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Wer kann was glaubhaft schreiben?

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    Wer kann was glaubhaft schreiben?

    Ausgehend von unseren kontroverseren Thementhreads fing ich an zu überlegen (oje). Kann nicht fast jeder fast alles schreiben?

    Können Männer nur Männerfiguren schreiben und Frauen nur Frauenfiguren? Können nur Männer glaubhafte Männerfiguren und nur Frauen glaubhafte Frauenfiguren schreiben?
    Erkennt man an den Figuren, ob sie von einem Mann oder von einer Frau geschrieben wurden?

    Ich persönlich schreibe sowohl männliche als auch weibliche Perspektivfiguren, in Romanzen, die auch vor Sexszenen nicht ausblenden, wenn ich diese für die Handlung oder aus weniger hehren Gründen als notwendig erachte. Ich habe männliche und weibliche Testleser und möchte deren Rückkopplung nicht missen.

    Ich habe mich im oberen Absatz zwar scheinbar auf die klassische Dichotomie Mann-Frau beschränkt, möchte aber ausdrücklich Trans-Figuren und andere in die Diskussion einbeziehen.
    Für mich (langweilig, cis, hetero) ist allerdings schwer einschätzbar, in wieweit hier stärkere Triggermomente lauern könnten, und daher würde ich mir eine solche Figur nicht ohne Unterstützung zutrauen. Ich wüsste nicht einmal, ob bsp. Transmenschen gern über ihre Erfahrungen reden möchten, wenn sie endlich ihre wahre Identität leben.
    Ähnliches gilt vielleicht für andere Minoritäten, die man im Buch gerne glaubhaft repräsentieren wollte.

    Das ist imA anders als mit Berufsbildern, wo man einfach mal plump nachfragen kann. Doch auch da gibt es Grenzen. Wie lebt ein Agent eigentlich wirklich? Will der Chirurg erzählen, wie es war, als ihm ein Patient unter den Finger weggestorben ist? Wie repräsentativ kann eine Einzelperson Auskunft geben? Muss man im Roman überhaupt für möglichst viele repräsentativ sein?

    Ich bin gespannt auf Eure Meinungen, Erfahrungen, Einschätzungen, Vermutungen.

    #2
    Medizin halte ich für schwierig, weil es da massenhaft Sachkenntnis braucht, um sich da wohl zu fühlen, allein die vielen lateinischen Fachausdrücke. Scheitern kann wahrscheinlich jeder nachempfinden, das passiert auch, wenn jemand in einer Operation weggestorben ist. Am schwierigsten ist es, die möglichen Fehler, , die man in einem Bereich macht, herauszufinden, uns Autoren interessiert ja wesentlich das Scheitern.

    Man sollte schon wissen, was gängig ist, auch wenn man davon abweichen will.

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    • Dodo
      Dodo kommentierte
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      Natürlich sterben Patienten. Es gibt aber erwartete Tode, und die, mit denen man nicht rechnet oder gegen die man optimistisch arbeitet. Der alte Meckerpott mit der geplatzten Aorta ist sowieso nur vielleicht zu retten, die sympathische 33jährige dagegen sollte eigentlich nach der Entbindung beschwerdefrei mit Baby nach Hause tanzen. Kommt aber manchmal anders. Ein Kinderarzt, ein Pathologe, ein Onkologe, ein Chirurg und ein Augenarzt besitzen sicher unterschiedliche Grundpersönlichkeiten, schon allein, weil sich die Leute aufgrund ihrer Persönlichkeit für ihre jeweiligen Fachrichtungen entschieden haben (sollten) https://www.bmj.com/content/331/7531/1529.
      Und das ist es, was ich in Medizinstories wiederfinden will. Glaubhafte Charaktere. Für den Rest kauf ich mir den Harrison (Principles of Internal Medicine).

    • Lael
      Lael kommentierte
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      Dodo Dieses Fließschema ist total faszinierend! Danke dafür.

    • Dodo
      Dodo kommentierte
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      Lael Ich finde dieses Schema auch brillant.
      Wobei ich Anästhesisten nicht bei Hard-working eingeordnet hätte.

      Meine Alma mater hat noch einen anderen Aspekt erarbeitet. https://bmcmededuc.biomedcentral.com...909-017-0964-6

    #3
    Jeder Mensch kann jeden Menschen schreiben. Aber nicht jeder kann jede Erfahrung authentisch schreiben.




    Wenn ich Manuskripte berachte, bei denen Frauen- oder Männerfiguren unlogisch sind bzw. eindeutig vom anderen Geschlecht geschrieben sind, liegt es daran, dass Figuren überzogen dargestellt werden. Die Figuren sind keine Menschen, die einem Geschlecht angehören, sondern das Stereotyp Mann/Frau und zwar von einer außenstehenden Sichtweise geschrieben. Konkret denke ich an weibliche Protagonistinnen, die sich so anfühlen, als wäre der hetero Autor wortwörtlich in den Körper seiner Traumfrau geschlüpft. Oder Männer, die sich gegenseitig das Herz ausschütten, wie man es bei Freundinnen im TV-Serien kennt.

