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Mittwochsfrage #130: Kann man Werk und Autor trennen?

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    Mittwochsfrage #130: Kann man Werk und Autor trennen?

    In seinem Buch „Der Tod des Autors“ plädiert Roland Barthes dafür Texte immer losgelöst vom Autor zu betrachtet, denn der Leser erschaffe den Text und nicht der Verfasser. Mit anderen Worten kritisiert er den Biographismus, in der sich die Interpretation eines Werkes immer um die Person des Verfassers dreht. Nach Barthels ist das Schreiben ein Raum, in dem das Subjekt, das Individuum verschwindet „wo jede Identität verloren ist“, einschließlich die des Verfassers.
    Alexis Petridis (Musikkritiker) hingegen meint, dass große Kunst von schrecklichen Menschen geschaffen werden kann. Es gibt prominente Beispiele aus der Kunst, egal ob Musik, Literatur, Malerei oder Bildhauerei. Künstler die ihre Geliebten ins Gefängnis werfen ließen, Künstler die mit Minderjährigen verkehrten, Antisemiten, Rassisten, Vergewaltiger u.v.m. Doch ihre Werke sehen wir in Ausstellungen, hören sie auf Konzerten oder lesen sie in der Schule. Es scheint, als wär ihr Talent, ihr Werk über ihre Taten erhaben. Lassen sich Taten außerhalb des Werkes allein mit Talent wegdiskutieren und die Kunst sich in Unschuld sonnen?
    Ein schweres Thema.
    Ist es sinnvoller das Werk eines Künstlers mit dessen Biographie aufzuarbeiten, sich dem bewusst zu sein, wer der Verfasser war? Oder sollte es keine Rolle spielen?
    Wie seht Ihr das?


    Nein das war ich nicht.
    Ach so, das!
    Ja, das war ich.

    Kontakt: administrator@wortkompass.de

    #2
    Du sprichst hier zwei sehr verschiedene Dinge an. Das erste ist, ob man ein Werk überhaupt verstehen kann, wenn man nichts über den Autor weiß. Ich bin absolut kein Fan von solchen Schulfragen wie "was will uns der Autor damit sagen?", denn letztlich geht es beim Lesen vorrangig darum, was ich persönlich mit einem Werk anfangen kann und was es mir "gibt". Trotzdem ist es oft sinnvoll, ein wenig über die Zeit und die Umstände, unter denen ein Werk entstanden ist, zu wissen, um eventuelle Botschaften einordnen zu können, die der Autor darin vermittelt. Ich kann ein Werk auch ohne dieses Wissen lesen, aber möglicherweise entgehen mir ohne diesen Kontext einige wertvolle Erkenntnisse.

    Die andere Frage ist, ob ich einen Künstler gut finden kann oder darf, wenn er persönlich ein Arschloch ist. In der Beziehung versuche ich meist, das Werk unabhängig vom Künstler zu betrachten. Ich kann z.B. Tom Cruise menschlich nicht leiden, aber ich kann anerkennen, dass er ein guter Schauspieler ist. Auf der anderen Seite würde ich mir keinen Hitler ins Wohnzimmer hängen, auch wenn seine Kunst vermutlich das letze ist, was man an ihm kritisieren kann. In solchen Fällen ist für mich die Frage, inwieweit man den Menschen hinter der Kunst finanziell unterstützen, zu seinem Ruhm beitragen und/oder ihn ehren will. Allerdings hebe ich mir einen Boykott für die wirklich miesen Typen auf, deren Erinnerung man prinzipiell besser aus der kollektiven Erinnerung streichen sollte oder deren positiven Werke nicht die Erinnerung an ihre negativen Taten überschatten sollten. Letztlich ist kein Mensch perfekt, und es ergibt für mich wenig Sinn, Kunst vorrangig am Charakter des Künstlers zu messen statt an ihrem Eigenwert.
    Poems are never finished.
    Just abandoned.

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      #3
      Das ist eine schwere Frage.

      Grundsätzlich denke ich, Autor und Werk sind verschiedene Entitäten. Natürlich gibt es eine Verbindung zwischen ihnen, die mal stärker und mal schwächer ausgeprägt ist, aber deswegen sind sie nicht deckungsgleich. Also ich denke schon, dass man Autor und Werk voneinander getrennt betrachten kann und im ersten Schritt auch getrennt voneinander betrachten sollte.
      Der erste Schritt einer Kunstbetrachtung oder Interpretation sollte vom Publikum ausgehen und was das Publikum aus dem Kunstwerk ziehen kann.

