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Mittwochsfrage #47: Wir hängen den Zweifel an den Nagel - Suspension of Disbelief

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    Mittwochsfrage #47: Wir hängen den Zweifel an den Nagel - Suspension of Disbelief

    Man kennt es. Stolpert man beim Lesen über eine Stelle, die man schwachsinnig findet, findet man oft auch eine zweite. Dann kann man damit auch nicht mehr aufhören, man liest nicht mehr, man lauert. Das Buch hat verloren.
    "Die beste Fiktion ist real" heißt es.
    Aber wie echt muss die Fiktion sein?

    Reicht es, dass der Autor sagt: Die Menschheit lebt auf dem Mars. Oder muss (!) er erklären, wie es möglich ist, dort frei zu atmen? Reicht es, dass er schreibt, dass es möglich ist? Ein HardSciFi-Fan würde wohl anders antworten als der Leser, der die Geschichte als Parabel auf gesellschaftliches Blablabla liest.

    Ich halte für wichtig, dass Gegebenheiten in dem Roman in sich logisch sind und in der Realität (des Buchs und/oder der wahren Welt) so existieren könnten, aber nicht der Realwelt 1:1 entsprechen müssen.

    Wie sehr klebt ihr an der Wahrheit der realen Welt? Fakten Fakten Fakten oder einfach nur Logik?

    Natürlich erreicht man den Zustand der Glaubwürdigkeit nicht nur über das Setting von Raum und Zeit. Charaktere, Handlung, eventuell sogar geschichtlicher Hintergrund, Soziologie - all das muss geglaubt werden, auf all das muss der Leser sich einlassen.
    Wie bereitet Ihr Eure Geschichte darauf vor? Worauf achtet ihr?
    Seht ihr Genre-Unterschiede?

    #2
    Ich würde sagen, es kommt ganz darauf an.
    Im Bereich Fantasy / Science Fiction bin ich bereit, vieles als Gegeben anzuerkennen, sofern das Konstrukt in sich logisch aufgebaut ist und ich keine Fehler aus dem Zusammenhang heraus erkenne. Ich will mich ja schließlich beim Lesen in einer anderen Welt wiederfinden, in der nicht unbedingt die gleichen Gesetze herrschen müssen wie in der Realität - das macht den Reiz beim Lesen aus.

    Ein wenig anders sieht es bei Romanen mit "realem" Setting aus. Ich bin zwar absolut kein Erbsenzähler, aber wenn man merkt, dass der Autor so gar keine Ahnung von dem Setting hat, in dem sich seine Figuren bewegen, dann bin ich beim Lesen schon ziemlich frustriert. Das fängt dann bei Figuren an, die zwar einen besonderen Job haben (mit Vorliebe Ärzte oder Topmanager), sich aber weder so verhalten noch sich in einem Umfeld bewegen, das für den Leser glaubwürdig erscheint. Immer wieder gern gelesene Beispiele sind hier die hochkomplizierten Operationen, die mal schnell in 10 Minuten abgefrühstückt werden, damit der Chirurg sich kurz darauf noch im Wäschelager über die Oberschwester hermachen kann. Oder der Konzernchef, der im Prinzip nichts anderes zu tun hat, als mit irgendwelchen wichtigen Leuten (vorzugsweise aus dem asiatischen Raum) Telefonkonferenzen abzuhalten und dabei nur über völlige Banalitäten zu reden - und das zu Uhrzeiten, in denen die Telefonpartner aufgrund der Zeitverschiebung eigentlich tief im Schlummerland stecken müssten.


    Bei meinen eigenen Geschichten achte ich primär darauf, dass alles in sich konsistent ist und ich nicht zu sehr von den Vorgaben des Settings abweiche. Das fällt mir natürlich im Fantasy-Bereich wesentlich einfacher, wo ich durch die Erschaffung einer eigenen Welt mehr Spielraum habe, aber auch da gibt es Grenzen - insbesondere, was den Stand der Technologie angeht. Wenn es schon Schwarzpulver und Schusswaffen gibt, sollten meine Armeen nicht unbedingt in Ritterrüstungen in die Schlacht marschieren.