    Aber das Problem liegt nicht daran, dass man das andere Geschlecht nicht versteht, sondern nicht auf die Sozialisierung achtet. Natürlich gibt es Frauen, die ihren eigenen Körper betrachten, als würde es sie selbst erregen. Natürlich gibt es Männer, die offen und ausfürhlich über ihre Gefühle reden. Aber handelt es sich dabei um ein Individuum oder sind alle so? Passt es zur Gesellschaft in dem jeweiligen Roman? Wenn die Jungs mit "ein Indianer weint nicht" erzogen werden, ist es unwahrscheinlich, dass sie ganz natürlich Seelenstriptease beherrschen. Aber dann liegt es nicht daran, dass Männer keine Frauen schreiben können, oder Frauen keine Männer. Man hat den Menschen verkannt.

    Anders ist es bei individuellen Erfahrungen. Ich nehme an, dass keine Person, die kein Kind geboren hat, nachempfinden kann, wie es ist zu entbinden. Natürlich kann man über Geburten schreiben – besonders in Prologen ist ja so was ganz toll. Aber ich glaube nicht, dass es so authentisch geschrieben werden kann, wie eine Person, die es wirklich erlebt hat. Im Userwissen gibt es den Beitrag über den Unfall. Ich könnte mir dieses Wissen aneignen und versuchen es zu reproduzieren. Ein bisschen Empathie besitze ich ja und ich hab schon mal ein Fahrradunfall gehabt. Aber könnte ich den Alltag mit PTBS wegen eines Terroranschlags schreiben? Könnte ich schreiben, wie es sich für einen Mann/Jungen anfühlt, häusliche Gewalt erlebt zu haben?

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    • Dodo
      Dodo kommentierte
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      Genau das meine ich.
      Ich kann mich bei Personen des anderen Geschlechts oder auch des eigenen rückversichern. War die Darstellung von xy Körperfunktionen, Ankleiden, Pinkeln gehen, etc OK so. Das ist einfach. Auch bei einfachen Fragestellungen im Beruf - in welcher Reihenfolge erfolgen die Handgriffe beim Zähneziehen oder so - funktioniert das.
      Aber die innere Bewegung, die zumindest ich gerne lese und daher auch gerne schreibe, kann dem entgehen. Dabei muss es nicht einmal Tragik o. ä. sein. Josef Hader hat einen tollen Film über Pathologen gemacht, der nur ganz wenig Medizin beinhaltet. Aber er fängt eine bestimmte Stimmung ein, und er bringt z B die natürliche Hassliebe zwischen Pathologen und Chirurgen meisterhaft auf den Punkt.
      Für Bereiche, die traumatisch konnotiert sind oder sein könnten (entzieht sich zum großen Teil meiner Erfahrung, selbst wenn ich schonmal einen schweren Unfall hatte), gerade auch psychisch oder psychosexuell oder sogar tabuisiert, würde ich mir die Kompetenz als Schreiber absprechen.
      Ich könnte einen eiskalten Killer schreiben, das trau ich mir zu (das Schreiben). Es können mir wahrscheinlich auch nur wenige Leser widersprechen. Aber wenn es möglicherweise daran ginge, eine Vergewaltigung zu schreiben, dann müsste ich sagen: Moment. Das ist auf so vielen Ebenen schwierig ... Ablauf, Verletzungen, auch Angst oder Machtgefühle, das könnte ich wohl rekonstruieren. Aber zum "Leben" erwecken? Will ich das? Da würde ich wohl ausblenden. Aus vielen, vielen Gründen.

    #4
    Mit einem Haufen Recherche, Fingerspitzengefühl und Empathie traue ich jedem Autor zu, eine gute Geschichte aus praktisch allen Blickwinkeln zu schreiben. Es gibt nur kleine Themen, die man einfach nicht nachempfinden kann.
    Bleiben wir bei der klassischen Dichotomie zur Illustration: Ein Mann kann sicherlich eine weibliche Figur überzeugend schreibend, wie sie ihr Leben als eigenständige Persönlichkeit meistert, sich verliebt, einen Piratenschatz findet oder die Welt vor Aliens rettet. Mit Empathie, einem wachsamen Auge auf Stereotypen und dem ein oder anderen Gespräch mit Frauen, kann auch ein Mann überzeugend diese Dinge schreiben. Ich wüsste nicht, woran das Scheitern sollte, wenn er denn alle Persönlichkeitsspektren "des Mannes" auch schreiben kann, ohne sie selbst alle zu sein. Vorstellungskraft hilft.
    Ob ein männlicher Autor überzeugend schreiben kann, wie sich Sexismus im Alltag für eine Frau anfühlt und welche Bereiche davon betroffen sind, hängt wohl davon ab, wie sehr er sich mit dem Thema beschäftigt und wie sehr er dafür Auskunft von Frauen bekommt. Dank #metoo gibt es für diesen Themenbereich mittlerweile durchaus ein gesellschaftliches Forum, um das zu besprechen und wenn der männliche Autor gut zuhört und sich empathisch in diese Situationen hineinversetzen kann und vielleicht sogar willig ist ein paar Experimente zu machen (denn auch Männer erfahren Sexismus, nur halt anders oder vielleicht kennt der Autor Mobbing aus eigener Anschauung und hat damit einen Ansatzpunkt, um in die Materie hineinzukommen), dann kann sicherlich in einem Text dies angemessen umgesetzt werden. Es ist vielleicht mehr Arbeit, als über die männlichen Heldentaten in der Autowerkstatt zu erzählen - aber wenn ein männlicher Autor keine Ahnung von Autowerkstätten hat, muss er da auch recherchieren und seine Vorstellungskraft anstrengen.

