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Der Ich-Erzähler und die Show-don't-tell-Regel

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    Der Ich-Erzähler und die Show-don't-tell-Regel

    Viele benutzten den Ich-Erzähler. Und viele benutzten auch die Show-don’t-Tell-Regel. Doch darf der Ich-Erzähler mehr erzählen als die anderen Beiden? Ich mein, die Figur erzählt uns hier ihre Geschichte. Da ist es doch mehr als natürlich zu erzählen und nicht zu beschreiben, oder?

    #2
    Show don't tell ist eine "Regel", die das Lesen zum Erleben machen soll. "Tell" ist ein sachlicher Zeitungsartikel (und selbst da findest Du Show), "Show" die Wort gewordene Multimediashow in einem Roman. Rate mal, was die Leser (D)eines Romans möchten?
    Der Ich-Erzähler kann nur mitteilen, was er selbst weiß, und nein, die Ich-Perspektive ist keine Ausrede, mehr zu "tellen" als zu "showen". Im Gegenteil. Du denkst von dir ja nicht: "Ich bin wütend", sondern du bist wütend.

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      #3
      Show don't tell hängt nicht von der Perspektive ab. Diese Regel heißt, dass du etwas zeigst anstatt es nur zu behaupten. Es macht die Figuren oder Situation greifbarer, wenn man eine Aktion (show) vor sich hat und nicht nur ein Abstraktum (tell).

      Zum Beispiel, du schreibst über einen erfolgreichen Musiker, aber zeigst ihn nie irgendwie Musik machen. Dann klingt die Behauptung "Musiker" hohl, weil keine Beweise deine Behauptung stützen. Würdest du darstellen, wie er probt oder ein Konzert gibt oder mit seinen Freunden über Musiktheorie philosophiert, dann zeigst du uns, dass er ein Musiker ist, weil er eben die Dinge tut, die Musiker nunmal tun.
      Ob der Musiker im Ich erzählt oder nicht, ist dabei egal. Beweise für seine Behauptungen kann jeder Erzähler liefern.
      Ayo, my pen and paper cause a chain reaction
      to get your brain relaxin', the zany actin' maniac in action.
      A brainiac in fact, son, you mainly lack attraction.
      You look insanely whack when just a fraction of my tracks run.

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        #4
        Bei Show, don't tell geht es darum, Bilder entstehen zu lassen und den Leser seine Schlüsse daraus ziehen zu lassen, anstatt die Bilder zu überspringen und ihm den Schluss einfach mitzuteilen.

        Tell: "Ich zog mir die auffällige Hose an." - "auffällig" ist eine Behauptung. Warum ist die auffällig? Ich habe kein Bild vor Augen.
        Show: "Ich zog mir die grün-magenta gestreifte Hose an." - Hier musst du gar nicht erst erwähnen, dass sie auffällig ist, denn jeder hat vor Augen, was für eine schreiende Modesünde das Ding ist.

        Und der Leser kann später besser einschätzen, was der Ich-Erzähler für ein Typ ist, je nachdem, wie er selbst das Teil bewertet. Nennt er es schrecklich? Dann hat er ein ähnliches Farbbewusstsein wie der Leser. Findet er es dagegen geil? Dann hat er einen ... etwas ungewöhnlichen Geschmack. Ein Ich-Erzähler würde nie sagen "Ich habe einen grässlichen Modegeschmack". Er findet ihn natürlich toll. Dass er grässlich ist und der Ich-Erzähler sich dessen nicht bewusst ist, kannst du nur durch solches Show vermitteln, weil es in dem Fall neutraler ist als das Tell des Erzählers.
        Poems are never finished.
        Just abandoned.

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          #5
          Kann mich dem, was die beiden geschrieben haben, nur anschließen.

          Show, don't tell ist nur ein Mittel, das geschriebene lebendiger zu machen. Das ist in der Ich-Perspektive genauso angebracht wie bei einem auktorialen Erzähler.

          Tell ist: "Morgen stand die Matheprüfung an. Davor hatte ich Angst." - Da hat der Leser in einem Sekundenbruchteil drüber gelesen, und es berührt ihn nicht wirklich.