    Insgesamt glaube ich aber, dass der Realitätsgehalt auch von der Zielgruppe abhängt. In einer Teenie-Romanze mit historischem Setting kann ich mir die Realität zugunsten des Plots etwas mehr zusammenbiegen als in einem klassischen Historienepos, das auf eine Leserschaft zielt, die sich mit der Zeit und den Gegebenheiten verdammt gut auskennen. Das heißt aber nicht, dass ich nicht selbst Bescheid wissen muss und aus Unwissenheit großen Blödsinn verzapfen kann - aber wenn es dem Plot gut tut, hier und da einen Schritt vom "realen" Pfad abzuweichen, kann ich mir das je nach Zielgruppe etwas mehr oder eben überhaupt nicht erlauben.
    "Alles, was wir brauchen, ist Glaube, Vertrauen und Feenstaub."
    (Peter Pan)

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      #3
      Details lassen die Fiction realer wirken. Man soll dem Leser schon zeigen, dass man Ahnung hat, selbst wenn man Details verändert. Man weiß, dass Shakespeare in Love oder Familie Feuerstein nicht korrekt sind, aber es stört nicht.

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      • Mona
        Mona kommentierte
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        Ja, genau, so sehe ich das auch -- Details können gerne verändert werden, aber es sollte in sich logisch bleiben.

      • Milch
        Milch kommentierte
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        Eigentlich sind die Veränderungen bei Shakespeare in Love nicht logisch, aber durchdacht, dahinter steht ein klarer Gestaltungswille, es passierte nicht aus Ahnungslosigkeit.

      • Mona
        Mona kommentierte
        Kommentar bearbeiten
        Shakespeare in Love ist schon zu lange her, als dass ich da nun ernsthaft mitreden könnte ...

      #4
      Ich lege bei meinen derzeitigen Projekten viel Wert auf Authentizität. Das ist auch einer der Gründe für meine Veröffentlichung. Ich hab schon so viel Falsches und Unrealistisches gelesen, dass ich da mal etwas Realistisches entgegensetzen wollte. Auch wenns in meinem Fall Extreme sind, aber die Welt ist halt manchmal so (oder so ähnlich. Ich schreib ja keine Autobiographie(n)).
      Natürlich gönne ich mir mitunter auch künstlerische Freiheit. Es gibt da eine Szene, wo ich mir Hilfe bzgl. Physik und Anatomie herholen musste, weil dieses Gebiet so umfangreich ist, dass ich nicht wusste, wo ich zuerst recherchieren sollte. Dann hab ich mir halt angehört, worauf man bzgl Physik und Anatomie achten muss, wie so etwas am besten funktioniert, usw. Aus diesen Infos hab ich dann quasi mein eigenes Schema entwickelt, mit Zettel und Bleistift, so lange, bis es laut dem Insider hinhauen sollte. Mag sein, dass dieses Schema bereits ohnehin schon existiert, ich weiß es nicht, muss ich auch nicht, weil ich es jederzeit logisch begründen kann.
      Oder globaler: Auch politisch gönne ich mir ein paar Freiheiten, u.a. Gesetzgebungen/Bezeichnungen, weil es ja ein fiktiver Staat ist, und ich es da ohnehin unsinnig fände, einen realen Staat 1:1 zu kopieren.
      Aber, sofern relevant, begründe ich, oder recherchiere zumindest so weit, dass ich logische Schlussfolgerungen bilden kann.

      Und ja, mir ist Logik wichtig. Bei der Handlung bin ich als Leser noch relativ offen, aber bei (psych.) Reaktionen, die ganz offensichtlich absolut nicht recherchiert wurden oder absichtlich "beiseite" liegen gelassen werden, hat man mich als Leser verloren.
      Und ja, ich will gerade (!) bei Sci Fi wissen, warum es den Menschen möglich ist, auf dem Mars zu atmen. Wenn es irgendein komplett erfundener Planet wäre, dann wäre mir das nicht so wichtig (wobei man wohl auch da erkennt, ob der Autor seine Welt halbwegs schlüssig hinbekommen hat), aber gerade, wenn es "halb-realistisch" ist, bitte ich um eine Erklärung. ^^ (Damit nerve ich auch gern mal meine Familie beim Filmgucken. Alle so gespannt vorm Fernseher. Klein-Mona: "Hä? Aber warum tut der jetzt dies und nicht jenes??" -- Und alle so: "Mona! Das ist ein FILM!" xD) Ja, ich kann nervig sein.
      Zuletzt geändert von Mona; 31.01.2018, 14:04. Grund: WTF ... Ich bin heut zu doof.