    Es gibt aber Dinge, die sind schwer zu beschreiben und die kann man nicht mit Experimenten nachstellen.
    Für mich gehört da zum Beispiel eine Geburt dazu. Technisch weiß ich natürlich, wie das geht, aber von den Emotionen solch einer Situation habe ich nicht die leiseste Ahnung. Ich habe auch keine sentimentale Verbindung mit einem Haustier um das irgendwie zu approximieren wie "Kinder haben" ist als kinderloses Individuum - noch viel weniger wie es ist, einen kleinen Menschen aus sich herauszupressen, der da ca. neun Monate in einem gewohnt hat.
    Das ist für mich eine unglaublich seltsame Situation und obwohl ich in RPGs darüber schreibe, würde ich das nie in einem veröffentlichten Buch machen. Einfach weil ich denke, Theorie und Praxis liegen hier sehr weit auseinander und es gibt kein gutes Experiment um sich der Sachlage wirklich anzunähern, sodass man sagen könnte: Ich verstehe den emotionalen Hintergrund dieser Situation, die ich meiner Figur auferlegt habe.

    Ähnliches gilt für die Probleme von Transgender-Menschen.
    Die Themenbereiche von Mobbing, Unterdrückung und Sexismus kann man ebenfalls recherchieren und mit viel Empathie approximieren, sodass man auch als Nicht-Betroffener einen Eindruck gewinnen kann, wie dieses gesellschaftliche Stigma sich in Einzelfällen auswirkt - und wie man dies dann sinnvoll in seine Geschichte einflechtet, sollte die Geschichte das plottechnisch brauchen. Es gibt immer irgendwo LGBTQIA-Organisationen, die einem bei der Recherche helfen können und wissen, mit wem man in Tiefe darüber reden kann, wenn man im Internet nicht fündig genug geworden ist. Da wird LGBTQIA-Figuren in unseren Büchern und Filmen und Serien haben wollen, unterstützen viele auch die Recherche, wenn man vernünftig fragt. In der Darstellung also dieser gesellschaftlichen Probleme und deren Auswirkungen sehe ich für keinen Autor eine zu große Hürde; nicht mehr als sich in die Position eines Zauberjungen hineinzuversetzen. Es ist nur wichtig, sich auf das Thema einzulassen und sich von den eigenen Vorstellungen zu lösen. Verstehen, dass die Hürden im Alltag oft banal und klein sind, aber deswegen so tief schneiden. Aber ähnlich dem Sexismus gegen Frauen kann ein männlicher Autor hier aus angrenzenden Erfahrungsbereichen schöpfen oder Experimente machen, um sich besser in die Emotionswelt einzufühlen.

    Was aber schwierig zu verstehen sein wird ist Gender-Disphoria: all die negativen Gefühle, die der Körper aufgrund seiner Genderperfomanz in einem auslöst, wenn diese nicht mit der Genderidentität übereinstimmt - also das, was im Volksmund als "im falschen Körper geboren" benannt wird. Nicht jeder Transgender-Mensch hat dies und selbst jene, die dies haben, haben es in unterschiedlicher Stärke. Es ist ein schwieriges und nicht immer gleiches Gefühl, seinen Körper zu sehen oder zu fühlen oder präsentieren zu müssen, wenn Biologie und Identität nicht zusammenpassen. Es heißt nicht zwingend, dass man sich hässlich findet oder dass man seinen Körper oder Körperteile hasst, sondern es ist oft mehr ein Gefühl von "das gehört nicht zu mir" und doch weiß man, dass man in diesem Körper nun einmal lebt. Es ist eben schwer zu beschreiben und vermutlich noch schwerer zu verstehen, weil es keine Situation in einem anderen Bereich gibt, wo man sagen kann "so ähnlich ist das." Anders als bei Sexismus, wo man durchaus sagen kann "ähnlich wie Mobbing, aber mit diesen speziellen Geschmacksrichtungen."

    Was aber anscheinend schwierig für Nicht-Betroffene nachzuvollziehen ist - nicht nur bei Transgender-Menschen sondern auch bei Menschen mit psychischen Krankheiten oder körperlichen Behinderungen - dass diese Menschen trotz der offenbaren Schwierigkeiten und anderen Emotionswelt auch gute und glückliche Zeiten haben können, dass sie trotzdem Freunde und Familie haben (oder suchen) und sich die grundsätzlichen Bedürfnisse eines jeden Menschen nicht ändern, auch wenn sie vielleicht anders ausgelebt werden, als man erwarten würde. Dass nur weil jemand im Rollstuhl sitzt, dieser trotzdem ins Kino gehen möchte oder das ein gehörloser Mensch auch auf Konzerte gehen will etc.
    Das ist gerade ein Problem für Menschen aus dem asexuellen Spektrum - also Menschen, die keinen Drang für Sex haben. Dass ihnen entweder unterstellt wird, dass ihre Gefühle und Emotionen nicht "richtig" wären und sie daran etwas ändern müssten - oder dass sie, weil sie keinen Sex wollen/brauchen, auch alle anderen Formen von Intimität und menschlichem Zusammensein automatisch ebenfalls nicht brauchen und ihre Gefühlswelt automatisch als roboterhaft angenommen wird. Das ist Unsinn und wer fünf Minuten darüber nachdenkt, sollte das sofort erkennen. Nur weil dieses Leben anders gelebt wird, als man selbst es tut, heißt das nicht, dass sich das grundsätzliche Menschsein ändert.