      Allerdings kann es für manche Kunstwerke Sinn machen, sie auf die Künstler-Biographie hin zu betrachten. Es gibt Künstler, die aus ihren eigenen Erfahrungen heraus ihre Kunst betreiben, so gewisse Dinge verarbeiten oder zur Schau stellen. In diesen Fällen macht es Sinn, den Hintergrund des Künstlers zu wissen und bei der Interpretation des Werkes zu beachten. In diesen Kunstwerken mit einem starken biographischen Charakter kann das Wissen über die biographischen Tatsachen und wie sich das Kunstwerk davon unterscheidet zu einer Erhöhung des Themas und der Wirkung führen.

      Das Problem, dass auch furchtbare Menschen Kunst machen ... Da muss man wohl verschiedene Dinge unterscheiden.
      Zum einen muss man schauen, ob der Künstler das, weswegen wir ihn als furchtbaren Menschen betrachten, auch in seiner Kunst darstellt oder gar in seiner Kunst glorifiziert. In solch einem Fall wäre die Kunst so oder so kritisch zu betrachten, da sie etwas Schlimmes positiv überhöht und das muss immer kritisch betrachtet werden, unabhängig vom Künstler.
      Auch muss betrachtet werden, ob in der Entstehung des Kunstwerkes das getan wurde, weswegen wir den Künstler als furchtbaren Menschen betrachten. Da muss man also die Werkgeschichte heranziehen und darüber kritisch sein.

      Man muss sich auch fragen, selbst wenn der Künstler das, weswegen wir ihn als furchtbaren Menschen betrachten, in gar keiner Weise in seine Kunst einfließen lässt, ob man dann durch seine Kunstbetrachtung dennoch diesen Menschen unterstützen möchte. Selbst wenn das Furchtbare nicht in der Kunst ist und daher das Kunstwerk als solches unbedenklich konsumiert werden kann, bekommt der Künstler ja dennoch Raum und Aufmerksamkeit und eventuell Geld. Das will man vielleicht nicht jemandem geben, den man als furchtbaren Menschen betrachtet, auch wenn man die Kunst noch so sehr mag und diese noch so unverfänglich ist.

      Dennoch denke ich, ist das Wichtigste zuerst, ob das Kunstwerk selbst ein furchtbares Thema/Taten/Menschen in den Vordergrund rückt und vor allem wie.
      Ich habe bereits aufgehört, Musik eines bestimmen Rappers zu hören, weil manche seiner Texte einen ernsthaft homophoben Ton haben. Ich weiß nicht, ob der Rapper tatsächliche diese Weltsicht hat oder sich einfach an die Konventionen des Genres hält. Es interessiert mich auch nicht weiter. Er klingt ernsthaft homophob, mehr ist nicht wichtig. Im Hip-Hop sind homophobe Äußerungen an der Tagesordnung und das ist scharf zu kritisieren. Dennoch mag ich diese Musikrichtung sehr gerne und will nicht aufhören, sie anzuhören. Natürlich gibt es Subgenres, die mal mehr oder weniger mit solchen Schimpfworten um sich werfen und man kann sich jene Künstler herauspicken, die nicht homophobe Liedtexte schreiben.
      Trotzdem ist mein absoluter Lieblingsmusiker Eminem, der schon ganze Aufmärsche gegen seine oft als homophob und frauenfeindlich angesehenen Liedtexte ausgelöst hat. In meinen Ohren sind seine Texte allerdings nicht ernsthaft homophob, sondern dies verschiedentlich gewollte Provokation, cartoonischer Witz, Genrekonvention oder einfach das einzige Wort, das an der Stelle reimt. Es ist also kein ernsthafter Angriff auf homosexuelle oder andere LGBTQ* Menschen und das genügt mir. Anderen sehen das sicherlich anders. Auch ein homophobes Schimpfwort, das nicht ernst gemeint ist, bleibt ein homophobes Schimpfwort.
      Hingegen bin ich mir sicher, dass er so manche frauenfeindliche Zeile ernst meint und dies teils seine persönliche Meinung widerspiegelt. Es ist also eine ernsthafte Darstellung einer frauenfeindlichen Weltsicht und teils eine recht überhöhte Darstellung von Gewalt an Frauen (teils ernst, teils unernst). Das kann einem Bauchschmerzen bereiten oder gar in Rage bringen und es ist niemandem zu verübeln, das nicht in der eigenen Musiksammlung haben zu wollen. Diese Zeilen sind, gerade jene mit einem ernsten Ton, oft biographisch, da Eminem einer jener Künstler ist, der sehr biographisch an sein Werk herangeht. Aufgrund seiner Biographie sind manche dieser Aussagen durchaus verständlich, deswegen natürlich dennoch nicht gutzuheißen oder zu entschuldigen. Ob dies für einen Grund genug ist, den teils ernsthaft frauenfeindlichen Ton seiner Musik zu akzeptieren, ist zuerst eine persönliche Entscheidung.
      Was Eminem für ein Mensch ist, spielt da für mich keine große Rolle. Ob er ein gutherziger Vater ist und sich für wohltätige Zwecke einsetzt oder er ein jähzorniger Ehemann und ein suchtkranker Vorgesetzter ist, hat nur insofern Bedeutung, wie dies in die Musik hineinblutet. Worüber ich nur in soweit Urteilen kann, wie seine Musik und andere öffentliche Informationsquellen dies zulassen. Das ist nur bedingt handfest. Ich muss also die Musik dahingehend bewerten, wie sie auf mich wirkt, denn über den Menschen Eminem kann ich keine definitiven Aussagen treffen - ich kenn ihn ja nicht. Gerade das ist das Problem, wenn man ein Kunstwerk so interpretieren will, dass der Künstler im Mittelpunkt steht. Als Außenstehender stößt man immer gegen Grenzen der Privatssphäre.
      Für mich persönlich steht fest: Die kontroverse Art seiner Musik spricht mich an. Manche Dinge interpretiere ich nicht als eine ernstgemeinte Darstellung, andere Dinge interpretiere ich als Ausdruck einer persönlichen Erlebniswelt.
      Ist das Grund genug Musik zu mögen, die andere Menschen verletzt? Ist das Grund genug einen Künstler zu unterstützen, der ein verurteilter Straftäter ist?
      Da kann ich keine allgemeingültige Antwort drauf geben.
      Ayo, my pen and paper cause a chain reaction
      to get your brain relaxin', the zany actin' maniac in action.
      A brainiac in fact, son, you mainly lack attraction.
      You look insanely whack when just a fraction of my tracks run.