          Show ist: "Morgen stand die Matheprüfung an. Jedes Mal, wenn ich daran dachte, knotete mein Magen sich schmerzhaft zusammen und mir wurde übel. Ich schwöre, ich zitterte am ganzen Körper bloß bei dem Gedanken daran, wie Frau Müller morgen die Prüfungsblätter austeilen würde. Bestimmt würde ich mit angstschweißnassen Fingern kaum meinen Stift halten können."

          (OK, das war jetzt absichtlich etwas dick aufgetragen, aber mir ging es um das Prinzip, Bilder heraufzubeschwören.)
          Always avoid alliteration.

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            #6
            Meine Vorredner haben im allgemeinen Recht, allerdings ist die Ich-Perspektive auch ein probates Mittel, um eigene Meinungen (kann man auch Vorurteile nennen...) durch Erzählen zu schildern.
            "Der Mann sah aus, als ob er mich gleich überfallen möchte" ist "Erzählen", weil ich die Infos bereits gefiltert und bewertet habe und zum Schluss gekommen bin, dass der Mann gefährlich aussieht. Warum ich zu diesem Schluss gekommen bin, wird nicht aufgelistet. Da Menschen üblicherweise schnell zu einem Urteil kommen, sich aber oft nicht klar darüber sind, woher sie das Urteil nehmen, ist diese Vorgehensweise ebenso legitim.

            Man kann also gewissermaßen in der Ich-Form auch die Rolle des Erzählers einnehmen, was in früherer Literatur durchaus üblich war, wenn z.B. aus der Erinnerung erzählt wird. "Damals wusste ich noch nicht, dass ich die falsche Entscheidung getroffen hatte" kann man durchaus schreiben.

            In der Regel ist jedoch das Erkenntnisfeld nur so groß wie die Wahrnehmung des Prota; jedenfalls gilt das heute als Standard. Da sich der Prota oft nicht aller Sinneseindrücke bewusst ist und sofort eine Situation für sich bewertet, ist ewig langes Beschreiben von Eindrücken nicht zielführend, es sei denn, er spielt die Rolle eines bewusst Beobachtenden. Die Mimik und Handlungen, die oben z.B. für Angst beschrieben wurden, nimmt man als Betroffener gar nicht wahr, kann sie also sowieso erst später im Präteritum beschreiben und ergänzen. Ob er sich dabei daran erinnern kann, was er alles gemacht und getan hat, ist zweifelhaft - es bleibt die Erinnerung "ich hatte Angst vor der Klausur". Wenn der Prota üblicherweise diese Symptome zeigt, kann es ebenso nachträglich interpretiert worden sein.

            Wie ihr wohl wisst, bin ich kein Verfechter des "Zeigens um jeden Preis". Beide Methoden haben ihre Anwendungsbereiche, sowie Vor- und Nachteile. Schreibe ich also einen etwas flotteren Jugendroman, ist "ich hatte eine solche Scheißangst vor dieser dämlichen Klausur, das könnt ihr echt glauben" manchmal passender.

            Schlagfertigkeit ist etwas, worauf man erst 24 Stunden später kommt.
            Mark Twain

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            • Ankh
              Ankh kommentierte
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              Ich denke, beides hat je nach Situation seinen Platz. Es gibt Momente, da passiert alles so schnell, dass es komisch wirkt, wenn ich erst jeden Eindruck schildere, bevor die Figur zu einem Ergebnis kommt, weil es unnötig Tempo aus der Szene nimmt. Und es gibt Momente, da steigert man sich langsam in ein Gefühl rein, und dann ist es sinnvoll, wenn ich diese Empfindungen ausführlich und in zunehmender Intensität schildere, weil die Person sie eben sehr bewusst registriert. Natürlich kommt es immer auch auf die Erzählerstimme an, wie nüchtern und sachlich die rüberkommen soll.

            • Dodo
              Dodo kommentierte
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              Man muss ja nicht alles im Sinnesbarock ersäufen, selbst Liebesszenen werden dann unerträglich / lachhaft. Die Dosis macht das Gift.

            • Victoria
              Victoria kommentierte
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              Ich empfinde "Der Mann sah aus, als ob er mich gleich überfallen möchte" gar nicht als tell, sondern als konkrete Umsetzung von "Der Mann sieht gefährlich aus".

