Ankündigung

Einklappen
Keine Ankündigung bisher.

Wie weit darf ich gehen?

Einklappen
X
 
  • Filter
  • Zeit
  • Anzeigen
Alles löschen
neue Beiträge

    Wie weit darf ich gehen?

    Meine Hauptfigur Thomas ist ein ziemlich mieser Typ der die meisten seiner Mitmenschen gerne beleidigt und erniedrigt.
    Wie weit darf ich eurer Meinung nach als Autor mit der Diskriminierung in meiner Geschichte gehen?

    #2
    Eine Figur ist so, wie sie ist. Thomas ist ein richtig mieser Typ? Dann sollte er in Deiner Geschichte natürlich auch richtig mies handeln, in welche Richtung er da auch immer geht (offene Gewalttätigkeit, intrigante Handlungen, Sexismus, Rassismus oder was ganz anderes ... was da so "seins" ist). Wenn er der "Böse" bzw der Antagonist in der Geschichte ist, kräht da kein Hahn nach, im Gegenteil. Der Leser wird mit Deinem Protagonisten mitfiebern, bis der ihn endlich zur Strecke bringt.

    Ist Thomas jedoch Dein Protagonist, kann das auch sehr reizvoll sein und richtig gut werden. Üblicherweise entwickelt sich Thomas zum Guten hin, muss er aber nicht, er kann ja trotzdem was für sich lernen, ohne gleich der Super-Sympathieträger zu werden. Ich persönlich mag so was sehr gerne, muss alles nur gut und logisch sein. Ein Protagonist muss mir nicht symathisch sein, damit ich die Geschichte mag.

    Aber Deine Frage "Wie weit darf ich gehen" ist nicht mal so künstlerisch frei nach dem Motto "Mach doch" zu beantworten. Was ich von Lesern, aber auch von Autoren untereinander (gerade auf Twitter) mitbekomme, ist ein extremes Bedürfnis nach politischer Korrektheit. Sobald da eine männliche Romanfigur im Nebensatz mal was blödes zu einer Frau sagt, schreit jeder nach Sexismus, wenn eine übergewichtige Figur beleidigt wird, geht's auch schon wieder rund. Wenn ein Bad Boy angehimmelt wird, sind auch alle auf den Barrikaden. Man kann bald keine normale Geschichte mehr erzählen, weil jeder so tut, als wäre er im echten Leben Mutter Theresa höchstpersönlich. Das ist natürlich alles genreabhängig, aber ich glaube, als Selfpublisher muss man im Moment sehr vorsichtig sein, was man schreibt bzw wie man seine "Bösen" am Ende dastehen lässt.

    Kommentar


      #3
      Da ich das Motto habe: Kunst darf alles. würde ich persönlich so weit gehen, wie es der Figur entspricht. Wenn er so ein Arschloch ist, dass er Naziparolen in einer Synagoge singt, einfach um andere Leute ans Bein zu pissen, finde ich es legitim, das auch zu schreiben. Man muss dann nur als Autor aufpassen, dass deutlich wird, dass dies die Meinung der Figur ist und dass dieses Verhalten in einer freien Gesellschaft nicht duldbar ist und man es als Autor persönlich nicht schön redet. Dabei ist natürlich auch wichtig, dass solch eine Szene plotrelevant ist und nicht einfach nur schmückendes Beiwerk.

      Du hast in deiner Vorstellung geschrieben, dass du ein Neuling im Schreibhandwerk bist, da würde ich raten ihn auf persönlicher Ebene ein Arschloch sein zu lassen und wie er die Leute eben für ihre Handlungen angreift, anstatt dass er mitten rein in die soziale Diskriminierung springt. Er ist dann immer noch ein ziemlich mieser Typ, aber du läufst weniger Gefahr selbst als Rassist, Sexist etc angegriffen zu werden oder Menschen mit deinem Werk zu beleidigen, die du nicht beleidigen wolltest.
      Als Beispiel: Anstatt dass er einen Homosexuellen als "kranke Schwuchtel" bezeichnet; beleidigt er den gleichen Menschen als "Affenarsch", weil er sich von ihm angerempelt fühlt (auch wenn der ihn nicht angerempelt hat). Beide Verhaltensweisen sind ziemlich mies und machen deutlich, dass deine Figur ein unangenehmer Zeitgenosse ist. Nur eine Verhaltensweise ist sozial und politisch kontrovers und braucht ein gewisses Fingerspitzengefühl, um die richtige Botschaft in deinen Text zu schnitzen. Wenn du also keine sozialkritischen oder politischen Ambitionen mit deinem Werk verfolgst und/oder dir dieses Fingerspitzengefühl noch nicht zutraust, würde ich davon abraten.