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        #4
        Man denke nur an Caravaggio, Michael Jackson und Lewis Carroll. Rembrandt war auch nicht so einfach. Waren es große Künstler? Ja. Wir dürfen nicht von Künstlern erwarten, dass sie die besseren Menschen sind, sie sollen nur die besseren Künstler sein.

        Die Kritik an Biographismus wäre heute im Zeitalter der zahlreichen Memoiren angebracht, vielleicht würde es das Sprektrum an Geschichten erweitern.

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        • Milch
          Milch kommentierte
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          Ich habe Memoire mit Erinnerungsbüchern wie Die Welt im Rücken von Melle verwechselt? Wie heißt das Genre noch einmal? Auch mit M am Anfang. Ist auch sehr autobiographisch?

        #5
        Schwierige Frage, wirklich. Ich bin da sehr bei Ankh und sehe es von Situation zu Situation unterschiedlich, oft sogar in ein und demselben Fall. Als beispielsweise vor einigen Jahren öffentlich wurde, dass ein Schauspieler der "Lindenstraße" Scientologe ist, wurde er von der Produktion entlassen. Ich finde das einerseits ungerechtfertigt, da eine Schauspielrolle nichts mit dem Schauspieler als Privatperson zu tun hat. Er selbst mag Scientologe sein, und das ist nicht verboten. Aber seine Rolle ist es nicht. Andererseits würde ich vermutlich, wenn ich bereits persönliche Erfahrungen mit Scientology gemacht hätte (und ich gehe davon aus, dass sie negativ gewesen wären), ein großer Befürworter seiner Entlassung sein.

        Milch hat Michael Jackson erwähnt. Die Frage danach, ob man seine Musik noch gut finden "darf", finde ich ebenfalls schwierig (davon ausgehend, die Vorwürfe sind wahr, und das tue ich). Ist es denn "nur Musik" von einem Menschen, der Kinder sexuell missbraucht hat, die man gut findet? Ist es wirklich wurscht, was er privat getan hat, solange er doch gute Musik machte? Ist es wirklich überzogen, dass manche Radiosender ihn nicht mehr spielen, "nur", weil eine neue Doku gezeigt wurde? Immerhin ist es doch echt gute Musik, die möglicherweise genauso wenig mit Michael Jackson als Privatperson zu tun hat wie Serienrolle des Lindenstraßen-Schauspielers. Aber immerhin geht es um eins der ekelhaftesten Verbrechen, die es gibt, die er begangen hat (davon ausgehend).

        Auf der anderen Seite hat man vielleicht die liebe Kindergärtnerin, die Bücher über brutale Serienmorde schreibt. Die wird bestimmt oft genug die Frage "Wie kommst du denn auf so was?" hören, aber keiner wird davon ausgehen, dass sie privat gerne Leute umbringt oder grundsätzlich ein böser oder nur unsympathischer Mensch ist, weil sie solche Sachen schreibt.

