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[Rezension] Archibald Leach von Marcus Cremer

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    [Rezension] Archibald Leach von Marcus Cremer

    Oder, um den Titel komplett zu nennen:
    Archibald Leach und die Monstrositäten des Marquis de Mortemarte

    Erst einmal ein paar allgemeine Infos:

    Archibald Leach ist ein toller Name. Erstens ist es der echte Name von Cary Grant. Zweitens ist es der Name der Figur, die John Cleese in "Ein Fisch namens Wanda" spielt. Man darf also davon ausgehen, dass Marcus Cremer den Namen sehr bewusst ausgesucht hat.

    Vor diesem Roman ist Cremers Archibald Leach schon in einer ganzen Reihe von Kurzgeschichten aufgetaucht. Als erklärter Fan von Kurzgeschichten mag ich das natürlich sehr.

    Archibald Leach teilt sich ein Universum mit der Figur Erasmus Emmerich von Katharina Fiona Bode, und Emmerich hat auch in dem aktuellen Roman einen kleinen Auftritt. Auch solche Überschneidungen, wenn zwei Autoren sich zusammentun, finde ich eine großartige Idee.

    Der Roman hat einiges an Auszeichnungen gewonnen bzw. wurde dafür nominiert. Entsprechend hoch war also meine Erwartungshaltung.

    Die Figur Archibald Leach beruht vom Aussehen her auf dem Autor selbst, und interessanterweise kommt das überhapt nicht angeberisch oder arrogant rüber, sondern unglaublich charmant. Wenn man Cremer googelt, dann findet man Dutzende Bilder von ihm auf Lesungen, Messen etc, wo er in voller Steampunk-Ausrüstung als Archibald Leach herumläuft.

    Das Buch ist, wie eigentlich alle Bücher von Art Skript Phantastik, einfach sehr schön gemacht. Das Cover ist sehr interessant, das Buch ist vom Layout her sehr ansprechend, hat tolle Karten im Innenteil, verschnörkelte Verzierungen an den richtigen Stellen - kurz, es liegt einfach gut in der Hand und erfreut das Auge. Ist ja auch ein wichtiges Verkaufselement.

    Zum Plot und Aufbau:

    Das Genre ist Steampunk, mit einem sehr großen Anteil zusätzlicher Fantasy. Wer damit nichts anfangen kann, der kann das Buch gleich ungelesen zur Seite legen.

    Hauptfigur ist, logischerweise, Archibald Leach. Er ist aber nicht der Perspektivträger. Das ist ein Kniff, den ich immer wieder sehr gerne mag (beispielsweise in Akunins Fandorin-Reihe gibt es auch einige Bücher, in denen Fandorin Protagonist, aber nicht Perspektivträger ist.) Der Großteil der Geschichte wird aus der Perspektive der zweiten Protagonistin, Sarah Goldberg geschildert.
    Archibald ist... tja, das ist schwer zu sagen und bleibt im Buch am Anfang absichtlich offen. Ein Geheimniskrämer, Exzentriker, Pseudowissenschaftler, Okkultist...
    Sarah ist eine Mechanikerin und Waffennärrin. Sie ist Jüdin, was plottechnisch keine große Rolle spielt, aber einfach das Spektrum der Charaktere etwas reicher und weniger stereotyp macht.

    Der Antagonist ist der Marquis de Mortemarte, ein... äh... Verrückter. Sozusagen das Äquivalent eines Bond-Schurken. Ein Mann mit offensichtlich unendlichen Ressourcen, der einen grandiosen, mehr oder weniger genialen Plan hat, mit dem er die gesamte Welt drastisch verändern will. Er ist Franzose, sein Name ist absichtlich falsch geschrieben, allerdings wollte mir trotz der Erklärung im Buch nicht so richtig klar werden, warum das so sein muss.

    Dann gibt es noch eine Unzahl von Nebenfiguren - Agenten der Krone, gegnerische Agenten, freischaffende Assassinen, Verwandte Archibalds, Piraten, befreite Sklaven, mächtige Zauberinnen, religiöse Fanatiker... Eigentlich mag ich es, wenn die Welt in einem Roman dicht bevölkert ist ("Krieg und Frieden" mit seinen gefühlt 500 Figuren fand ich z.B. toll), aber hier wurde es mir etwas zu viel. Ach ja, Karl May kommt auch vor. Und Königin Victoria. Und der russische Zar.

    Die Geschichte wird eingeleitet mit einem ersten Mini-Kapitel/Vorwort von Katharina Fiona Bode, in dem Erasmus Emmerich und sein Sidekick Marie vorkommen. Das fand ich erst eine tolle Idee: in der Kurzgeschichten-Anthologie "Steampunk Akte Deutschland", die ich kürzlich gelesen habe, hat mir nämlich die Emmerich-Geschichte um Welten besser gefallen als die Leach-Geschichte, und deswege habe ich mich gefreut, hier in dem Leach-Buch kurz Emmerich wiederzutreffen. Ich war dann aber von dieser Einleitung ziemlich enttäuscht, fand sie eher seicht, und für den Roman wäre sie in keiner Weise wichtig gewesen. Nur noch eine Nebenfigur mehr.

    Vom eigentlichen Plot des Buchs will ich jetzt nichts spoilern (oder nicht zu viel - Vorsicht, ein paar Spoiler sind drin). Zusammengefasst ist es eine rasante Tour de Force, die Archibald und Sarah um die halbe Welt führt - von England nach Amerika, nach Afrika, wieder kurz nach England und dann nach Indien.

