließt "inhaltslos" auch ein, dass ich mit existierenden Worten abstrakte Bilder male, ohne dass eine Botschaft dahinter steckt? Was tue ich denn, wenn dann jemand trotzdem eine Botschaft darin findet, die ich gar nicht intendiert hatte? Ist eine Szene, die ich ganz ohne Botschaft und ohne Zusammenhang niederschreibe, nur weil sie lustig ist, inhaltslos?

[Zwielicht]

Ich schließe mich der "MIttel zum Zweck"-Fraktion an, und ja: ausschließlich Mittel zum Zweck. Aber wie meine Vorposterin finde ich nicht, dass das etwas Negatives ist.
Sprache ist ein Instrument, um Inhalte zu vermitteln. Die Kunst liegt darin, dieses Instrument mit allen seinen Facetten so einzusetzen, dass der Inhalt den Leser emotional berührt, zum Nachdenken anregt, wütend macht. Je nach Intention des Textes.

[Victoria]

Was ist eine schöne Sprache?

Was ist ein schöner Mensch?
Jeder hat ein anderes empfinden von Schönheit. Ich sehe die Schönheit als umfassendes Konzept, es ist das Zusammenspiel von der kleinsten Lautebene über Wortwahl und -komposita bis hin zu den Satzstrukturen und einem zum Leben erwachten Text.

Vergleiche ich die Sprache mit Menschen, sind Wörter (nicht Worte) sind wie die Details der äußeren Hülle. Lippen können schmal oder voll sein, geschwungen oder mit eckigem Amorbogen, und Wörter können mit Plosiven (Pack!) hart und mit Vibranten und Frikativen (Rausch~) weich klingen. Von einander getrennt betrachtet, kann man nicht urteilen, ob Phoneme schön sind, ob Grünäugigkeit einen Menschen schön macht. Manche finden zarte Frauen schön, und ein kantiger Kiefer würde ihr die Grazilität nehmen. Doch vielleicht ist gerade die scheinbare Diskrepanz das Charakteristikum, das diese Person besonders schön macht. Die Antwort muss jeder Rezipient für sich selbst finden.
Ich empfinde kunstvolle literarische Sprache wie Topmodels. Sie sind gefertigt. Ernährungsberater, Personal Trainer, Modedesigner, Visagist, Stylist, … werkeln an einer Person, die jeden Laufstegschritt, jedes Fotolächeln und jeden Hairflip beherrscht. Und dann gibt es Charaktergesichter, die gerade durch die vielen Sommersprossen oder die Zahnlücke eine individuelle Schönheit ausstrahlen. Jeder hat ein anderes Schönheitsempfinden, und das ist okay.

Irgendwo wurden Schreibratgeber niedergemacht. Ich habe in meinem Regal ein Tablar voller Ratgeber und keiner davpn ist dogmatisch. Sie sagen nicht, dass man diese Zahnlücke richten soll, sie sagen bloß, dass man gepflegte Zähne schön sind und dass man sie gut putzen soll. "Nach dem Essen Zähne putzen" soll nicht mit "Chirurgiere dir ein Plastikgebiss" missverstanden werden. Also nicht über das dogmatische "Zähne putzen!" aufregen. Dieser Tipp ist dafür da, damit euer Text strahlen kann. Egal mit Zahnlücke, vampirisch geschärften Eckzähnen oder angeklebten Glitzersteinchen.

Geht schöne Sprache ohne Inhalt?
Nein.
Meiner Meinung nach macht erst der Inhalt die Sprache schön.
Doch wie Milch sagte: "Ich finde, man kann bei der Sprache nie ganz das Wie und Was trennen, sprich die Inhaltsebene von der Formebene. Der Inhalt bestimmt eine gewisse Form, die Form hat auch eine inhaltliche Ebene."
Ein humorvoller Mensch mit ansteckendem Lachen, mit Scharfsinn und Intelligenz, mit Einfühlungsvermögen und mit Willensstärke macht durch deine Eigenschaften seine körperliche Hülle noch schöner. Ebenso kann die Körperhaltung oder die Stimme die Handlung der Person anders wahrnehmen lassen.