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        • Milch
          Milch kommentierte
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          Ob jemand ein guter Mensch war, entscheidet für mich nicht darüber, ob jemand ein guter Künstler ist oder war. Aber dann liegt es daran, dass seine Werke unbedeutend sind, ansonsten bin ich dagegen mit zweierlei Maß zu messen. Ich bin gegen die Cancelkultur. Wir müssen die Ambiguität aushalten, selbst wenn es schwierig ist. Menschen sind vielschichtig, sie sind nicht nur gut, sie sind nicht nur böse, das gilt für uns alle.
          Eine andere Frage ist, ob man nun Poster von Michael Jackson an der Wand haben muss.

          Ich finde, man kann Kirsten Dunst auch mal einen Ausrutscher verziehen.

        • In-Genius
          In-Genius kommentierte
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          Milch Es gibt einen Unterschied zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Nur weil man zB Michael Jackson zugesteht ein großer und revolutionärer Musiker gewesen zu sein - an dem historischen Fakt gibt es nichts zu rütteln -, heißt das nicht automatisch auch, dass meine seine Musik weiterhin feiern sollte und ihm bzw. seinen Komplizen entsprechende Macht und Geld zukommen zu lassen.
          Erinnern ist nicht gleichzeitig glorifizieren. Da gibt es einen Unterschied. Ähnliche Unterschiede machen wir auch, wenn wir uns an bestimmte Kriege erinnern und eher ihren Opfern gedenken statt die Soldaten zu feiern. Historischer Fakt und breite Popularität sind unterschiedliche Dinge. Das sollte in solch einer Diskussion nicht vergessen werden.

        • LisaOno
          LisaOno kommentierte
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          Ich seh das auch wie In-Genius, das Michael Jackson die Musikgeschichte geprägt hat ist ein Fakt, über den man nicht diskutieren kann. Auch die Qualität seiner Kunst hat sich nicht verändert, ich finde die Musik noch immer genial. Nur kann man viele Texte jetzt nicht mehr hören ohne ein gewisses Bild im Kopf zu haben (You are not alone...)
          Hinzu kommt noch, dass er rechtlich gesehen unschuldig war, als er starb. Wäre er noch am Leben, wäre die Situation eine ganz andere.

        #6
        Ich bin der Meinung dass man Werk und Künstler getrennt voneinander betrachten sollte. Die Kunst eines jeden sollte aus meiner Sicht allein dazustehen, ohne dass man diese immer mit dem Erschaffer vergleicht. (Vor einiger Zeit gab es ja wieder die Diskussion ob man die Musik von Michael Jackson hören sollte und ob Radios deren Ausstrahlung nicht unterbinden sollten. Aus meiner Sicht völlig unverständlich ... egal was M.J. auch getan hat oder haben soll.) Ich verstehe einfach nicht, warum ich Werke von Künstlern schlecht finden soll, nur weil der Künstler etwas verbrochen hat. Genauso finde ich es falsch, Inhalte von Werken auf ihre Erschaffer zu projizieren (dann dürfte man nie sexistische/rassistische/wasauchimmer Charaktere haben).

        Meiner Meinung nach ist das Werk mit dem Künstler zwar verbunden, ich würde ihn aber nie damit verbinden.
        Man sagt, dass ein Buch Einblick in das Innerste des Autors gibt ... wenn das stimmt, möchte ich mit mir nichts mehr zu tun haben.

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        • Amilyn
          Amilyn kommentierte
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          Es geht ja auch darum: kann ich es überhaupt noch ertragen, die Lieder von jemandem zu hören und fröhlich mitzuträllern, wenn klar ist, was derjenige getan hat? Ich kann mich einerseits klar dazu entscheiden, jemanden durch den Verzicht des Kaufes finanziell nicht mehr zu unterstützen, obwohl ich seine Lieder mag, seine Romane bisher immer toll fand, seine Bilder schön finde usw. Andererseits kann man ja nichts dagegen tun, wenn die Gedanken an das, was derjenige getan hat, immer da sind, wenn die Lieder gespielt werden.

        • Alvias
          Alvias kommentierte
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          Ich meine ... es ist ja okay, wenn man die Werke eines Künstlers nicht mehr hören/sehen/gut finden will, weil derjenige eine Straftat begangen hat ... ich finde es aber auch genauso okay, wenn man dessen Werke immer noch hören/sehen/gut finden will und kann

        • Victoria
          Victoria kommentierte
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          Alvias
          Das hat ja auch niemand verlangt.
          Das muss jede*r mit der eigenen Moral ausmachen.