      Falls du dir bei bestimmten Szenen unsicher bist, ob sie zu weit gehen oder das falsche Bild über deine Textintention vermitteln, kannst du immer Testleser darum bitten, genau das zu überprüfen. Am besten Testleser, die für solche Problematik eine gewissen Sensibilisierung haben.
      Ayo, my pen and paper cause a chain reaction
      to get your brain relaxin', the zany actin' maniac in action.
      A brainiac in fact, son, you mainly lack attraction.
      You look insanely whack when just a fraction of my tracks run.

      Kommentar


        #4
        Wie weit du gehen darfst, wurde von meinen beiden Vorrednern auf künstlerischer Ebene eigentlich gut dargelegt.
        Sofern die Geschichte in Deutschland spielt oder einem Land mit ähnlichen Gesetzen, möchte ich dir noch ans Herz legen, dass Beleidigung auch ein Strafbestand sein kann. Wenn dein Charakter wild in der Gegend herumpöbelt und sich auch mit Fremden anlegt, kann auch gerne mal eine Anzeige zurückkommen, das solltest du bedenken. Nicht jede Figur wird sich einfach damit zufrieden geben.
        Wenn er dann auch noch vielleicht das Internet für sich entdeckt, kann es bestimmt auch Situationen geben, in denen man statt Beleidigung auch Rufmord ankreiden kann. Wichtig ist, dass du dir nicht nur bewusst bist, wer beledigt, sondern auch wen diese Figur beleidigt. Ein Statist, der reich und stolz wirkt, würde wohl eher eine Anzeige bei der Polizei einreichen als eine eher ärmlich wirkende Frau, die mit zwei Kindern sichtbar überfordert ist. Und sollte er seinen Chef oder einen Kollegen schikanieren, kann auch eine Kündigung ins Haus flattern.

        Kommentar


          #5
          Danke für eure Antworten. Zur Erklärung: Thomas ist der Protagonist. Er hat mit Politik nichts am Hut, ist weder rechts noch links eingestellt. Wildfremde beschimpft er eher selten. Meist müssen Kollegen unter ihm leiden. Da er auch Vorgesetzter ist, spüren es seine 'Untegebenen' am deutlichsten. Er lässt sie zum Beispiel sinnlose Zusatzaufgaben machen, vergreift sich oft im Ton und legt immer den Finger in die Wunde. Er hat es nahezu perfektioniert, die Schwächen von anderen zu entdecken.
          Thomas' Job ist auf Grund dieser Art wirklich gefährdet.
          Bei seiner Wortwahl nimmt er keine Rücksicht. Er wirft also auch mit politisch unkorrekten Begriffen um sich.

          Kommentar


            #6
            Was ich erwähnen möchte ist die theoretische Trennung Autor <-> Protagonist/Figur. Vielleicht baut das noch mal Hemmungen beim schreiben ab.
            Konsumentenseite/Leser hingegen sehen diese Trennung vielleicht nicht ganz so ... Dann kann es passieren, das man einen Stempel auf der Stirn hat und mit Thomas in einem Topf sitzt. Muss natürlich nicht sein, kann aber sein. Muss man für sich überlegen, ob man damit umgehen könnte. Aber, Kritik gibt es immer.

            Generell würde ich Thomas so anlegen, wie er eben ist. Er transportiert Deine Geschichte. Die Fragen die sich für mich ergeben: Was soll die Figur transportieren? Gibt es in Ihr eine Wandlung? Wenn ja, welche ist das?

            Viele Konfliktthemen kann man auch gut transportieren, ohne das XY auf die Barrikaden gehen, es kommt auf die Umsetzung an.
            Nein das war ich nicht.
            Ach so, das!
            Ja, das war ich.

            Kontakt: administrator@wortkompass.de

            Kommentar


              #7
              Thomas ist nah an eine real existierende Person angelegt. Muss ich da auch noch etwas beachten, außer nicht denselben Namen zu verwenden?

              Wenn ich Thomas so anlege, wie es die Geschichte verlangt, wird das Buch schon provozieren. Gut möglich, dass es auch Leser gibt, die sich darüber echauffieren.

