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Faust – Johann Wolfgang von Goethe

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    #31
    Hallo, da bin ich wieder. Ich hoffe, es ist für Euch okay, dass ich mich so über das Gedicht hermache, aber ich bin gerade so schön im Schwange. *mehehe*

    Ich habe mich gestern nach meinem Posting noch ein bisschen in das Gedicht reingefühlt und ein paar erstaunliche Kostbarkeiten entdeckt. Es hat mir ja von Anfang an gut gefallen, aber so ganz allmählich bekomme ich meine Kinnlade nicht mehr zu vor Staunen. Schon gestern ist mir aufgefallen, dass die vierte Strophe sich von den ersten dreien abhebt. Die ersten drei bilden eine Einheit, einen zusammenhängenden Gefühlsprozess. Die vierte Strophe rückt ein wenig davon ab und zieht eine Schlussfolgerung, eine Erkenntnis daraus. Das bildet sich auch in den einzelnen Strophen so ab, in denen die ersten 6 Zeilen im Kreuzreim, die letzten beiden Zeilen im Paarreim stehen. Ich finde, das ist eine spannende Kombination. Auf den ersten Blick denkt man bei diesem Gedicht, man hätte es mit der Zahl 4 zu tun, es sind 4 Strophen mit 8 Zeilen. Aber dann entdeckt man, dass die Zahl 3 viel wichtiger ist und das ganze Gedicht inhaltlich strukturiert.

    Jede Strophe hat (in etwa) dieselbe inhaltliche Struktur wie das ganze Gedicht, wobei jeweils 2 Zeilen zusammen gehören:

    1. Strophe bzw. 1./2. Zeile: Begegnung/Kontakt
    2. Strophe bzw. 3./4. Zeile: Erinnerung
    3. Strophe bzw. 5./6. Zeile: Reflektion/Gegenwart
    4. Strophe bzw. 7./8. Zeile: Schlussfolgerung/Erkenntnis

    Das führe ich jetzt nicht im Einzelnen aus. Wer Spaß daran hat, kann es ja selbst für sich entdecken. Ich finde, es ist auch nicht in jeder Strophe so klar, aber doch angedeutet.

    Und nochmal zu den Bildern, die ich in jeweils vier zusammengefassten Zeilen gestern ausgemacht habe. Wenn man die ersten drei Strophen betrachtet, so gibt es hier eine Steigerung im Gefühl, erst in Richtung Freude, dann in der Mitte ein Wendepunkt und ab hier in Richtung Schmerz:

    1a Begegnung, erster Kontakt, noch fremd
    1b Berührtsein, Gewinn
    2a Freude der Erinnerung

    2b Schmerz der Erinnerung
    3a Verlust
    3b Einsamkeit, Fremde

    Und wenn man die Strophen jeweils zusammenfasst, ergibt sich eine weitere Gefühlsdynamik:
    1. Schwer fassbare Gefühlsbegegnung
    2. Eintauchen in klare Erinnerung
    3. Gefühl der Einsamkeit

    In der letzten Strophe wird diese Bewegung in den ersten 6 Zeilen nochmal aufgegriffen, aber in etwas anderer inhaltlicher Bedeutung und in gewissem Sinne gegenläufig:
    1./2. Klare geistige Sehnsucht (nach Begegnung mit dem stillen Geisterreich)
    3./4. Schweben in schwer fassbarer Erinnerung
    5./6. Gefühl der Verbundenheit (mit sich selbst)

    Und dann in den letzten beiden Zeilen nochmal die Erkenntnis komprimiert:
    7. Heute Einsamkeit und Fremde
    8. Aus dem Damals ins Heute Wirklichkeit und Verbundenheit

    Wenn man das hier jetzt so liest, mag das sehr trocken und analytisch wirken. Aber wenn man das Gedicht liest und sich von den Gefühlen und Bildern berühren und tragen lässt, dann kann man all das erleben.

    Eure im Moment total begeisterte Tsaphyre
    Das kreative Chaos ist ein Trancezustand angenehmster innerer Verwirrung und seltsam zusammenhangloser Verwunderung. (Tsaphyre Ziegenfuß)

    Musenselig Sirenenberauscht - Verborgene Gärten der Sehnenden Lust

    Kommentar


      #32
      Ich bin von deiner Analyse tief beeindruckt, Tsaphyre. Wirklich.

      Ich habe das Gedicht gerade nochmal gelesen, in der Erwartung, dass es mich endlich erwischt. Leider immer noch nicht. Ich erkenne da zwar mehr Handwerk und auch den inhaltlichen Aufbau, den du vorgestellt hast ... aber es bleibt für mich wahnsinnig blass und berührt mich nach wie vor in keinster Weise. Aber das zeigt mir eigentlich nur, wie sehr Poesie vom Zuhörer abhängt. Ich scheine für Goethe einfach nicht zugänglich zu sein, aber nach deiner Begeisterung kann ich nun zumindest nachvollziehen, warum er so berühmt ist. Wenn er es schafft, einen Menschen dermaßen zu berühren, dann ist das schon ein Kunstwerk.
      Nur wie gesagt, bei mir geht das einfach nicht. Ich komme an dieses Stück Text einfach nicht ran.
      Derweilen ist auf dem Feld schon alles gewachsen, bevor die wussten, warum und wie genau es gedeiht. - Franziska Alber

      So nah, so fern.

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      • Tsaphyre
        Tsaphyre kommentierte
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        Hm, keine Ahnung, woran das liegt. Ich könnte Dir jetzt unterstellen, dass Du so jung bist, dass Du diese Art der Sehnsucht und der Gefühle noch nicht kennst. Goethe war ja nur wenig älter als ich, als er dieses Gedicht schrieb. Nun kenne ich Dich aber inzwischen gut genug, um zu glauben, dass Du diese Gefühle sehr wohl kennst und verstehst. Vielleicht nicht exakt in dieser Art, aber in Bezug auf andere Lebensthemen.

        Abgesehen davon wäre es natürlich sowieso eine bodenlose Frechheit, irgendjemandem solcherlei Unerfahrenheit zu unterstellen. Aber ich muss zugeben, dass ich es bei manchen Menschen insgeheim schon getan habe. Die Arroganz des Alters. *Kopf und Augenbraue leicht anheb* (Wobei, sooo furchtbar alt bin ich ja eigentlich auch wieder nicht ...)

        Wo waren wir? Ach ja, bei dem Gedicht. Wie Du schon sagst, nicht jedes Gedicht muss jedem gefallen. Ich habe es auch schon oft genug erlebt, dass ich nur mit den Schultern zucken konnte - selbst nach einer eingehenden Gedichtinterpretation.

      • Kelpie
        Kelpie kommentierte
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        ... hast du mich grad unreif genannt? xD

        Schon gut, Tsaphyre Keine Ahnung, ich glaube, jeder Mensch hat einfach eine gewisse "Wellenlänge" im Herzen, bei denen manche Autoren mittenrein treffen und andere sich eher anfühlen, als würden sie dich gegen den Strich streicheln. So heftig ist das bei Goethe zwar nicht, aber für mich fühlt er sich an wie ein lauer Wind, wo andere Sturm und Gewitter (im Positiven) sind.

      • Tsaphyre
        Tsaphyre kommentierte
        Kommentar bearbeiten
        Unreif genannt? Üüüüch? Nein, so ein Wort würde ich niemals in mein Ziegenmaul nehmen! Pfui!
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