          Über deinen letzten Satz im Ausgangspost kann man diskutieren (was auch bereits geschehen ist). Was ist "falsch" und wie definiert man "projizieren"?

        #7
        Genauso finde ich es falsch, Inhalte von Werken auf ihre Erschaffer zu projizieren (dann dürfte man nie sexistische/rassistische/wasauchimmer Charaktere haben).
        Den Satz finde ich in Teilen sehr wichtig. Nicht nur, was der Künstler ausserhalb seiner Kunst treibt, kann unsere Entscheidungen beeinflußen, sondern eben auch der Inhalt dieser Kunst. Tatsächlich kann ich das Leben des Künstlers eher ausblenden als das, was Inhalt seiner Kunst ist. Ich forsche z B dem Leben von Autoren nicht hinterher.
        Hätte Michael Jackson textlich oder ähnlich Pädophilie in seiner Musik gefeiert, dann könnte ich allenfalls im Stillen die musikalische Leistung anerkennen, aber nicht durch Käufe o. ä. unterstützen. (Im Wissen um den Kindesmissbrauch, den ich für glaubhaft halte, kaufe ich allerdings auch prinzipiell keine Werke der entsprechenden Künstler; sprich: wenn mich eine entsprechende Information über den Künstler erreicht, ignoriere ich sie nicht).
        Ich lege manche Bücher weg, weil ich das dort Dargestellte nicht lesen will, vor allem nicht, wenn es unangemessen dargestellt ist. Es kommt sehr drauf an, ob ich eine "rechtfertigende Indikation" (wie es so schön im Strahlenschutz heißt) für die Darstellung finde, sprich: hat der Autor einen überzeugenden Grund für die Notwendigkeit und die Art der Darstellung? Und wie geht er selbst in seinem Text mit dessen Inhalt ins Gericht?
        Allein rassistische oder sexistische Charaktere sind kein Grund für eine Negativauswahl, die Figuren dürfen mE ihre Ansichten fiktional abfeiern. Es sollte aber eine Wertung erkennbar sein, eine kritische Distanz des Autors zu seinen Figuren, wenn es um hohe, globale Werte wie Menschenrechte geht. Diese kritische Distanz ist in diesem Fall die Grundlage für die Trennung zwischen Werk und Autor. Wenn der Autor mit seinem Buch unkritisch rassistisches oder sexistisches Gedankengut abfeiert, dann läuft es für mich unter rassistischer oder sexistischer Propaganda und ich kann nicht mehr zwischen Werk und Autor trennen.

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          #8
          Ganz, ganz schwierige Frage. Eine der Fragen, bei denen ich es tatsächlich für wichtiger halte, sie zu stellen, als sie zu beantworten.

          Was ich damit meine: die Frage regt zum Nachdenken an. Und ich glaube, die meisten Menschen kommen dabei zu dem Schluss, dass sie diese Frage nicht allgemeingültig beantworten können. Aber die Frage zwingt uns, uns mit der Person des Künstlers auseinanderzusetzen und damit in der nächsten Instanz mit der Frage, ob wir das Denken und Handeln des Künstlers außerhalb seiner Kunstwerke gutheißen.

          Ich gehe bei solchen Fragen pragmatisch vor und wiege im Einzelfall ab.

          (Michael Jackson ist für mich immer noch der King of Pop, weil ich ihn als historisch bedeutsamen Musiker würdige. Seine Musik möchte ich trotzdem nicht mehr im Radio hören, weil mir das Thema Kindesmissbrauch nahegeht und ich weiß, dass seine Musik für viele Menschen negativ triggernd wirkt.

          Salvador DalÁ­ finde würdige ich auch als großen Maler, und Leni Riefenstahl als revolutionäre Filmemacherin. Leider standen sie beide faschistischen Regimes näher, als es meinem Empfinden nach "richtig" ist.
          Trotzdem würde ich ihrer beider Werke nicht verbieten in dem Sinne, dass sie nie in Ausstellungen oder so gezeigt werden dürften. Ich würde mir nur wünschen, dass dann in den Ausstellungen eben auch auf ihre Person und ihr politisches Denken eingegangen wird. Da bin ich also weniger konsequent als bei Michael Jackson. Warum? Kann ich gar nicht richtig sagen. Vielleicht, weil es schon länger her ist. Aber ich kann nachvollziehen, dass manche Menschen sagen, sie können die Kunst dieser beiden nicht ertragen.