    Dabei ist Plot A, wie sie dem Marquis de Mortemarte hinterherhetzen und versuchen, seine Pläne zu vereiteln. Dieser Plot enthält einen riesigen Anteil Okkultismus/Fantasy und geht vom klassischen Steampunk weg. Ich hätte ihn mir, v.a. im Mittelteil, etwas gestrafft gewünscht. Das lag v.a. daran, dass ich den Marquis etwas zu einseitig fand. Er hätte eine tolle, vielschichtige Figur werden können, aber ich wurde mit ihm nicht warm und so fand ich es irgendann eher ermüdend, dass er wieder einmal davongekommen war und sie ihm wieder einmal hinterherreisen müssen. Um den James-Bond-Vergleich nochmal zu bemühen: Bond-Schurken sind immer irgendwie interessant, und man genießt es, wie sie mit Bond spielen und umgekehrt. Den Marquis fand ich irgendwann einfach nur noch lästig und habe mir gewünscht, dass die Handlung um ihn herum endlich vorankommt.

    Plot B ist die Story zwischen Archibald und Sarah, wobei hier eigentlich gefühlt ab Seite 3 klar ist dass sie in ihn verliebt ist und er ihre Gefühle erwidert. Trotzdem fragt sie sich das praktisch das ganze Buch lang, was ihre eigenen Gefühle sind, was aus ihnen werden könnte, und und und blah blah blah.. einerseits war es eine nette Romanze, andererseits hätte ich mir da mehr Spannungsaufbau gewünscht. Das war mir von Anfang an zu offensichtlich, deswegen sehe ich das auch nicht als groben Spoiler wenn ich da sage: Happy End. Aber: ein schönes Happy End, man freut sich als Leser für die beiden.
    Im Zuge dieser Lovestory kommt auch ein bisschen was über Archibalds mysteriöse Vergangenheit raus, ich nehme mal an, das wird dann v.a. in Band 2 (der sicher kommen wird) relevant.

    Plot C fand ich eigentlich am besten, das ist die persönliche Entwicklung von Sarah. Am Anfang die skeptische Tüftlerin (es ist so eine Art Mulder-Scully-Konstellation: er glaubt jeden abstrusen Quatsch, und sie versucht alles rational zu erklären), aber sie akzeptiert die übernatürlichen Phänomene mehr und mehr. Und sie hat, parallel dazu, noch eine eigene Geschichte, die im ersten Moment gar nicht so auffällt. Sarah wird zur Galionsfigur einer Sklavenbefreiungsbewegung, erst eher zufällig, dann immer mehr aus Überzeugung handelnd. Sie ist mit Abstand die interessanteste Figur im Buch, und rückblickend gesehen fand ich ihre Entwicklung am besten, obwohl es nur ein Sub-Plot ist.

    Während ich Plot A und B nett fand, hab C für mich das Buch richtig lesenswert gemacht. Ich hatte beim Lesen meinen Spaß, obwohl ich es in der Mitte mal für ein paar Tage weggelegt hatte - gerade zum Ende hin gewann es dann aber wieder Schwung. Man muss sich darauf einlassen, dass es eine vollkommen irre Steampunk-Fantasy-Welt ist. Eigentlich mag ich es nämlich eher, wenn Steampunk so technisch korrekt wie möglich ist - das kann man hier vergessen, hier fliegen mechanische Tauben durch die Gegend. Und der fantastische Anteil ist enorm - Ektoplasma überall, als ob es ein Ghostbusters-Film wäre.

    Leider fand ich einige der Nebenfiguren sehr plump. Jeder Mann stolpert und glozt und fühlt seine Hose enger werden, sobald eine Frau mit tiefem Ausschnitt vorbeigeht. Natürlich sind die beiden wichtigsten Attentäter ultra-sexy Frauen, die auch noch eine en detail geschilderte Affäre miteinander haben. Und dass der Mexikaner nicht jeden Satz mit "Ay, caramba" eingeleitet hat, hat mich fast überrascht. Allerdings liegt in dieser Plumpheit auch ein eigener Charme. Es ist so ein bisschen wie in den "Nackte Kanone"-Filmen: wenn man jeden Witz bis zum Ende hin übertreibt und totreitet, dann wird es durch diese Übertreibung auf eine eigene Art doch nochmal witzig.

    Ich hätte mir das Buch etwas gekürzt gewünscht, vor allem im Mittelteil. Vielleicht 5 Nebenfiguren weniger, und die anderen dafür etwas plastischer. Und ich fand ein paar (kleine) Lektoratspatzer darin, die nicht hätten sein müssen. (Beispielsweise gibt es eine Szene, in der Sarah eine Gruppe von Leuten versucht zu überzeugen, dass sie fliehen sollen anstatt sich einem aussichtslosen Kampf zu stellen, und sie verzweifelt fast, weil alle bleiben und kämpfen/sterben wollen. Am nächsten Morgen sind dann doch ein paar abgehauen, und Sarahs erster Gedanke ist: "Feiglinge". Das passt nicht zusammen, und es liest sich nicht so, als ob diese Diskrepanz in ihrem Denken Absicht des Autors sei.)
    Trotzdem hatte ich, vor allem wegen Plot C, beim Lesen meine Freude. Und falls Band 2 irgendwann herauskommt, dann kaufe ich ihn mir wahrscheinlich.

    Ich würde 3,5 Sterne geben, aber gerundet ergibt das dann natürlich:
    Always avoid alliteration.
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