    Ich denke, solange ein Autor sich seine Figuren als vollwertige Menschen mit allen Tiefen und Höhen unserer Existenz vorstellt und mit Empathie und Recherche an die Situationen herangeht, die man als Außenstehender approximieren kann, dann gibt es keinen Grund Figuren des anderen Geschlechts oder Ethnie oder Berufszweiges oder Zeitalters nicht zu schreiben. Der Autor muss sich aber im Klaren sein, wo die Grenzen seiner Vorstellungskraft liegen und dort mit Vorsicht schreiben, möchte er die Gemeinschaft seiner Figur respektvoll behandeln.
    Ayo, my pen and paper cause a chain reaction
    to get your brain relaxin', the zany actin' maniac in action.
    A brainiac in fact, son, you mainly lack attraction.
    You look insanely whack when just a fraction of my tracks run.

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    • Dodo
      Dodo kommentierte
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      "Normale" Betroffene klingt gerade seltsam. Es gibt Menschen, die sich dafür einsetzen, die Dinge transparenter zu machen, anderen die Lage zu zeigen. Dann verschiebt sich natürlich deren Wahrnehmung und Sensibilität. Dankbarerweise, denn es verschiebt die Wahrnehmung der Leute, die in einer Comfort-Blase leben, so wie ich z B.
      Mir fällt eben derzeit gerade diese Schwarze-Loch-Mathematikerin vor die Füße, weil das ein Paradebeispiel dafür ist, wie Männer in Szene gesetzt werden, die nichts mit diesem sensationellen "Foto" zu tun haben. Und ich sage noch einmal, ich kümmere mich sonst nicht um so etwas.
      Übertreibt #metoo? Nein. Es kommt einem nur so vor, weil wenige (!) Betroffene endlich mal wagen, laut etwas zu sagen. Und was passiert? IdiotInnen behaupten jetzt, man(n) dürfe nicht einmal mehr flirten - das ist wahrlich out of perspective, um Hubble-Teleskopreichweiten.
      Also, was die "unnormalen" Betroffenen machen, ist: Druck / Angst überwinden und aufmerksam machen.

    • In-Genius
      In-Genius kommentierte
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      Bei #metoo kommt auch noch hinzu, wie normalisiert dieses Verhalten oft ist und gleichzeitig wie unglaublich creepy es objektiv betrachtet ist.

      Beispiel: Auf Twitter teile eine Frau ihr Erlebnis mit einer Kfz-Werkstatt. Der Service vor Ort war in Ordnung und die Interaktion mit dem männlichen Mechaniker war weiter nicht bemerkenswert. Ein paar Stunden später kriegt sie von dem Mechaniker eine SMS geschickt, die sie auf ein Date ausfragt.
      Abgesehen von seinen genauen Worte (die ich nicht mehr weiß, aber recht herablassend wirkten), ist die Tat in sich selbst absolut unmöglich. Das verletzt Datenschutz und Privatssphäre der Kundin und zieht die geschäftliche Beziehung in ein vollkommen anderes Feld, wo sie nichts zu suchen hat. Das ist schlicht kein Flirten.
      Richtig furchtbar ist, dass unter dem Tweet dutzende Frauen von ähnlichen Erlebnissen berichteten, wo männliche Kundendienstleister ihnen mithilfe der Kundenakten nachstellten und aufdringlich wurden.

      Trotzdem kann ich mir solch eine Szene wunderbar als Hollywood-RomCom aus den 90ern vorstellen. DAS ist fürchterlich.
      Dagegen anzugehen und diese - anscheinend alltäglichen - Begebenheiten zu erzählen und zwar so laut, dass auch in der letzten Reihe klar wird, dass das nicht Flirten ist und dass solches Verhalten nicht duldbar ist, ist keine Übertreibung oder Extreme, das ist Überlebenskampf.

    • Dodo
      Dodo kommentierte
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      Umgekehrt übrigens ähnlich. Wenn Ärzte/Ärztinnen von Patienten/Patientinnen angemacht werden. Das ist kein Flirten, sondern der Finger am Alarmknopf.

    #5
    - Ich hab jetzt erst mal nur das Eingangsposting gelesen und beziehe mich auch nur darauf (weil zwischendurch kam die Pizza XD).