          Roman Polanskis ist für mich ein noch schwieriger Fall. Jemand, der definitiv eine Tat begangen hat, die ich verabscheue. Gleichzeitig jemand, der eine Biographie hat, für die er Mitleid verdient. Da lautet mein persönlicher Kompromiss: "Tanz der Vampire" ist für mich nach wie vor einer der besten Filme aller Zeiten, und den werde ich mir immer wieder ansehen. Polanskis andere Filme boykottiere ich. Ist total inkonsequent, ich weiß.

          Stephen King lese ich. Obwohl ich damit indirekt Alkoholabhängigkeit und Drogenmissbrauch unterstütze, und damit einen Prominenten fördere, der in diesen Punkten wirklich kein gutes Vorbild ist. Aber da ist mir persönlich das "Verbrechen", ein schlechtes Vorbild für die Jugend zu sein, nicht schlimm genug, um das ganze Werk des Autors zu boykottieren.)

          Was ich noch wichtig ist bei der Frage, ob und wie man Künstler und Werk trennen kann/soll: es lohnt sich, auch über den Tellerrand der eigenen moralischen Maßstäbe hinauszuschauen.
          Millionen Menschen boykottieren die Harry-Potter-Bücher, weil darin ja "teuflische" und "dämonische" Praktiken propagiert würden, und diese Bücher deshalb unchristlich seien. Für diese Menschen ist J. K. Rowling ein böser Mensch. Es ist verführerisch, diese Menschen als religiöse Spinner abzutun und sich über sie lustig zu machen. Aber das finde ich auch nicht richtig. Diese Menschen handeln ihrem eigenen Moralkodex entsprechend konsequent und haben sich entschlossen, hier Werk und Autorin nicht zu trennen. So lange sie das friedlich tun, muss man ihnen dieses Recht lassen. Finde ich.
          (Etwas anderes ist es, wenn aus diesem Recht auf die eigenen moralisch/religiösen Überzeugungen eine konkrete Bedrohung anderer entsteht! So wie es bei Salman Rushdie und der Fatwa wege der "Satanischen Verse" der Fall war/ist.)
          Always avoid alliteration.

          Kommentar


          • LisaOno
            LisaOno kommentierte
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            Ist Stephen King denn nicht schon seit vielen Jahren trocken bzw. clean? Oder hab ich was verpasst? 😃

          • Alys II.
            Alys II. kommentierte
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            LisaOno Da bin ich zugegebenermaßen nicht ganz auf dem Laufenden, weil es mir eben nicht so wichtig ist. Ich habe ihn als Beispiel aufgeführt, weil ich eine Freundin habe, die ihn aufgrund seiner Drogenhistorie nicht liest.

          #9
          Das ist ein Thema, das auf der Basis der eigenen Moral beantwortet wird. Und selbst dann muss man nicht unbedingt mit sich selbst einig werden.
          Bei einigen Autoren und Schauspieler ist es bei mir eindeutig. Ich mag nichts mehr von denen konsumieren. Ich stehe auch nicht in der Pflicht, ihnen etwas verzeihen zu müssen. Aber bei anderen Künstlern tu ich mir sehr schwer; konsequent kann man mich nicht nennen. Ich bin mit Michael Jacksons Liedern groß geworden, ich hab seine Songtexte mitgesungen, während ich in meiner pubertären Phase rumgeheult habe. Wenn heutzutage irgendwo ein Lied von ihm läuft, zieht es sich in mir zusammen und ich weiß nicht, was ich tun soll.


          Genauso finde ich es falsch, Inhalte von Werken auf ihre Erschaffer zu projizieren (dann dürfte man nie sexistische/rassistische/wasauchimmer Charaktere haben).
          Kommt darauf an, was man darunter versteht.
          Wenn eine Romanfigur Dinge tut, die z. B. nach dem Strafgesetzbuch verurteilt werden, heißt es ja noch lange nicht, dass der*die Erschaffer*in dieser Figur es ebenso machen würde oder gutheißt.
          Aber:
          Es sollte aber eine Wertung erkennbar sein, eine kritische Distanz des Autors zu seinen Figuren, wenn es um hohe, globale Werte wie Menschenrechte geht. Diese kritische Distanz ist in diesem Fall die Grundlage für die Trennung zwischen Werk und Autor. Wenn der Autor mit seinem Buch unkritisch rassistisches oder sexistisches Gedankengut abfeiert, dann läuft es für mich unter rassistischer oder sexistischer Propaganda und ich kann nicht mehr zwischen Werk und Autor trennen.
          Gerade bei unterschwelligen Ismen, die permanent mitschwingen, wirkt es so, als wäre es die Haltung der Schreibenden. Dasselbe auch bei einer z. B. sexistischen Hauptfigur, die mit dieser Art überall durchkommt und von ihren Mitmenschen (dafür!) geliebt wird.