Die Sprache an sich hat mich noch nie so stark berührt (auch wenn ich bei einzelnen Worten einen linguistischen Höhepu…flug bekomme), als wenn sie einen Inhalt übermittelt.
Habt ihr mal bei Geschichten gelacht? Geweint? Wart ihr wütend oder betrübt? Weshalb? Wegen der Worte allein? Wegen des Inhalts allein? Berührt euch der Inhalt mehr, wenn eine adäquate Sprache benutzt wird, um den Ihhalt zur Geltung zu bringen?

Und zum Schluss was Persönliches.
Sprache ist eins der wunderschönsten Dinge, die es gibt. Ich liebe die deutsche Sprache (und auch andere) bis in die tiefste Ebene. Ich liebe die Sprache der Bilder. Ich liebe die Sprache der Musik. Ich liebe die Körpersprache, die nicht nur im Tanz oder anderen darstellenden Künsten zum Ausdruck kommt. Und ich liebe es, wenn Autoren ihre eigenen Worte finden, um die Sprache zu verfeinern und damit ihre Geschichte erzählen. Deshalb heißt das Forum ja auch, wie es heißt.

So. Jenuch Kitsch. Ick jeh wieder Triwwijalliteratur schreebm.

[Dodo]

Ick liebä Balinarisch. Und das Wort "Tranfunzel" (Ja, da steckt auch Inhalt hinter).

[Traummuschel]

Das hast du sehr schön ausgedrückt =) Ich liebe Sprache auch.

[Victoria]

Oh, danke.

Tranfunzel ist ja cool! Mein Wortschatz hat sich um +1 vergrößert. *freu*

[Milch]

Schöne Sprache ist für mich prägnant, also es bringt originell etwas auf den Punkt. Und das ist etwas anderes als verschwurbelte Sätze.
Und schöne Sprache ist musikalisch.

[Kelpie]

Für mich ist Sprache nicht nur Mittel zum Zweck, sondern sie kann durchaus Selbstzweck sein. Sicherlich entstehen wunderschöne Absätze meistens daraus, dass hinter der Sprache eine schöne Aussage steht und völlig sinnloses Daherpalavere wird selten schön sein. Andererseits finde ich, besteht die Kunst der Sprache daraus, Bilder zu zaubern, die zwar jeder kennt, aber eben nur in der grauen, langweiligen Fassung. Die Sprache zaubert einen mystischen Schleier darüber und kann es schaffen, selbst der dreckigen Großstadt etwas Magisches zu verleihen.

Offensichtlich wird das m.E. in der Lyrik, wo ich die Aussage hinter den Sätzen in den meisten Fällen recht banal finde. Aber die Sprache bauscht sie zu etwas Wundervollen, Großen auf. In der Beziehung beeindruckt mich zum Beispiel die Skaldik, deren Aufbau an sich so kunstvoll ist, dass die Aussage einer acht-Versen-Strophe meist in einem kurzen Satz zusammengefasst werden kann. Aber wenn man sich diese Klangmuster anschaut, diese Alliterationen und Binnenreime, Endreime und Wortbilder ... dann ist das viel, viel mehr als die Aussage, die dahinter stehen soll. Meist steht noch eine Aussage darüber und darunter.

Generell sollte in meinen Augen nicht unterschätzt werden, wie sehr der Klang eine Wirkung auf die Sprache hat. Man kann ein und dieselbe Aussage in zwei völlig andere Sätze packen, man kann es direkt sagen, man kann es verschwurbeln, man kann es reimen oder auf den Tisch knallen, man kann mit weichen Wörtern und Lauten arbeiten oder zischende und fauchende Wörter verwenden ... Schaut man sich auch ein und denselben Satz in den verschiedensten Sprachen an, wird ebenfalls deutlich wie unterschiedlich eine Aussage dahinter werden kann: Man möchte das immer gleiche sagen, muss unterschiedliche Ausdrücke verwenden und kommt nicht umhin - auch die Botschaft verändert sich minimal bis gravierend.
Nein, für mich ist die Sprache beinahe wichtiger als die Aussage dahinter. Ich würde sie gerne richtig beherrschen, aber es ist so verdammt schwer.

[Kari]

Ist Sprache nur Mittel zum Zweck?
Kommt auf den Zweck an. Informationen nur "irgendwie" von A nach B zu bringen, ist nicht allzu schwer. Sie sinnvoll zu präsentieren allerdings schon. Man denke mal an Übersetzungen - ja sicher, ich kann etwas aus einer anderen Sprache übersetzen, aber das klingt im Deutschen oft recht holprig. Zumindest in meinen Ohren.

Was ist schöne Sprache?
Schöne Sprache zeichnet sich durch mich vor allem dadurch aus, dass sie dem Leser so klar wie möglich macht, was der Autor meint. Ich meine hier nicht nur reinen Inhalt, ich meine auch Stimmung, Tempo und Klang. Schöne Sprache ist stimmig. Schöne Sprache ist so viel wie nötig und nicht mehr. Vor allem ist sie verständlich und zugänglich - und damit sehr subjektiv. Es gibt Autoren, zu denen ich einfach keinen Zugang finde - deren Schreibe klingt für mich auch nicht schön.

Geht schöne Sprache ohne Inhalt?
Inhaltslose Sprache gibt es, ich finde sie allerdings selten schön.

[In-Genius]

Wäre Sprache "nur Mittel zum Zweck", so stelle ich mir jemanden vor, der irgendwelche Wörter nutzt, um mehr oder weniger akurat seine Botschaft an seine Mitmenschen zu bringen. Jemanden also, der sich mit den Feinheiten, Besonderheiten und dem Umgang seiner Sprache nicht auseinandersetzt und auch nicht benutzen will. Das wäre so, als wollte jemand seinen Hunger stillen und ob es McDonalds oder ein Michelin-Restaurant ist, ist ihm egal, Hauptsache das Essen stopft seinen Magen.

Das oberste Ziel eines Künstlers sollte sein, dass Form und Inhalt Hand in Hand gehen und zusammen das beste aus dem Kunstwerk schöpfen. Dazu muss nicht nur der Inhalt künstlerisch behandelt werden, auch die Sprache sollte künstlerisch behandelt werden. Das bedeutet, dass man nicht nur darüber nachdenkt, in welcher Reihenfolge man die Ereignisse seiner Geschichte am besten erzählt, sondern auch welche rhetorischen Mittel man dazu einsetzt. Eine Balance zwischen den beiden Aspekten sollte angestrebt werden.

Für mich persönlich ist Sprache jedoch so viel mehr. Ich kann stundenlang über nur einem Satz sitzen und nach der bestmöglichen Formulierung suchen, nach diesem einen Wort mit der richtigen Bedeutung und meiner gebrauchten Assoziation. Der Klang eines Textes und das Zusammenspiel seiner Wörter auf grammatischer Ebene sind für mich genauso wichtig wie die Tiefe meiner Figuren. Dann schreibe ich eine ganze Szene, wo jedes Wort den Laut "w" enthält, damit die Szenen diesen weichen und träumerischen Unterton erhält. An anderer Stelle verlege ich das Subjekt an das Ende des Satzes, damit die große dramatische Enthüllung noch dramatischer wird.
Es ist für mich vollkommen natürlich, Bücher zu lesen, weil sie gut klingen und eine herrlich einsaugende Sprache haben, auch wenn ich den Inhalt langweilig finde. Ich liebe die Texte von Eminem nicht, weil sie reißerisch sind, sondern weil er einen beneidenswerten und genialen Griff über seine Sprache hat. Selbst wenn er nichts sagt, ist seine Sprache auf höchstem Niveau konstruiert. Das bewundere ich. Meine Liebe für Sprache durchdringt meine Texte auf allen Ebenen, manchmal bringt mich meine Liebe für Sprache auf kreativeren Inhalt als bisher - und manchmal behandel ich meine Sprache künstlerischer bzw mit mehr Aufmerksamkeit als den Inhalt.