              Kommentar


              • Alys II.
                Alys II. kommentierte
                Kommentar bearbeiten
                Das kommt ein bisschen darauf an, inwieweit das reale Vorbild in Thomas noch erkennbar ist. Und welchen Status die Person in der Realität hat.
                Nehmen wir an, Du schreibst ein Buch über Herrn Horst Meerhofer, Innenminister, 69 Jahre alt und graue Haare, und seine Chefin Angelina Mürkel, Bundeskanzlerin und promovierte Physikerin. Und Du beschreibst sie darin als unfähig, dumm, hinterhältig... richtige Arschlöcher eben. Klar erkennt da jeder, wer gemeint ist. Und viele Leser werden sich darüber empören. Aber Seehofer und Merkel sind Personen des öffentlichen Lebens, also kriegst Du das Buch wahrscheinlich als politische Satire durch. (Haariger wird es schon, wenn Du sie nicht nur als eklig darstellst, sondern ihnen auch echte Straftaten andichtest. Da könnte könnte dann eventuell doch eine Klage wegen Beleidigung und übler Nachrede herauskommen, die zwar wahrscheinlich im Sande verläuft, aber unangenehm würde es...)
                Schreibst Du aber Deine Figur Thomas-das-Arschloch als präzises Abbild Deines real existierenden Nachbarn Thomas, dann wird das sicher schwieriger. Eine Privatperson könnte das durchaus als Beleidigung auffassen. Aber auch hier ist die Frage, ob er im Zweifelsfall beweisen könnte, dass Du wirklich über ihn geschrieben hast. Gekränkt und verletzt sein wird er trotzdem, und Du musst Dich fragen, ob das wirklich notwendig ist. Muss man mit der eigenen Kunst andere Leute verletzen?

                Generell würde ich mir aber keine so großen Sorgen machen an Deiner Stelle. Du wirst beim Plotten und Schreiben merken, dass die Romanfigur Thomas plötzlich ein Eigenleben entwickelt. Roman-Thomas wird Eigenschaften entwickeln, die Du nicht vorgesehen hattest, und sich damit von seiner realen Vorlage entfernen. Wenn der Text dann erstmal geschrieben, x-mal überarbeitet und lektoriert ist, dann kann es gut sein, dass die reale Vorlage nicht mehr erkennbar ist.

              #8
              Das reale Vorbild darf nicht identifizierbar sein. Gib ihm ein anderes Aussehen, einen Job in anderer Branche, einen anderen Namen (ist ja klar) und gib ihm oder ihr Eigenschaften, die das Original nicht hat.
              Orientierung an Vorbildern ist gut, Abgrenzung mit Unkenntlichmachung zum Original obligat.

              Kommentar


                #9
                Gut, dann bin ich auf dem richtigen Weg. Mein Thomas hat ein ganz anderes Umfeld, einen völlig abweichenden Lebenslauf.

                Alys II. Ich möchte mit meiner Geschichte niemanden diffamieren. Die reale Person ist nur die Initialinspiration. Gewissermaßen kann ich ihr dankbar sein.

                Kommentar


                • Alys II.
                  Alys II. kommentierte
                  Kommentar bearbeiten
                  Als absichtliches Diffamieren hatte ich das auch nicht verstanden, keine Sorge. Ich baue auch gerne Leute, die ich nicht leiden kann, verfremdet in meine Geschichten ein. Wenn Dein Roman-Thomas von seiner Vorlage deutlich abweicht, dann brauchst Du Dir keine Sorgen machen. Es sollte halt nur die reale Vorlage nicht mehr erkennbar sein.

                #10
                Es kommt darauf an, ob du deine Figur am Ende scheitern lässt oder ob sie einen Sinneswandel durchmacht, dann wir jeder sehen, dass du als Autor eine andere Meinung als die Figur hast.

                Kommentar


                  #11
                  Dazu hab ich schonmal irgendwo was geschrieben ... Guck mal hier: https://wortkompass.de/forum/interne...-eigenschaften

                  Unterm Strich bin ich der Meinung, dass man alles *darf* – Ob es beim Leser gut ankommt, ist die andere Frage. Wichtig wäre mir, dass eine negative Figur die Konsequenzen seines Handelns in irgendeiner Weise auch negativ zu spüren bekommt. Ein Serienkiller, der am Ende davonkommt und dazu noch im Lotto gewinnt entspricht nicht unserem Gerechtigkeitsempfinden. Eine Charaktereintwicklung zum Positiven negiert auch nicht die vorherigen Taten, und wenn die zu schwerwiegend sind, als dass wir sie einer Figur verzeihen wollen (die meisten Leser lehnen auf diese Weise Vergewaltigungen, Gewalt gegen Kinder u.ä. ab), dann wirst du mit dem Charakter an Wände fahren, egal wie toll er sich entwickelt. Versuche auch nicht, solche Dinge zu relativieren (= der Antisemit hatte halt ne schwere Kindheit), weil man dir da schnell unterstellen kann, dass du als Autor solche Dinge verharmlosen willst.