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            #10
            Ich finde es nicht inkonsequent, wenn man nach persönlichen Kriterien gewichtet und sich in jedem Einzelfall mal für Boykott oder mal für Nicht-Boykott (um mal diesen Ausdruck zu bemühen) entscheidet. Ich muss nicht, weil "man" es erwartet, moralisch betroffen tun, wenn ich es nicht bin. Ich muss aber auch nicht offenkundig die moralischen Belange anderer mit Füßen treten und "mir doch egal" schreien.
            Bei Musikern, die vergewaltigen, egal wen, ist bei mir die Grenze überschritten. Allerdings trenne ich da zwischen "die CD hatte ich vorher schon" und "neue kauf ich nicht". Eher selten würde ich alte CDs wegwerfen (ja ich hab auch noch CDs).
            Bei Filmemachern finde ich es schwieriger, weil ein Film das Werk vieler Beteiligter ist. Bei Woody Allen, dessen Filme ich ohnehin nicht mag, habe ich kein Problem, die Filme zu meiden, weil er sich extrem als Person/Star/Autor einbringt und sich auch meist mit einer treuen Crew umgibt, die trotz aller sexueller Übergriffe zu ihm hält. Ja, das sag ich nein. Anders bei Roman Polanski. Obwohl auch er viel zu oft seine Ehefrau in den Cast einpflegt, finde ich ihn in den Filmen wenig präsent, und ich schätze die Filme als (sein) Kunstwerk sehr. Ich kann aber niemandem sagen, er soll mal nicht so empfindlich sein, weil die Filme doch große Kunst seien. Filme wegen der Schauspieler zu boykottieren ... Ich finde Scientologen doof, aber wenn der Film nicht Scientology propagiert, habe ich keine Hemmungen, mir Cruise etc anzusehen. Bei Vergewaltigern (als Sammelbegriff für alle physisch sexuell Übergriffigen) würde ich mir keine Filme ansehen, die nach der "Enthüllung" herauskommen - wer mit diesen Menschen zusammenarbeitet, darf imA mit boykottiert werden. Retrospektiv kann ich aber keine ganze Filmbesetzung und -crew abstrafen.
            Bei Büchern muss man erst einmal wissen, dass Autor*in ethisch fragwürdig handelt, sofern es nicht aus den Büchern herausschwappt. Autoren schaffen es da seltener in die Schlagzeilen, aber in den Diskussionen um Umgang der Literatur mit Minderheiten etc kristallisiert sich dann doch heraus, wen ich mit Buchkäufen unterstützen möchte und wen nicht. Boykottaufrufe (sprich: Ausweitung der eigenen Werte zum quasi-verpflichtenden Massstab für andere) wegen verletzter religiöser Gefühle finde ich hochproblematisch, egal ob in Plüsch verpackt-christlich oder fundamental-islamistisch.
            Aber jeder muss selbst abwägen, wo er die höchst individuelle und nicht immer geradlinige Grenze zieht.

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              #11
              Genauso finde ich es falsch, Inhalte von Werken auf ihre Erschaffer zu projizieren (dann dürfte man nie sexistische/rassistische/wasauchimmer Charaktere haben).
              Hier gibt es für mich aber zwei Unterschiede:
              - ich kann als Autor sexistische/rassistische/wasauchimmer Charaktere haben, aber es muss deutlich sein, dass das eben die Meinung der Charaktere und nicht die meine ist. Das kann man z.B. durch Konflikte darstellen oder dass dieser Charakter aneckt und mit seiner Einstellung nicht problemlos durch das Leben kommt.
              - ich kann aber als Autor auch meine Meinung deutlich machen, in dem ich z.B. eben diese Konflikte weglasse und mein sexistischer Prota prima durch das Leben kommt, obwohl er Frauen aufs äußere reduziert.

              Gerade beim zweiten Punkt kann man meiner Meinung nach Autor und Werk nicht wirklich trennen. Da ist dann die Entscheidung für mich relativ einfach.

              Schwieriger wird es dagegen, wie sich ein Künstler abseits seiner Werke verhält. Natürlich kann ich hier trennen, aber möchte ich das? Will ich wirklich die Werke eines Künstlers unterstützen, der sich daneben benimmt, sexistisch ist oder gar straffällig? Eigentlich will man das ja nicht, aber leider ist es nicht ganz so einfach, wie andere hier ja schon mit ihren Beispielen gezeigt haben ...