    Können Männer nur Männerfiguren schreiben und Frauen nur Frauenfiguren? Können nur Männer glaubhafte Männerfiguren und nur Frauen glaubhafte Frauenfiguren schreiben?
    Erkennt man an den Figuren, ob sie von einem Mann oder von einer Frau geschrieben wurden?
    Aus Lesersicht muss ich echt sagen: Nein, nein und nein. Gerade, was Erotikromane angeht. Mein Lieblings-Autor im Erotik-Genre ist männlich, weil ich noch nie so extrem harte Inhalte so extrem einfühlsam, besonders Frauen betreffend, gelesen habe (und ich bin zart besaitet). Ich selbst schreibe meist lieber aus Männersicht, was mich anfangs selbst gewundert hat. Und es war recht unterhaltsam, die Männer in meinem Umfeld mit Recherchefragen zu nerven XD. (Weil manches kann mir halt beim besten Willen nicht ausmalen ^^).

    Ich persönlich schreibe sowohl männliche als auch weibliche Perspektivfiguren, in Romanzen, die auch vor Sexszenen nicht ausblenden, wenn ich diese für die Handlung oder aus weniger hehren Gründen als notwendig erachte. Ich habe männliche und weibliche Testleser und möchte deren Rückkopplung nicht missen.
    Dito.
    Ich habe mich im oberen Absatz zwar scheinbar auf die klassische Dichotomie Mann-Frau beschränkt, möchte aber ausdrücklich Trans-Figuren und andere in die Diskussion einbeziehen.
    Für mich (langweilig, cis, hetero) ist allerdings schwer einschätzbar, in wieweit hier stärkere Triggermomente lauern könnten, und daher würde ich mir eine solche Figur nicht ohne Unterstützung zutrauen. Ich wüsste nicht einmal, ob bsp. Transmenschen gern über ihre Erfahrungen reden möchten, wenn sie endlich ihre wahre Identität leben.
    Ähnliches gilt vielleicht für andere Minoritäten, die man im Buch gerne glaubhaft repräsentieren wollte.
    Ich persönlich veröffentliche grundsätzlich nichts, ohne mich a) massiv in den "Alltag" der Personengruppe eingelesen zu haben (und Foren sind da meiner Ansicht nach oft besser als aufbereitete Blogartikel (sagts und ist am Blog erstellen XD) oder Webseiten), b) mit Betroffenen/Angehörigen direkt in Kontakt zu treten und bei Unklarheiten zu fragen, oder c), weil ich so neugierig bin, einfach in deren Lebenswelt einzutauchen oder Experimente zu starten.
    Oft ist es a) und b); oft auch c), wenn es sich so ergibt, halbwegs leicht organisieren lässt oder wenn ich zufällig ohnehin bereits RL-Erfahrung damit hab.

    Was generell meine Kontakte mit LesBiSchwul-Trans angeht (und die waren sehr lange sehr ausgeprägt), kann ich bloß aus eigener Erfahrung sprechen (die ja eben auch nur ein Ausschnitt aus Erfahrungswirklichkeiten ist): Es ist völlig egal ob trans, bi, homo oder hetero, schwarz oder weiß, etc. - politische (In-)Korrektheit gibt es überall und gegen jeden mit der gleichen Heftigkeit - Hautfarbe, Geschlecht, Vorlieben, politische Richtung, etc. egal. Und wer sich davon getriggert fühlt, fühlt sich getriggert - nachvollziehbare Reaktion. Oder anders gesagt: Ich hab schon Konflikte in jeder erdenklichen Konstellation mitbekommen (müssen), aber andererseits auch Freundschaften oder Zusammenarbeit, vor allem in stressigen Jobs.

    Das ist imA anders als mit Berufsbildern, wo man einfach mal plump nachfragen kann. Doch auch da gibt es Grenzen. Wie lebt ein Agent eigentlich wirklich? Will der Chirurg erzählen, wie es war, als ihm ein Patient unter den Finger weggestorben ist? Wie repräsentativ kann eine Einzelperson Auskunft geben? Muss man im Roman überhaupt für möglichst viele repräsentativ sein?
    Repräsentative Aussagen wirst Du wahrscheinlich nicht bekommen, wenn Du keine quantitative Umfragen in verschiedenen (!) sozialen/ideologisch orientierten und örtlichen Umfeldern machst, in ebenso verschiednen schriftlichen Quellen recherchierst oder jemanden fragst, der sich auskennt und dementsprechend breitgefächerte (oder ehrlich als subjektiv gekennzeichnete) Infos wiedergibt.

    Mal ein Beispiel, hier BDSM, weil das wohl meine offensichtlichste "Nische" ist:
    Du fragst nen BDSMler, ob er in seinen Sessions Abbruchcodes für Notfälle zulässt.
    Person 1: "Ja, auf jeden Fall!!!! Alles andere ist Missbrauch!"
    Person 2: "Nur bei Anfängern / nur wenn man einander noch nicht gut kennt."
    Person 3: "Pah! Codewords sind verweichlicht! Nur schmerzhaftee Unterdrückung ist BDSM!"
    Es gibt dann so Influencer-BDSMler, und wenn man wiederum nur in deren Umfeldern recherchiert, wird man (unter ihren Fans) vermutlich ebenfalls eher ähnliche Meinungen vernehmen.