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        #5
        Mir ist vor allem wichtig, dass sich die Figuren psychologisch nachvollziehbar verhalten, nicht nur die Haupt- sondern auch die Nebenfiguren: Trauma und Verletzung nicht mal eben abschütteln, nicht sofort alles und jedem glauben und Vertrauen etc. Das zieht sich natürlich auch in gesellschaftliche Dynamiken hinein, wobei ich da gerne zugunsten der Geschichte annehme, dass Menschen nicht immer logisch, mutig, progressiv und barmherzig sind.

        Bei technischen Dingen kommt es auf das Setting an. Wenn alles comichaft überzeichnet ist, dann akzeptiere ich auch Superkräfte, die von Spinnenbissen oder radioaktiver Verstrahlung kommen, fliegende Surfbretter und nachwachsende Gliedmaßen. Wenn der Rest des Settings dagegen Wert auf Realismus legt, dann wirkt so eine Stelle eher als Rohrkrepierer. Bei SciFi muss ich nicht wissen, wie das Raumschiff in allen Einzelheiten aufgebaut ist, das ist einfach eine Gegebenheit. Wenn allerdings eine Gruppe Leute auf einem unbesiedelten Planeten strandet und innerhalb von drei Monaten ohne Werkzeuge aus den natürlichen Rassourcen ein Raumschiff baut, dann ist das Bullshit (das verzeihe ich nicht, Captain Future! ). Ich erwarte also, dass die dafür notwendigen technischen Möglichkeiten zumindest andeutungsweise existieren, der Wissensstand der Leute nachvollziehbar hoch ist und die Zivilisation allgemein höher entwickelt als die, die ich kenne und dazu (noch) nicht in der Lage ist. Sofern etwas in seinem eigenen Setting möglich scheint, bin ich geneigt, es als Fakt zu akzeptieren.

        Poems are never finished.
        Just abandoned.

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        • Mona
          Mona kommentierte
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          *unterschreib*, und ganz besonders den ersten Absatz!

        #6
        Ist Suspension of Disbelief nicht eine Hardcore-Band? Na ja ...

        Zitat von Ankh
        Sofern etwas in seinem eigenen Setting möglich scheint, bin ich geneigt, es als Fakt zu akzeptieren.
        Damit ist eigentlich alles gesagt. (Es sei denn, es geht um Parodien oder dergleichen.)

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        • Dodo
          Dodo kommentierte
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          Ist Suspension of Disbelief nicht eine Hardcore-Band? Na ja ...
          Wenn Du es schreibst, wird es wohl stimmen.

        #7
        Ich bin sowohl als Leser als auch Autor recht freigiebig, was Örtlichkeiten angeht. Ich schreibe ja weder Reise-, Shopping- noch Museumsführer.
        Auch anachronistische Fahrzeuge oder Kleidung kann ich überlesen / -sehen, schwierig wird es bei Songs oder Kinofilmen ...

        Flache und in sich unschlüssige Charaktere empfinde ich auch als No-go. Daran glaube ich nicht, selbst wenn sie ein reales Vorbild haben (angeblich).

        Wenn ich mal ein Logikloch bemerke, die Geschichte aber gut oder spannend ist, dann bin ich durchaus bereit, noch einmal darüber hinwegzusehen, aber dann sollte das, was folgt, wirklich gut und wiederum logisch sein. Ich denke, der Leser ist durchaus bereit, am Anfang der Geschichte einmal ein Logikloch hinzunehmen - ohne das vielleicht die Geschichte so nicht zustande käme.