              Deswegen würde ich mich Alys II. anschließen: wichtiger ist, dass man sich darüber Gedanken macht und sich der eventuellen Problematik bewusst ist.
              »Elezeis Blut schien in Aufruhr zu sein und brannte unerwartet kalt durch ihren Körper. Es war ein Gefühl, das nach Zerstörung dürstete.« – Blutgesang

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                #12
                Ohne eine Meinung zu formulieren, aber:

                Ich bemerke bei mir, dass, wenn ich die Biographie eines Künstlers mit all seinen Schandtaten kenne (kein Ladendiebstahl, eher sowas, wie Körperverletzung, Vergewaltigung etc. und das Gedankengut, das Menschen herabwürdigt ist), sehe/höre/lese ich die Werke mit säuerlich zusammengezogenem Mund. Ich kann dem nicht unvorbehaltlos gegenüber stehen, sondern denke mir dann tatsächlich sowas wie: Ja, sieht nett aus du A****.
                Michael Jackson will ich nicht mehr hören, da mir das zu wieder ist, ebenso R. Kelly (gut das es eh nicht mein Geschmack ist), Bill Cosby Show - früher gern geguckt, heute würde es mich anekeln.
                Richard Wagner war Antisemit. Hat er seine Musik auch für _mich_ komponiert, darf ich sie hören? Ganz provokant gefragt.

                Ganz persönlich bemerke ich bei mir, dass ich ein Werk nicht losgelöst vom Künstler betrachten kann. Ich kann nichts toll finden, selbst wenn es gut ist, wenn es ein Mensch geschrieben hat, der Taten verübt hat, wofür man mehrere Jahre bis lebenslänglich hinter Gittern landet. "Toll finden" - intressant aus geschichtlichem Grund, als literarischem Grund usw. ja. Aber, ich werde es nicht "toll" finden können, da in mir sich da gleichzeitig eine Abscheu regt.

                EDIT: (mein Kaffee war gerade fertig und mein Gedanke noch nicht. Kaffee war aber gerade wichtiger). Ein letzter persönlicher Gedanke noch: Aus diesem grund finde ich Fankult immer etwas fragwürdig. Einen Kult um ein menschlichs Wesen zu spinnen, der irgendwo vielleicht oder auch nicht eine Leiche im Keller hat ... so blauäugig will ich nicht sein. Immer schön Distanz halten.
                Zuletzt geändert von weltatlas; 29.08.2019, 10:26.
                Nein das war ich nicht.
                Ach so, das!
                Ja, das war ich.

                Kontakt: administrator@wortkompass.de

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                  #13
                  Hat jemand den Film Gundermann gesehen? Das zeigt, wie eng Schuld und Ideale verknüpft sein können.

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                    #14
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                    Zuletzt geändert von Flossenschwinge; 21.12.2019, 17:09.

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                    • Dodo
                      Dodo kommentierte
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                      Hmmm, ich glaube, es geht weniger darum, dass jeder einzelne an der Kasse ein vermeintliches Verbrechen ahndet (die bisherige Diskussion glitt allerdings in diese Richtung), sondern was der einzelne Konsument als ethischen Maßstab für sich und seinen Kunst"konsum" sieht. Legt er ihn nur am Werk oder auch am Autor/Künstler an? Ignoriert er die - wahrscheinlich medial vermittelte - Realität des Künstlers? Oder verknüpft er doch dessen Leben mit dessen Werk? Und wenn ja, unter welchen Umständen zieht er welche Konsequenzen? Geht das überhaupt mit einer allgemeingültigen Empfehlung?
                      Und, weniger forensisch, muss man die Lebensumstände des Künstlers und seiner Zeit verstehen, um das Werk zu verstehen?

                    • Gast-Avatar
                      Gast kommentierte
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                      Ja, das sind auch interessante Fragen. Ich möchte allerdings Abstand vom Versuch nehmen, allgemeingültige Empfehlungen zu formulieren oder Gründe zu finden, die dagegen sprechen. Dafür kenne ich mich mit der Materie zu wenig aus.
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                      Zuletzt geändert von Flossenschwinge; 21.12.2019, 17:09.

                    #15
                    Eine gute Frage. Wenn ein Künstler (gleich welcher Art) etwas getan hat, das ich verurteile, will ich auch nichts mehr mit seinem Werk zu tun haben, da es für mich untrennbar mit ihm verbunden ist. Was nutzt mir der tolle Film, wenn ich beim Anblick des Schauspielers immer wieder daran denken muss, was er getan hat?
                    "A writer is a world trapped in a person." Victor Hugo
                    "Writing is hard work; it's also the best job I've ever had." Raymond E. Feist
                    "Be inspired by others, but when you sit down to write, knock down any walls of doubt, and write like only you can." Lucy Knott

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                    • Dodo
                      Dodo kommentierte
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                      Klare Kante. Find ich gut.
                      Könnte ich wahrscheinlich nicht durchhalten.
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