                  Also lass deine Figur ein Arschloch sein, aber betrachte sie als Autor kritisch und lass sie ausreichend mit ihrer Art auf die Schnauze fallen. Gib ihr sympathische Eigenschaften, die zwar nichts rechtfertigen wollen, aber die Figur dem Leser zumindest in einigen Aspekten näherbringen. Und halte dich von den unverzeihlichen Dingen fern, solange du da nicht eine gigantische Menge an Fingerspitzengefühl investieren willst und das Thema gleichzeitig ins Zentrum deines Romans rückst, wie es das dann verdient.
                  Poems are never finished.
                  Just abandoned.

                  Kommentar


                    #12
                    Sehr wertvolle Hinweise. Danke dafür. Ich möchte noch mal erwähnen, dass Thomas zwar ein Arsch ist, aber für körperliche Gewalt jeglicher Art viel zu feige.
                    Er navigiert sich mit seiner Art ständig in unangenehme Situationen, schiebt es aber dann auf alle anderen.
                    Ganz konkret ist er einfach unzufrieden mit sich selbst, was sich im Neid gegenüber anderen äußert, der wiederum in Diffamierung mündet.

                    Wenn ich mir die Tipps im Forum ansehe, sollte ich wohl mal eine Testszene schreiben.

                    Über die positiven Eigenschaften muss ich mir noch eingehendere Gedanken machen.
                    Zuletzt geändert von Schreiberlung; 27.09.2018, 13:26.

                    Kommentar


                      #13
                      Was wird das denn für ein unfassbar ätzender Typ sein? Das klingt wirklich hochinteressant.
                      Was "Kunst darf alles" angeht, bin ich etwas anderer Meinung. Bestimmte Wörter müssen einfach nicht sein, aber das scheint hier nicht das Problem zu werden.
                      Für mich klingt er tatsächlich eher wir ein (vielleicht?) jähzorniges Arschloch, das oft nicht nachdenkt, bevor es spricht. Eine Testszene fänd' ich sehr interessant.
                      My feet, they finally took root in the earth
                      but I got me a nice little place in the stars ...

                      Kommentar


                      • Ankh
                        Ankh kommentierte
                        Kommentar bearbeiten
                        "Kunst darf alles" bedeutet nicht, dass man auch alles positiv aufnehmen muss. Kunst darf auch provozieren, sofern es tatsächlich als Diskussionsanstoß gemeint ist und nicht als Deckmäntelchen, kontroverse Meinungen abzusondern. Das ist jetzt nur meine ganz persönliche Meinung, aber wenn man zensiert, dann hat man Angst vor dem Feedback der Gesellschaft. Und wenn man davor Angst haben muss, wäre eine Diskussion umso dringender nötig.

                      • Brapfel
                        Brapfel kommentierte
                        Kommentar bearbeiten
                        Dem kann ich zustimmen. Oft ist es eben doch ein Deckmäntelchen.

                      • Ankh
                        Ankh kommentierte
                        Kommentar bearbeiten
                        Ich glaube, das Problem mit der aktuellen Kunst ist, das progressive Meinungen weitgehend wohlwollend aufgenommen werden, sodass man damit niemanden mehr schockt und aufrüttelt. Und Aussagen, mit denen man die Gemüter erhitzt, sind keine, auf die wir als Gesellschaft zurückfallen sollten.

                      #14
                      Die Romanfigur darf alles. (Aber sie muss nicht alles.)
                      Der Autor soll sich dennoch selbst fragen, wozu er es braucht.


                      Beispiel:
                      Romanfigur sagt "kranke Schwuchtel" oder "dummer Behindi" oder "so'n Mädchen".

                      Frage:
                      Ist es tatsächlich die Figur, die homophobe, ableistische oder sexistische Aussagen tätigt? Wird Homophobie, Ableismus und Sexismus im Roman behandelt, oder benutzt die Figur/Erzählstimme nur diese Wörter, weil es dem Autor aus Unachtsamkeit aus der Feder gerutscht ist?