        Zur Erhöhung der Bereitschaft der Bereitschaft, Dinge einfach mal hinzunehmen, halte auch ich das eine Detail, das so etwas wie Insiderwissen suggeriert, für ein großartiges Mittel. Das wiederum setzt Recherche oder Erfahrung voraus. Und im weiteren heißt es eben: logisch bleiben, entwickeln, überzeugen und begründen.

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        • Gast-Avatar
          Gast kommentierte
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          Das eine Detail ist ein guter Hinweis. Ich finde es nämlich schwierig, wenn Autoren versuchen die Authentizität mittels möglichst vieler Details zu untermauern. Das kann schnell ermüdend wirken bzw. ein "Jaaa doch! Wir wissen, dass du dich auskennst!" hervorrufen.

        • Milch
          Milch kommentierte
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          Je konkreter und ungewöhnlicher dieses Detail, umso besser.

        • Gast-Avatar
          Gast kommentierte
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          Na ja ... je nach Genre sollte es aber nicht unbedingt ins zwanghaft Absurde abdriften.

        #8
        Genreunterschiede sehe ich auf jeden Fall. In der Fantasy verzeihe ich mehr, auch Dinge, die nicht erklärt werden, wie etwa fliegende Pilze o.Ä. Ist halt so. Das möchte ich in einem Reality-Roman schon erklärt haben.
        Wenn Romane, die als Reality daherkommen, mitten im Roman plötzlich eine Kehrtwende machen und die Auflösung fantasylastig ist, dann nehme ich ihnen das sehr, sehr übel.

        Ich muss als Leser generell nicht alles auf die Nase gebunden bekommen. Aber wenn man merkt, dass hinter manchen seltsam erscheinenden Darstellungen doch ein größeres System zu sein scheint, auch wenn dieses nicht explizit erklärt wird, dann nehme ich das durchaus an.

        Wichtiger finde ich die bereits angesprochenen Charakterdarstellungen, wobei ich auch glaube, dass das am schwierigsten ist. Manchmal handelt man tatsächlich vollkommen absurd und auch entgegen Traumata und schlimmen Erlebnissen. Oder "verzerrte Selbstwahrnehmung" als anderes Stichwort. Das ist ein Phänomen, das ich wohl niemals verstehen werde, was ich meiner Umwelt schon oft nicht abnehme ("sag mir nicht, dass du das nicht umrissen hast!?") und das in Büchern natürlich umso schwerer zu behandeln ist. Wenn auch per se sehr spannend.

        Naja, ich gehöre definitiv nicht zu den Lesern, die dem Autor blind vertrauen. Da kann ich mich an manchen Dingen insbesondere der Charakterentwicklung schon sehr aufhängen.
        Derweilen ist auf dem Feld schon alles gewachsen, bevor die wussten, warum und wie genau es gedeiht. - Franziska Alber

        So nah, so fern.

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        • Gast-Avatar
          Gast kommentierte
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          Zu den Reality-Romanen mit Fantasy-Kehrtwende/Anleihe: Auch hier kommt es darauf an, wie es gemacht ist. Wenn ich an "Drood" von Dan Simmons denke, wird das hinterher sehr logisch aufgelöst. Das weiß man während der ca. 1000 Seiten vorher natürlich nicht.

        #9
        Ich möchte eigentlich für alles eine Erklärung. Bei Fantasy nehme ich es hin, wenn ich das Gefühl habe: okay, andere Physik & Magie, aber in sich schlüssig. Aber wenn unsere reale Welt irgendwie integriert ist, brauche ich Erklärungen, warum Dinge möglich sind (wie das Marsbeispiel) oder warum wir Normalsterblichen nichts davon wissen (zum Beispiel von unsterblichen Wesen, oder so). Wenn ich am Ende der Geschichte immer noch ein solches Warum? ungeklärt im Kopf habe, kann die Geschichte noch so gut sein, ich empfinde es als groben Fehler oder Ignoranz. Ganz schlimm finde ich es, wenn ich mir die Frage stelle "Hä? Was? Wieso?" und alle Figuren es als selbstverständlich hinnehmen. Das geht für mich nur wenn man deutlich merkt, dass das Absicht ist (wie bei Kafkas Verwandlung).
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        Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende. (Matthäus 28,20)

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