              Was "show" nicht sein soll:
              Der Mann bleckte die gelben Zähne und zwischen seinen Augenbrauen entstehen so tiefe Zornesfurchen, während er knurrte wie Tante Ednas Bauch während ihrem Intervallfasten.

            #7
            Ich mein, die Figur erzählt uns hier ihre Geschichte.
            Ich glaube, in diesem Punkt gehst du von falschen Vorraussetzungen aus. Auch Ich-Erzähler können sich ja sehr voneinander unterscheiden. Hunger Games beispielsweise ist aus der Perspektive einer Ich-Erzählerin geschrieben, die sich keines Publikums bewusst ist und dementsprechend auch nicht "ihre Geschichte erzählt". Man nimmt einfach nur wahr, was sie wahrnimmt. Würde statt ich jedes mal Katniss da stehen, würde sich relativ wenig ändern.
            Was du wohl eher meinst, sind Geschichten, in denen der Prota sich gelegentlich direkt an den Leser wendet und wirklich "erzählt". In diesem Fall gibt es schon ein paar andere Regeln, da es zum Beispiel weniger unlogisch erscheint, wenn der Erzähler plötzlich für ihn völlig selbstverständliche Dinge zu erklären beginnt.

            Die Show don't tell-Regel hat allerdings nichts damit zu tun, was die Logik der Geschichte durchbricht und was noch mit ihr vereinbar ist. Sie ist einfach ein grundlegendes Stilmittel, um den Text für den Leser erlebbarer zu machen. Aus diesem Grund ist sie von der Erzählperspektive völlig unabhängig.

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              #8
              Alys II hatte ja schnell ein Zeigebeispiel zusammengeschustert, nur um ein Beispiel zu haben. Deshalb bestand es größtenteils aus Allgemeinplätzen, die ich in Texten einfach überlese. Ich bin sicher, dass Alys II das ansonsten besser macht!

              Wenn ich nämlich die Wahl zwischen banalem, klischeehaftem Zeigen und knappem Erzählen habe, ziehe ich das Erzählen vor. Ich bin es leid, immer wieder von "einstürzenden Kartenhäusern, Feuerwalzen, abgeknickten Streichhölzern, schweißnassen Fingern oder Schmetterlingen im Bauch" zu lesen. Das ist so abgegriffen, dass es tot ist.

              Wenn etwas gut gezeigt werden soll, dann erfordert das RICHTIG viel Gehirnarbeit. Es muss ungewöhnlich, originell und möglichst nie dagewesen sein. Dabei müssen es nicht mal ausgefallene Wörter sein - ein einfaches an der richtigen Stelle tut es auch.

              Schlagfertigkeit ist etwas, worauf man erst 24 Stunden später kommt.
              Mark Twain

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              • Badabumm
                Badabumm kommentierte
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                Ich habe nicht gemeint, dass es zwanghaft originell sein muss.

                Irmgard Keun, "D-Zug dritter Klasse" (hier: Reisende im Zugabteil):
                Sie hatten Mäntel aufgehängt und Decken ausgebreitet, sie begannen, auf ihren Plätzen zu wohnen.
                Da ist im letzten Satzelement mit dem Wort "wohnen" sofort ein komplettes Bild generiert worden, obwohl gar nicht so viele weitere Details beschrieben werden. Es ist also nicht unbedingt super-originell, sondern genau passend zu Situation. Und kurz ist es auch ...

              • Ankh
                Ankh kommentierte
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                Es ist ja auch nicht das Ziel, viele Details zu beschreiben (ich erinnere mich da mit Grauen an eine Schreibübung in der SWS, wo dann aus einzelnen Empfindungen ganze Absätze gemacht wurden. Das ist nicht zielführend ). Man muss auch nicht auf Teufel komm raus originell sein. Ein einziges, treffendes Detail wie zum Beispiel die ausgebreiteten Decken vermitteln ja auch schon ein Bild, aus dem der Leser Assoziationen bilden kann. Und das "wohnen" gibt dann zusätzliche eine Richtung.

              • Victoria
                Victoria kommentierte
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                Ankh
                Ja!
                Meine Fußnägel haben sich hochgerollt, sodass meine Schienbeine schon ganz zerkratzt waren.
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