                      Noch ein Beispiel:
                      Es gibt einen ganz bösen Antagonisten. Der ist so böse, dass er eine ganze Reihe Frauen(-Nebenfiguren) foltert und vergewaltigt.

                      Frage:
                      Geht es hier darum, Macht gegenüber Frauen auszuspielen, oder geht es "nur" darum, den Anta böse darzustellen? Wird es im Plot behandelt, oder sind diese Frauenfiguren nur Dummies? Werden eigentlich auch die Folgen von Folter und Vergewaltigung behandelt, oder machen die Figuren danach einfach so weiter (Logikfehler!) oder werden die Nebenfiguren bloß dafür benutzt und wieder weggeworfen (Deus ex Machina!)?

                      Und noch ein Beispiel:
                      1) Romanfigur hat engen Kontakt zu Personen mit extremistischer Einstellung. Das dient einfach nur der Atmosphäre.
                      2) Romanfigur wird im Metatext einer bestimmten Gruppe zugewiesen. Im Roman spürt man es jedoch nicht.

                      Frage:
                      Wieso bringt man etwas ein, wenn es keine Rolle spielt und nicht behandelt wird? Weil es irgendwie doch das Weltbild des Autors widerspiegelt? Was ist tatsächlich Roman, was ist Autor? Wo ist die Trennung?


                      Bei Szenen, Beschreibungen oder Charakterzüge ist es doch auch so: Was den Plot oder die Charakterentwicklung nicht weiterbringt, raus. Ist "kranke Schwuchtel" tatsächlich notwendig für den Plot oder ist "Arschgesicht" genauso passend in dieser Szene? Denn unmotivierte *phobe Aussagen haben Auswirkungen auf die betroffenen Leser*innen. Das ist wissenschaftlich bewiesen. Und es geht nicht darum, alles politisch Unkorrekte in Romanen auszumerzen (nein, politische Unkorrektheit und allerlei Diskriminierungen gehören leider in unserer Welt und Romane spiegeln das wider), es geht darum als Autor*in achtsam zu schreiben und nicht mit unnötigen Diskriminierungen oder Mikroaggressionen die Rezipient*innen zu schaden. Mir tut es nicht weh, "Arschgesischt" zu schreiben, aber anderen tut es weh, wenn da unmotiviert "Behindi" steht.

                      Kommentar


                      • Schreiberlung
                        Schreiberlung kommentierte
                        Kommentar bearbeiten
                        Diese Differenzierungen sind schon wichtig und ich überlege noch, wie individuell Thomas seine Beleidigungen nutzen soll. Er verachtet seine Mitmenschen eher wegen ihres Status, nicht wegen ihres Aussehens, ihres Glaubens oder anderen Auffälligkeiten. Da kommen Männer genauso schlecht wie Frauen weg und Behinderte genauso schlecht wie Bürger ausländischer Herkunft. Daraus ergibt sich, dass Thomas nicht willentlich mit rassistischen Begriffen um sich wirft, aber es ist auch nicht ausgeschlossen, dass ihm mal ein "Spasti", "Öko-Emanze" oder dergleichen rausrutscht.

                        Was dein Beispiel mit dem bösen Antagonisten angeht, so würde ich das Buch sofort schließen, sobald ich zur ersten Folter- oder Vergewaltigungsszene kommen würde. Für mich ein absolutes K.O.-Kriterium.

                      #15
                      Zitat von Schreiberlung Beitrag anzeigen
                      Meine Hauptfigur Thomas ist ein ziemlich mieser Typ der die meisten seiner Mitmenschen gerne beleidigt und erniedrigt.
                      Wie weit darf ich eurer Meinung nach als Autor mit der Diskriminierung in meiner Geschichte gehen?
                      Habe jetzt nur das Eingangsposting gelesen (mehr krieg ich um diese Uhrzeit noch nicht zustande ^^).