    Manchmal fehlt ein kleines Puzzle-Teilchen, eine Vernetzung oder eine Verbindung zu/von/mit jemandem, die eine Behauptung in einem völlig anderen Licht erscheinen lassen kann (politisch/ideologisch/usw.). Von daher bin ich IMMER dafür, mehrere Meinungen einzuholen, Hintergründe nicht außer Acht zu lassen bzw. sie zu erfragen, im Zweifelsfall bei konträren Quellen nachzuhaken (und konträre Quellen auch mit der jeweils anderen Quelle zu konfrontieren), etc.

    Ich finde btw. nicht, dass man im Roman repräsentativ für alle sein muss. Ich finde sogar, dass das ein Ding der Unmöglichkeit ist.
    Man kann übliche bzw. authentische Ausschnitte aus der Realität einflechten - was ich für meinen Teil immer wieder gern mal mache - aber es wird immer nur ein Ausschnitt bleiben. Man kann natürlich versuchen, einen verständlichen Einstieg in eine Problematik zu bieten, oder einen Überblick über eine Gruppe oder eine (Sub-)Kultur zu schaffen. Aber alle Facetten einer Kultur oder Gruppe im Detail in einem normaldicken Roman abzuhandeln, find ich schwierig (ich habs jedenfalls innerhalb von 2 Teilen aufgegeben und beschränke mich nun auf bestimmte Aspekte ^^).

    Die Frage ist dann wohl, was man aufzeigen will, wo der Fokus legt, welchen Aspekt man zeigen will, bzw. welche Zielgruppe man in welchem Stil (Provokation/Sarkasmus/Humor/Realismus/Utopie/...) bzw. mit welcher Dramaturgie man ansprechen möchte.
    Und ja, aufzeigen und meinen kann jeder und sollte mMn auch jeder dürfen. Dass einer mit Erfahrung eventuell realistischer schreibt, ist naheliegend. Ich bin bloß immer froh, wenn realistisch, undogmatisch und naturgetreu berichtet wird. Ob triggernd oder nicht ist für mich ein anderes Kapitel. Authentisches ist leider nicht immer schön.

    Kommentar


    • Dodo
      Dodo kommentierte
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      Du gehst mit journalistischer Detail-Recherche-Undercover-Mentalität an die Dinge heran, so "kenne" ich Dich, Respekt dafür.
      Jeder Romanschreiber müsste mE entweder denselben Enthusiasmus aufbringen und sich einarbeiten und letztlich einfühlen, wenn er ein sensibles Thema groß in seinem Roman unterbringen möchte, oder eben darauf achten, keine flache Stereotype zu bedienen, wie VickieLinn und In-Genius eingängig formuliert haben.

    #6
    Ich denke auch, dass prinzipiell jeder Autor (generisches Maskulinum) jede Situation, Person etc. schildern kann. Nur, wie Ihr alle oben schon gesagt habt, manche erfordern eben viel Recherche und Fingerspitzengefühl.
    Um das oben zitierte Beispiel zu nehmen: ja, ich glaube, auch ein Mann oder eine kinderlose Frau können gut schildern, wie sich eine Geburt anfühlt. Nur müssen sie da eben viel, viel, viel mehr Arbeit reinstecken, als es eine Mutter müsste. In der Realität wird diese Arbeit vom Autor oft leider nicht gemacht - aber prinzipiel ist es IMHO möglich.

    Was man aber auch bedenken muss: egal, wie viel Mühe man in die Schilderung einer Situation oder eines Charakters steckt, es wird immer Menschen geben, die diese Schilderung als falsch empfinden.

    Ich hab mal eine Kurzgeschichte geschrieben, in der der Prota bei Nacht einen kalten und reißenden Fluss durchschwimmen muss. Ich kann schwimmen, recht gut sogar. Ich habe mit einem Leistungsschwimmer gesprochen und mir beschreiben lassen, wie er in einer solchen Situation vorgehen würde, um möglichst energieeffizient durch den Fluss zu kommen. Habe mit einem Rettungsschwimmer gesprochen, der mir geschildert hat, wie sich Todesangst im Wasser anfühlt. Und bin selbst so lange im kalten See geblieben, bis ich wirklich nachvollziehen konnte, wie das ist mit dem Auskühlen und dem Schmerzen der Extremitäten, und wann der Schmerz aufhört und man nichts mehr fühlt.
    (Äh, diese Geschichte war die zweite, die ich je geschrieben habe. Kann also sein, dass ich deshalb bei der Recherche übermotiviert war ...)
    Die Geschichte wurde veröffentlicht. Kommentar eines Lesers: "Man merkt aber voll, dass Du vom Schwimmen keine Ahnung hast."

    Das ist jetzt natürlich ein harmloses Beispiel. Wahrscheinlich fühlt sich kein Leser je davon verletzt, dass der Autor Schwimmen nicht so dargestellt hat, wie es der Leser erwartet. Bei einem brisanteren Thema ist es schlimmer, wenn der Leser es so empfindet, dass der Autor keine Ahnung hat.
    Aber auch da gilt halt: nicht alle Menschen sind gleich. Nicht alle Leser sind gleich. Nicht alle Mitglieder einer für den Autor schwer nachvollziehbaren Gruppe sind gleich.
    Ich hab kürzlich eine Panikattacke-Szene geschrieben und sie einer Bekannten gezeigt, die unter Panikattacken leidet. Sie fand die Szene toll und meint, ja, genau so fühlt sie sich. Garantiert gibt es irgendwo auf der Welt einen Menschen, der Panikattacken anders erlebt, und der mir vorwerfen wird, ich hätte ja keine Ahnung davon.

    Das soll niemanden davon abhalten, gute Recherche zu machen!!!
    Schildern, wie es sich anfühlt, als händehaltendes, schwules Paar in der U-Bahn täglich latent feindliche Blicke zu bekommen, kann ich nur, indem ich mit mindestens einem schwulen Paar spreche. Besser mit 10 Paaren. Denn die haben sehr wahrscheinlich alle ähnliche Erfahrungen gemacht. Aber nur ähnlich, und nicht gleich. Es wird trotzdem Schwule geben, die die Szene lesen und für völlig blödsinnig halten. Und damit muss man als Autor leben. Man kann es nie allen Recht machen. Bemühen sollte man sich trotzdem!
    Always avoid alliteration.

    Kommentar


    • weltatlas
      weltatlas kommentierte
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      Böse Blicke kennt jeder ja. Aber ich kenne sie nur, wenn ich meine Kippa tragen würde (was ich nicht mache), die ich wieder abnehmen und dann als unauffällig durch die Straßen laufen kann.
      Ein Schwarzer Mensch, [beliebiges einfügen] kann seine Hautfarbe nicht ausziehen und an den Garderobenhaken hängen. Ich denke dieses permanente angestarrt werden, böse angeschaut werden usw. ist von einer anderen Qualität und kann ich persönlich so nicht nachempfinden. Da würde ich, wenn es für meine Geschichte Relevanz hätte, viel mit Betroffenen Menschen reden.

    • Milch
      Milch kommentierte
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      at Alys II.
      Man sollte aufpassen, dass man die Welt nicht so schwarz malt.
      Die Gesellschaft ist in den letzten deutlich toleranter geworden, das bedeutet nicht, dass es immer noch Idioten gibt. Gerade die Blicke weniger können weh tun.
      Es gibt zwei Strategien: Man lässt sich von den bösen Blicken das Leben bestimmen, also man hält nicht mehr Händchen, weil es zu sehr schmerzt.
      Oder man entwickelt einen Trotz, die Mann im feinen Anzug schaut uns immer so missbilligend an. Wir machen uns darüber lustig, auch wenn es schmerzt. Oder wir halten besonders intensiv Händchen, damit er nicht über uns triumphieren kann.
      Ich gehe davon aus, dass sich das Pärchen nicht in der Selbstfindungsphase befindet, da ist man meist nicht so cool.

      Dass man die Haut nicht ausziehen kann, macht es schwer, mitunter zu unterscheiden, ob die Blicke von einem Rassisten stammen oder weil man doch etwas falsch gemacht hat. Oder jemand benutzt die Hautfarbe lediglich, um den anderen zu ärgern. Dann wird aus einem Brillenträger eine Brillenschlange, aus einem Dicken Fettklops und aus einem Schwarzen ein Scheißneger.
      Anders ist es, wenn man ständig danach gefragt, wo man wirklich herkommt. Ist es Interesse an meiner familiären Lebensgeschichte? Oder wollen sie mir damit sagen, dass ich nicht dazu gehöre. Oder warum spricht man so gut deutsch?
      Zuletzt geändert von Milch; 13.04.2019, 17:19.

    • Dodo
      Dodo kommentierte
      Kommentar bearbeiten
      Es geht mir bei meiner Frage nicht um die Coping-Mechanismen, die die Menschen einsetzen können, sondern um die Darstellung. Es ist schon schön zusammengetragen, dass man a. nicht jede individuelle Erfahrung abbilden kann (zum Glück sind wir alle Individuen), b. dass man recherchieren kann, dabei eben auch Menschen mit entsprechender Erfahrung fragen kann, c. sich überlegen sollte, was genau man für die Geschichte eigentlich will und ob man traumatische oder triggernde Erfahrungen dafür ausspielen muss und d. ob man sich hineinversetzen kann (und das halte ich für den schwierigsten Part *) und e. ob man es handwerklich kann.
      * Vergleiche mit "Allerweltsgefühlen", die jeden ereilen, sind ein guter Start, aber liegen trotzdem manchmal meilenweit daneben. Trauer ist nicht gleich Trauer, Erschrecken nicht Erschrecken, Demütigung nicht gleich Demütigung, Freude nicht gleich Freude.

    #7
    Hab jetzt nicht alles gelesen, stimme aber eigentlich 100% Vickies Beitrag zu.
    Ich habe aber noch zusätzlich einen Gedanken, den ich wichtig in dem Thema finde: Was hält der Leser für glaubhaft?

    Bei manchen Dingen ist die Realität dahinter egal, solange der Leser es glauben kann. Natürlich ist meine Beschreibung davon, wie es sich anfühlt, Magie zu beherrschen, völlig unrealistisch, aber der Leser kann es trotzdem als glaubhaft empfinden. Bei Fantasy ist das toll, man kann sich so viel kreativen Kram aus den Fingern saugen und trotzdem aktzeptiert der Leser es.
    Ähnlich ist es mit Dingen wie Geburten - klar, wenn ich kinderloser Mensch das jetzt beschreibe wird es nicht so realistisch sein, wie wenn eine Frau es schreibt, die schon vier davon hatte. Aber es tut wahrscheinlich niemandem weh, wenn ich es über- oder unterdramatisiere, selbst wenn der Leser mir die Darstellung am Ende glaubt.

    Bei manchen Dingen ist es aber nicht unbedingt gut, wenn ich glaubhaft aber unrealistisch schreibe - das sind die Dinge, die anderen Leuten weh tun können. Ich kann eine Transperson schreiben, wie ich jede andere Figur schreibe, bis zu dem Punkt, wo ich mich aktiv und konstant damit auseinandersetze, was es bedeutet und wie es sich anfühlt, Trans zu sein. An dem Punkt würde ich (zumindest heutzutage noch) Gefahr laufen, mit falschen aber leider glaubhaften Worten Leser zu beeinflussen, die genauso wenig Ahnung haben wie ich. Und dann nehme ich vielleicht sogar jemandem, der diese Erfahrungen selbst gemacht und damit viel besser beschreiben könnte, die Stimme weg.

    Also letztendlich...ich kann glaubhaft Figuren schreiben, aber nicht unbedingt realistisch bestimmte Erfahrungen dieser Figuren.
    Die Frage sollte also wahrscheinlich nicht sein "kann ich eine YXZ Figur schreiben", sondern "sollte ich XYZ's Erfahrung schreiben"...oder so.
    Ich glaube das klint jetzt ein bisschen wirr, aber ich lass es mal so.^^

    Kommentar


    • LisaOno
      LisaOno kommentierte
      Kommentar bearbeiten
      Ich seh das genauso. Solang Transgender oder Schwarz-sein oder was auch immer nicht ein zentrales Thema meiner Geschichte ist, würde ich mich auch nicht mit den expliziten Erfahrungen der Person auseinandersetzen. Das heißt ja nicht, dass ich nicht trotzdem schwarze Figuren benutzen kann, aber in Gesprächen mit schwarzen Menschen geht es ja sowieso nicht immer um Hautfarbe oder Sklaverei. Die spielen ihre Rolle für meinen Plot, wenn ich möchte, kann ich die Hautfarbe bei der Charbeschreibung kurz ansprechen, aber ich werde keinen langen Absatz über Ungerechtigkeiten deswegen schreiben müssen. Sollte ich wohl auch nicht.

    • In-Genius
      In-Genius kommentierte
      Kommentar bearbeiten
      "sollte ich XYZ's Erfahrung schreiben"

      Das ist eine sehr berechtigte Frage. Und oft ist die Antwort wohl: nicht so ausführlich, wie man denkt.
      Wenn es nicht gerade das zentrale Thema des Romans ist, müssen diese oft schwierigen Themen gar nicht in absoluter Tiefe ergründet werden, gerade auch für Nebenfiguren nicht.
      Es ist viel mehr Repräsentation dadrin, wenn die Figur ihr Leben bestreitet und zwar auch mit den guten oder alltäglichen Facetten, nicht nur mit den schwierigen. Romane sind keine Selbsthilfebücher, Romane sind in erster Linie Unterhaltung. Wenn das zentrale Thema nicht "Homosexualität" ist, ist es vollkommen legitim die schwule Nebenfigur auch mal nicht über homofeindliche Pöbeleien reden zu lassen, sondern über den letzten Superhelden-Film oder wie der Reifen vom Auto geplatzt ist. Solche alltäglichen Darstellungen sind oft mehr Wert in der Repräsentation als das hunderste Nachtreten, dass die Welt Homosexualität als Krankheit sieht. Das will doch niemand ständig lesen. Viel schöner ist es für alle, wenn man auch mal ausblenden kann, dass die Welt manchmal scheiße ist. Ist das nicht einer der Gründe, warum wir lesen? Ein bisschen der Realität entfliehen und uns eine andere Welt vorstellen.
      Und das kann grundsätzlich jeder Autor tun. Einen vielfältigen Cast oder Nebenfiguren haben und ein bisschen was von der Sonne und dem alltäglichen Regenschauer des Lebens erzählen, das ist gar nicht so schwer. Das furchtbare Gewitter von Ausgrenzung und gesellschaftlichem Leid darf durchaus zur Seite treten; nicht totschweigen, aber wer sagt: das ist nicht meines Romans Thema, ich bin fluffig und voll Zuckerwatte und das überall, previligierte und marginalisierte Gruppen gleichermaßen - dann freuen sich auch einige aus den marginalisierten Gruppen, eifnach mal etwas fluffiges über Charaktere wie sie zu lesen. Ich denke, das Gefühl kennen wir alle: einfach mal was Leichtes und Einfaches lesen wollen.
      Die harten und schwierigen Themen kann man und sollte man jenen Autoren überlassen, die sich damit beschäftigen und darüber schreiben wollen/können. Als nicht betroffener Autor kann man sich auch manchmal fragen: Muss ich das schreiben - oder kann ich vielleicht besser jemanden unterstützen, der Teil dieser Gruppe ist und als eigene Stimme etwas zu erzählen hat?

      Wichtig ist, nicht auf das zu reduzieren was zur Marginalisierung führt, damit ist schon viel gewonnen. Meckern wird bestimmt jemand
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