Hallo ihr Lieben,
ein paar von euch kennen meine Methode vermutlich noch aus dem alten Forum, aber da ich darum gebeten wurde, werde ich sie hier für alle, die sie noch nicht kennen, noch einmal erklären.
Einige Dinge vorweg:
1. Das ganze ist mir natürlich nicht plötzlich im Traum erschienen, sondern ist aus verschiedenen anderen Methoden und Quellen zusammengebastelt. Den größten Einfluss hatte dabei die Blog-Artikel-Serie "Creating Stunning Character Arcs", die ihr hier finden könnt und die ich jedem nur ans Herz legen kann.
2. Um Streitigkeiten vorzubeugen: Ich bin nicht der Meinung, dass diese Methode die einzig richtige, gute oder zielführende ist. Ist ist lediglich die Methode, mit der ich mein Charakterentwicklungsproblem in den Griff bekommen habe.
3. Diese Methode ist dafür gedacht, eine bestimmte Sorte Figuren zu entwickeln: Die wichtigsten Hauptfiguren, die ihren eigenen Handlungsbogen durchlaufen.
Vorwort: Ich habe jahrelang mit der Charaktererschaffung gerungen und verschiedenste Tricks ausprobiert: Reale Menschen als Vorbild, Listen mit Charaktereigenschaften, Zufallsgeneratoren und Fragebogen um Fragebogen. Ihr kennt dir ja sicher alle? Diese Bögen in denen man Vornamen, Augenfarbe, Lieblingseissorte und Brustwarzenvorhofdurchmesser eintragen soll. Ich habe versucht, diese Bögen auszufüllen, aber egal wie viel Mühe ich mir gegeben habe, am Ende kam doch nur bestenfalls Stückwerk dabei heraus. Irgendwann hatte ich mein Problem dann erkannt: Wie soll ich solche Fragen beantworten, wenn die die Figur noch gar nicht kenne? Wenn ich gar nicht weiß, wie sie tickt?
Die Methode, die ich euch jetzt vorstelle, soll genau dabei helfen. Sie setzt im Kern an, sie dient dazu, die innere Mechanik zu entwickeln. Wenn man die kennt, dann ergeben sich die Antworten in diesen Fragebögen auch von ganz alleine.
Das zweite wichtige Element, dass ihr mit dieser Methode zeitgleich entwickelt der innere Plot, die innere Entwicklung, die eure Figur nimmt, im englischen Character Arc genannt. Ich werde den englischen Begriff benutzen, weil die deutsche Übersetzung Charakterbogen leicht mit den oben angesprochenen Fragebögen verwechselt wird.
Alle startklar? Gut, los geht's!
Schritt 1: Die Wunde
Die Wunde ist ein Ereignis in der Vergangenheit eurer Figur, das Narben auf der Psyche eurer Figur hinterlassen hat. Ein Ereignis, das so einschneidend war, dass es ihr Denken, Fühlen, Handeln und ihren Blick auf die Welt nachhaltig verändert hat. Und zwar zum schlechten (denn sonst haben wir kein Material für den Character Arc).
Die Wunde kann viele Formen annehmen. Sie kann psychischer oder physischer Natur sein, ein einziges Ereignis oder eine prägende Zeit sein, weit zurück liegen oder erst vor kurzem passiert sein. Sie muss nicht einmal richtig negativ sein. Also keine Sorge, ich fordere euch nicht auf, jeder Figur den Stempel "traumatische Kindheit" aufzudrücken.
Schritt 2: Die Lüge
Als nächstes macht man sich Gedanken darüber, wie diese Wunde das Denken der Figur geprägt hat. Einige Autoren nennen das "die Lüge, die die Figur glaubt".
Es handelt sich dabei um verallgemeinerte (falsche) Annahmen über sich selbst, Menschen, die Welt, etc.
Eine Figur, die von der Gesellschaft immer wieder ausgegrenzt wird, kommt vermutlich irgendwann zu dem Schluss "Ich bin anders. Ich gehöre nicht dazu".
Eine Figur, die einmal schwer betrogen wurde, kommt zu dem Schluss "Man darf niemandem trauen, außer sich selbst". Je nach Figur kann das ganze auch ganz unterschiedliche Wege nehmen. Eine Figur, der Gewalt angetan wurde kommt eventuell zu dem Schluss "Es ist am besten, unauffällig und unterwürfig zu bleiben, dann ist man sicher." Genauso gut könnte sie aber auch anfangen zu glauben "Du musst härter sein, als alle anderen. Dann bist du sicher."
Wenn man sich klar gemacht hat, welche Lügen die Figur glaubt, dann hat man schon einen ziemlich guten Kompass zur Hand um zu entscheiden, wie sie in bestimmten Situationen fühlt und handelt.
Ihr ahnt es vielleicht schon: Es ist die Lüge, die falsche Annahme, die die Figur innerhalb ihres Character Arcs überwinden muss.
Schritt 3 und 4: Ängste und Schwächen
Wir wissen nun also einiges über das Innenleben unserer Figur. Nun wird es Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, wie sich das nach außen hin äußerst.
Ängste. Das ist ja so ein Punkt der eigentlich immer in diesen Fragebögen auftaucht. Man muss sich da nichts aus den Fingern saugen. Sollte man sogar vermeiden. Die Antwort findet man nämlich in Schritt 1. Die Figur hat Angst davor, die Erfahrungen aus Schritt 1 in der selben oder einer anderen Form noch einmal zu erleben.
Schwächen. Auch Schwächen leiten wir aus Schritt 1 ab und jetzt wird es richtig interessant, denn Schwächen sind die Verhaltensweisen, die die Figur sich angeeignet hat, um sich davor zu schützen, die selbe schmerzhafte Erfahrung aus Schritt 1 noch einmal zu erleben. Es sind überspitzte und fehlgeleitete Verhaltensweisen. Psychologen würden das als negative Coping-Strategie bezeichnen.
Eine Figur, die einmal im Stich gelassen wurde, wird Angst haben, dass es noch mal passiert und sich gar nicht erst auf andere verlassen. Jemand der immer ausgegrenzt wurde, wird gar nicht erst versuchen, dazuzugehören, um die Erfahrung nicht noch einmal machen zu müssen. Eine Figur, die einmal einen großen Fehler gemacht hat, wird versuchen, sich verantwortungsvollen Aufgaben zu entziehen, weil sie nicht noch einmal versagen will, oder sie wird neurotisch-perfektionistisches Verhalten an den Tag legen, um einen neuen Fehler zu vermeiden.
Nun, da ihr die Ängste und Schwächen eurer Figur kennt, habt ihr einen guten Kompass für das Fühlen und Handeln eurer Figur. Alles weitere könnt ihr ohne große Probleme daraus ableiten. Außer vielleicht den Brustwarzenvorhofsdurchmesser.
Das ganze funktioniert übrigens auch rückwärts: Wenn ich zum Beispiel gerne einen Charakter hätte der Arrogant, Feige oder Selbstsüchtig ist, dann muss ich mir nur die Frage stellen "Welche schmerzhaften Gefühle versucht meine Figur durch dieses Verhalten zu vermeiden?" Und dann noch einen Schritt zurück "Bei welchem traumatischen Ereignis hat die Figur diese Gefühle zum ersten Mal erlebt?" VoilÁ .
Und was ist nun mit dem Character Arc?
Das ist ganz einfach: Wie schon oben angesprochen ist das Ziel des Character Arc, des inneren Plots, das enttarnen der Lüge als das was sie ist, eine Lüge. Es ist das Überwinden der Ängste und Schwächen, die auf dem Boden der Wunde und der Lüge entstanden sind.
Innerer und äußerer Plot sind dabei miteinander verzahnt:
-Der äußere Plot ist die Initialzündung für die innere Entwicklung. Durch das Problem, dass der äußere Plot mit sich bringt, ist die Figur gezwungen, die Komfortzone der Lüge zu verlassen.
- Die Ängste und Schwächen die Lüge und Wunde mit sich bringen verhindern, dass die Figur in der Lage ist das äußere Problem zu lösen. Die negativen Coping-Strategien lassen sie immer wieder scheitern.
- Der Mittelpunkt der Handlung korreliert in etwas mit dem Moment der Erkenntnis. Die Figur ahnt zum ersten Mal, dass die Lüge falsch ist und das sie sie überwinden muss, um erfolgreich zu sein.
- Das Überwinden der Lüge gelingt aber erst kurz vor dem Klimax (häufig katalysiert durch den Tiefpunkt vor dem Klimax). Das besiegen der Lüge und der damit verbundenen Schwäche (übrigens auch bekannt als "fatal flaw" oder in Deutsch die berühmte "Achillesferse") erlaubt es der Figur dann überhaupt erst, den Antagonisten zu besiegen und den Hauptkonflikt zu lösen. Nach der Auflösung des inneren Plots folgt die Auflösung des äußeren Plots. Die Figur ist an ihrer Aufgabe- und über sich hinaus gewachsen.
Eigentlich gar nicht so schwierig, oder? Im Grunde geht es nur darum, nicht einfach auf gut Glück Eigenschaften in einen Topf zu werfen (denn das ist der schnellste Weg zu einer Figur, die sich künstlich und konstruiert anfühlt und die die Leser weder emotional noch handlungstechnisch nachvollziehen können), sondern sich immer zu Fragen "Warum ist das so?" und "Wozu führt das?".
ein paar von euch kennen meine Methode vermutlich noch aus dem alten Forum, aber da ich darum gebeten wurde, werde ich sie hier für alle, die sie noch nicht kennen, noch einmal erklären.
Einige Dinge vorweg:
1. Das ganze ist mir natürlich nicht plötzlich im Traum erschienen, sondern ist aus verschiedenen anderen Methoden und Quellen zusammengebastelt. Den größten Einfluss hatte dabei die Blog-Artikel-Serie "Creating Stunning Character Arcs", die ihr hier finden könnt und die ich jedem nur ans Herz legen kann.
2. Um Streitigkeiten vorzubeugen: Ich bin nicht der Meinung, dass diese Methode die einzig richtige, gute oder zielführende ist. Ist ist lediglich die Methode, mit der ich mein Charakterentwicklungsproblem in den Griff bekommen habe.
3. Diese Methode ist dafür gedacht, eine bestimmte Sorte Figuren zu entwickeln: Die wichtigsten Hauptfiguren, die ihren eigenen Handlungsbogen durchlaufen.
Vorwort: Ich habe jahrelang mit der Charaktererschaffung gerungen und verschiedenste Tricks ausprobiert: Reale Menschen als Vorbild, Listen mit Charaktereigenschaften, Zufallsgeneratoren und Fragebogen um Fragebogen. Ihr kennt dir ja sicher alle? Diese Bögen in denen man Vornamen, Augenfarbe, Lieblingseissorte und Brustwarzenvorhofdurchmesser eintragen soll. Ich habe versucht, diese Bögen auszufüllen, aber egal wie viel Mühe ich mir gegeben habe, am Ende kam doch nur bestenfalls Stückwerk dabei heraus. Irgendwann hatte ich mein Problem dann erkannt: Wie soll ich solche Fragen beantworten, wenn die die Figur noch gar nicht kenne? Wenn ich gar nicht weiß, wie sie tickt?
Die Methode, die ich euch jetzt vorstelle, soll genau dabei helfen. Sie setzt im Kern an, sie dient dazu, die innere Mechanik zu entwickeln. Wenn man die kennt, dann ergeben sich die Antworten in diesen Fragebögen auch von ganz alleine.
Das zweite wichtige Element, dass ihr mit dieser Methode zeitgleich entwickelt der innere Plot, die innere Entwicklung, die eure Figur nimmt, im englischen Character Arc genannt. Ich werde den englischen Begriff benutzen, weil die deutsche Übersetzung Charakterbogen leicht mit den oben angesprochenen Fragebögen verwechselt wird.
Alle startklar? Gut, los geht's!
Schritt 1: Die Wunde
Die Wunde ist ein Ereignis in der Vergangenheit eurer Figur, das Narben auf der Psyche eurer Figur hinterlassen hat. Ein Ereignis, das so einschneidend war, dass es ihr Denken, Fühlen, Handeln und ihren Blick auf die Welt nachhaltig verändert hat. Und zwar zum schlechten (denn sonst haben wir kein Material für den Character Arc).
Die Wunde kann viele Formen annehmen. Sie kann psychischer oder physischer Natur sein, ein einziges Ereignis oder eine prägende Zeit sein, weit zurück liegen oder erst vor kurzem passiert sein. Sie muss nicht einmal richtig negativ sein. Also keine Sorge, ich fordere euch nicht auf, jeder Figur den Stempel "traumatische Kindheit" aufzudrücken.
Schritt 2: Die Lüge
Als nächstes macht man sich Gedanken darüber, wie diese Wunde das Denken der Figur geprägt hat. Einige Autoren nennen das "die Lüge, die die Figur glaubt".
Es handelt sich dabei um verallgemeinerte (falsche) Annahmen über sich selbst, Menschen, die Welt, etc.
Eine Figur, die von der Gesellschaft immer wieder ausgegrenzt wird, kommt vermutlich irgendwann zu dem Schluss "Ich bin anders. Ich gehöre nicht dazu".
Eine Figur, die einmal schwer betrogen wurde, kommt zu dem Schluss "Man darf niemandem trauen, außer sich selbst". Je nach Figur kann das ganze auch ganz unterschiedliche Wege nehmen. Eine Figur, der Gewalt angetan wurde kommt eventuell zu dem Schluss "Es ist am besten, unauffällig und unterwürfig zu bleiben, dann ist man sicher." Genauso gut könnte sie aber auch anfangen zu glauben "Du musst härter sein, als alle anderen. Dann bist du sicher."
Wenn man sich klar gemacht hat, welche Lügen die Figur glaubt, dann hat man schon einen ziemlich guten Kompass zur Hand um zu entscheiden, wie sie in bestimmten Situationen fühlt und handelt.
Ihr ahnt es vielleicht schon: Es ist die Lüge, die falsche Annahme, die die Figur innerhalb ihres Character Arcs überwinden muss.
Schritt 3 und 4: Ängste und Schwächen
Wir wissen nun also einiges über das Innenleben unserer Figur. Nun wird es Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, wie sich das nach außen hin äußerst.
Ängste. Das ist ja so ein Punkt der eigentlich immer in diesen Fragebögen auftaucht. Man muss sich da nichts aus den Fingern saugen. Sollte man sogar vermeiden. Die Antwort findet man nämlich in Schritt 1. Die Figur hat Angst davor, die Erfahrungen aus Schritt 1 in der selben oder einer anderen Form noch einmal zu erleben.
Schwächen. Auch Schwächen leiten wir aus Schritt 1 ab und jetzt wird es richtig interessant, denn Schwächen sind die Verhaltensweisen, die die Figur sich angeeignet hat, um sich davor zu schützen, die selbe schmerzhafte Erfahrung aus Schritt 1 noch einmal zu erleben. Es sind überspitzte und fehlgeleitete Verhaltensweisen. Psychologen würden das als negative Coping-Strategie bezeichnen.
Eine Figur, die einmal im Stich gelassen wurde, wird Angst haben, dass es noch mal passiert und sich gar nicht erst auf andere verlassen. Jemand der immer ausgegrenzt wurde, wird gar nicht erst versuchen, dazuzugehören, um die Erfahrung nicht noch einmal machen zu müssen. Eine Figur, die einmal einen großen Fehler gemacht hat, wird versuchen, sich verantwortungsvollen Aufgaben zu entziehen, weil sie nicht noch einmal versagen will, oder sie wird neurotisch-perfektionistisches Verhalten an den Tag legen, um einen neuen Fehler zu vermeiden.
Nun, da ihr die Ängste und Schwächen eurer Figur kennt, habt ihr einen guten Kompass für das Fühlen und Handeln eurer Figur. Alles weitere könnt ihr ohne große Probleme daraus ableiten. Außer vielleicht den Brustwarzenvorhofsdurchmesser.
Das ganze funktioniert übrigens auch rückwärts: Wenn ich zum Beispiel gerne einen Charakter hätte der Arrogant, Feige oder Selbstsüchtig ist, dann muss ich mir nur die Frage stellen "Welche schmerzhaften Gefühle versucht meine Figur durch dieses Verhalten zu vermeiden?" Und dann noch einen Schritt zurück "Bei welchem traumatischen Ereignis hat die Figur diese Gefühle zum ersten Mal erlebt?" VoilÁ .
Und was ist nun mit dem Character Arc?
Das ist ganz einfach: Wie schon oben angesprochen ist das Ziel des Character Arc, des inneren Plots, das enttarnen der Lüge als das was sie ist, eine Lüge. Es ist das Überwinden der Ängste und Schwächen, die auf dem Boden der Wunde und der Lüge entstanden sind.
Innerer und äußerer Plot sind dabei miteinander verzahnt:
-Der äußere Plot ist die Initialzündung für die innere Entwicklung. Durch das Problem, dass der äußere Plot mit sich bringt, ist die Figur gezwungen, die Komfortzone der Lüge zu verlassen.
- Die Ängste und Schwächen die Lüge und Wunde mit sich bringen verhindern, dass die Figur in der Lage ist das äußere Problem zu lösen. Die negativen Coping-Strategien lassen sie immer wieder scheitern.
- Der Mittelpunkt der Handlung korreliert in etwas mit dem Moment der Erkenntnis. Die Figur ahnt zum ersten Mal, dass die Lüge falsch ist und das sie sie überwinden muss, um erfolgreich zu sein.
- Das Überwinden der Lüge gelingt aber erst kurz vor dem Klimax (häufig katalysiert durch den Tiefpunkt vor dem Klimax). Das besiegen der Lüge und der damit verbundenen Schwäche (übrigens auch bekannt als "fatal flaw" oder in Deutsch die berühmte "Achillesferse") erlaubt es der Figur dann überhaupt erst, den Antagonisten zu besiegen und den Hauptkonflikt zu lösen. Nach der Auflösung des inneren Plots folgt die Auflösung des äußeren Plots. Die Figur ist an ihrer Aufgabe- und über sich hinaus gewachsen.
Eigentlich gar nicht so schwierig, oder? Im Grunde geht es nur darum, nicht einfach auf gut Glück Eigenschaften in einen Topf zu werfen (denn das ist der schnellste Weg zu einer Figur, die sich künstlich und konstruiert anfühlt und die die Leser weder emotional noch handlungstechnisch nachvollziehen können), sondern sich immer zu Fragen "Warum ist das so?" und "Wozu führt das?".
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