                      Du kannst meiner Meinung nach in Deiner Geschichte genauso weit gehen, wie Du es für sinnvoll erachtest.
                      Was Formulierungen angeht, orientiere ich mich gern am Millieu (auch das der Eltern), der Erziehung, der Vorlieben, des sozialen Kontexts etc. des Charakters. Wobei eines für sich alleine sehr selten etwas aussagt. Für mich ist da jede Facette ein Puzzleteilchen eines Charaktes, der ihn dann dazu bewegt, ob er "Polizist" oder "Bulle", "Terrorist" oder "Aktivist", "Homosexueller" oder "Schwuchtel", etc. sagt - und vor allem, in welchem Kontext er es sagt. Ich kenn Feministen, die augenzwinkernd ebenfalls von "der Alten daheim" reden, weil sich das bei uns im Ur-Wienerischen so eingebürgert hat, ich selbst lass im Roman eher frauenverachtende Charaktere von "der Alten" reden, weil es im Roman so besser passt. Es ist also wirklich alles stark charakterbhängig meiner Meinung nach - und da ist dann eben wiederum die Frage, was an Deinen Charakteren Du warum zeigen möchtest.

                      Ich hab btw. ebenfalls Charaktere, die gerne erniedrigen. Manche einvernehmlich, viele im Gewaltkontext.
                      Ich persönlich schaue einfach, was dramaturgisch/psychologisch oder sonst wie Sinn macht bzw. der Realität entspricht, und das schreibe ich dann unter Umständen auch sehr ungeschönt so nieder.
                      Meine persönlichen Grenzen setze ich bisweilen da, wo Soziopathen mit 1:1 Nachahmungen Erfolg haben könnten, weshalb ich z.B. Konditionierungen/Gehirnwäschemethoden usw. aus der Realität so abändere, dass sie zwar vom Vorgehen her authentisch bleiben, jedoch irgendeine "Zutat" fehlt, um meinen Roman als "Rezeptbuch für angehende Psychopathen" herzunehmen. (Wobei ich eh nicht denke, dass unter meinen Lesern großartig Psychopathen wären, aber geben kann es sie nun mal überall).

                      Aus Lesersicht (oder Zuschauer-Sicht in Filmen) - und das liegt an meiner persönlichen Moral usw. - finde ich es immer angenehm, wenn mir an irgendeiner Stelle verdeutlicht wird, dass das Werk nicht komplett stumpf und gedankenlos geschaffen wurde (ich weiß leider, dass es solche Werke gibt, und wenn ich so eines lese oder sehe, krieg ich fast das K...en). Das kann in Form einer Gegenperspektive (also z.B. Kritik, Wut, Trauer etc. in Bezug auf den "Täter") sein, die nicht mal ausführlich sein muss, mir reicht ein Nebensatz, wenn er glaubwürdig ist. Das kann aber auch einfach in Form von Mimik oder einer Geste sein (was mich besonders in Filmen sehr fasziniert).

                      Oder anders gesagt:
                      Ich finde, dass man schreiben können sollte, was man möchte. Gedanken sind frei.
                      Wenn man offiziell veröffentlichen möchte, dann sollte man aber natürlich darüber nachdenken, wie das Geschriebene auf wen wirken kann, was man damit eigentlich aussagen möchte (will man überhaupt was aussagen?) und welche Zielgruppe man bedienen möchte und ob man mit Kritik leben kann. Die letzten beiden Punkte finde ich übrigens am wichtigsten, denn die dürften bei jedem Autor schwanken und somit eine universelle Antwort unmöglich machen.


                      PS: Okay, ich werde inkonsequent. Ich wollte ja in einem Thread bleiben.

                      Kommentar


                      • Amy
                        Amy kommentierte
                        Kommentar bearbeiten
                        Schön, wenn du inkonsequent bist

                      • Alys II.
                        Alys II. kommentierte
                        Kommentar bearbeiten
                        Ich kannte sogar mal jemanden, der seinen Vater "Alter" angesprochen hat, und das war durchaus respektvoll gemeint und wurde auch von ihm so verstanden. "Alter" kam in dem Fall aus der Seemannssprache: "Der Alte" = "Der Kapitän".
                        In einem Buch würde ich das aber eher nicht verwenden, es sei den, man kann es am Anfang gut einführen ohne in seitenlange Erklärungen zu verfallen.

                      • Schreiberlung
                        Schreiberlung kommentierte
                        Kommentar bearbeiten
                        Die Punkte der Zielgruppe und der Kritik nehme ich noch mit auf. Danke. Ich scheue mich nicht vor Kritik, da die Geschichte sowieso anecken wird. Bei der Zielgruppe bin ich mir aber überhaupt nicht sicher, wie ich sie definieren soll.
                    Lädt...
                    X
                    Um unsere Webseite für Sie optimal zu gestalten und fortlaufend verbessern zu können, verwenden wir Cookies. Durch die weitere Nutzung der Webseite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen zu Cookies erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung